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Kunstberichte
Die jüngsten Kirchenbauten der Erzdiözese Wien befinden sich im Dilemma zwischen Kunst und Didaktik

Den Kirchen blieb der Kreuzweg

Reduktionismus in Schwarz/Weiß: Heinz Tesars Kreuzweg in seiner Kirche auf der Donauplatte wurde um rote Kommentare erweitert.

Reduktionismus in Schwarz/Weiß: Heinz Tesars Kreuzweg in seiner Kirche auf der Donauplatte wurde um rote Kommentare erweitert.

Perfekt in den Kirchenbau integriert: Der Kreuzweg von von Kurt Straznicky in der Pfarrkirche St. Benedikt in Wien-Simmering. Foto: Hans Haider

Perfekt in den Kirchenbau integriert: Der Kreuzweg von von Kurt Straznicky in der Pfarrkirche St. Benedikt in Wien-Simmering. Foto: Hans Haider

Kreuzweg-Phantasie in "Emmaus am Wienerberg".

Kreuzweg-Phantasie in "Emmaus am Wienerberg".

Aufzählung Wiens jüngste Kirchen stehen in Neusiedlergebieten: Emmaus am Wienerberg, Cyrill und Method in Floridsdorf nahe Stammersdorf, St. Benedikt am Leberberg, die Kirche "Christus, Hoffnung der Welt" in der Donau City. 2008 wurde die Filialkirche Oberrohrbach hinter dem Bisamberg geweiht als vorläufig letzter Neubau in der Erzdiözese Wien. Die Neustadt Aspern steht auf der Wunschliste.

Neugebaute Kirchen wirken kahl. Auch wenn sie mit Hartholzfurnieren beinahe wohnlich ausgetäfelt sind wie die im Jahr 2000 geweihte Kirche auf der Donauplatte – ein Hauptwerk von Hans Tesar. Von der künstlerischen Gesamtausstattung vormoderner Jahrhunderte blieben die Bilderzählungen des Kreuzwegs übrig. Und das auch nur, weil für das Kreuzweg-Beten Ablässe ausgelobt sind. Zumindest muss der Vorbeter die Stationen der Leidensgeschichte abschreiten.

Nach dem Vaticanum II wurde mit dem Volksaltar das Ritual ins Zentrum der Aufmerksamkeit gerückt – wie auch das Wort mit dem Wechsel vom Kirchenlatein in die Volkssprache. Die Wände verödeten in Konvergenz zum meditativen "White cube" in den Museen moderner Kunst. Kreuzweg ja, aber die Trostbilder fehlen: Christus als Salvator Mundi, die Schutzengel, die Fürbitter. Was müssen die Mangelkinder aus der Wiener Peripherie für Augen machen, wenn sie das erste Mal in die Kirchen Venedigs vordringen?

Doch es genügt auch eine Reise nach St. Johannes Nepomuk in der Praterstraße. Diese Kirche wurde in einer kurzen Kampagne gebaut und komplett ausgemalt. Trotz arger Kriegsschäden blieb sie Wiens Hauptdenkmal der Nazarener-Malerei. Hier hat das Urmuster unzähliger gemalter und gedruckter Reproduktionen, die hundert Jahre lang ins Gedächtnis eingegraben waren, seine Heimat: ein Kreuzweg von Joseph Führich (1844/46).

Entrückte Personen bei der UNO-City

Heinz Tesar schuf im Jahr 2000 für seinen außen dunklen, innen hellen Kirchenkubus neben der U-Bahn-Station "Kaisermühlen-VIC" auf der Donauplatte einen eigenen Kreuzweg: schwarze Zeichen auf weißem Grund, wie Spuren in die Ferne entrückter Personen und Aktionen. Reduktionismus pur in diesem beispielhaft schönen Andachtsraum. Eine unbekannte Hand malte vor vier Jahren einen skeptischen Kommentar in Rot auf einige Tafeln. "Wir lassen ihn stehen als Anregung zum Nachdenken", beschwichtigt eine Aufschrift. In einer hinteren Ecke steht eine Madonnen-Skulptur. Die pastorale Pragmatik hat zugeschlagen. Sie erfüllt in ihrem süßlichen Stilkleid Bedürfnisse, die Tesars Gesamtkunstwerk vernachlässigt.

Otto Häuselmayer entwarf die Kirchen "Emmaus am Wienerberg" (1992) und "Cyrill und Method" in Floridsdorf (1995), wo anfangs der Straßenkinder-Pater Georg Sporschill wirkte. Da wie dort verbündete sich mit einiger Verspätung die Religionspädagogik mit bescheidenen Fertigkeiten in der Bildkunst. In Emmaus schuf das in der Kinderphilosophie und Kunsterziehung ausgebildete Pfarrmitglied Veronica Schaller 2006 acht Öltafeln, auf denen Lehren aus der Gewaltgeschichte destilliert sind.

Zwischen Angst, Liebe und Versöhnung

In Floridsdorf beendeten 2008 Künstler und Engagierte aus der Pfarre ein Provisorium. Die Ideen für die an die Wände geschraubten Glastafeln kamen von zehn Kindern. Den Kreuzwegbildern sind Schlagworte wie "Angst", "Liebe", "Resignation", "Versöhnung" "Begegnung" beigegeben – als Gedankenbrücken von altorientalischen Bestrafungsbräuchen zu den Erlebniswelten heutiger Kinder.

Am Leberberg, nahe der neuen Endstation der Straßenbahnlinie 71, planten Wolfgang Zehetner (Dombaumeister von St. Stephan), der kürzlich verstorbene Walter Zschokke und Walter Michl die Pfarrkirche St. Benedikt mit perfekt integriertem Kreuzweg. Die Glasbilder von Kurt Straznicky füllen Öffnungen in der wie ein Schneckenhaus gerundeten Kirchenmauer. Gegen den Uhrzeigersinn bewegt sich die Abfolge der Stationen zum Altar hin. Das Tageslicht bringt die Farben von außen zum Leuchten.

Moderne Malerei frei von Abstraktion

Ähnlich auch in Oberrohrbach, wo Konrad Schermann und Werner Stolfa den Architektenwettbewerb gewonnen haben. Hier füllen die transparenten Bilder von Tobias Kammerer unaufdringlich die Hinterwand des Rundbaus.

Wo heute zu liturgischem Zweck auf Glas gemalt und dabei auf Abstraktion verzichtet wird, ist es schwer, am Vorbild Georges Rouault vorbeizukommen (so wie in der religiösen Skulptur an Ernst Barlach und Giacomo Manzú). Am Leberberg und in Oberrohrbach ist das aber gelungen.

Printausgabe vom Freitag, 10. April 2009

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