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Die Kraft des Existenziellen

09.05.2008 | 18:23 | MICHAEL FLEISCHHACKER (Die Presse)

Karlheinz Essl eröffnet nächste Woche die Schau „overlapping voices“ mit Kunst aus Israel und Palästina. Sein Schlüsselerlebnis war ein Treffen mit Jitzhak Rabin.

Die Presse: Wenn man an die Gründung Israels vor 60 Jahren denkt, kommt einem nicht sofort eine Geburtstagsausstellung im Essl-Museum in Klosterneuburg in den Sinn.

Karlheinz Essl: Das ist auch keine Geburtstagsausstellung, es hat sich zufällig ergeben. Was wir mit dieser Ausstellung zeigen wollen, ist ein anderer Blick in die derzeitige politische Auseinandersetzung, nämlich von der künstlerischen Seite her.

 

Auch mit Blick auf Ihre Sammlungs- und Ausstellungsgeschichte ist „overlapping voices“ eher überraschend. Das Thema spielte bisher bei Ihnen überhaupt keine Rolle, und anders als sonst kommt auch kein einziges der ausgestellten Werke aus eigenen Beständen.

Essl: Alles, was Sie hier sehen werden, sind Werke, die aus Israel/Palästina kommen, und Arbeiten, die hier vor Ort entstehen. Es ist einfach spannend zu sehen, was künstlerisch in dieser Region passiert. In einer Situation, wo die Menschen teilweise in ihrer persönlichen Freiheit eingeschränkt sind, auch die Künstler. Es ist interessant zu sehen, was aus dieser Extremsituation für Kunst entsteht. Es ist eine Kunstausstellung, aber in Hinblick auf die Präsenz und auf die Aktualität des Themas natürlich auch eine hochpolitische Ausstellung.

Stand nicht auch am Beginn der Entstehungsgeschichte die Politik?

Essl: Ich hatte die Möglichkeit, den damaligen Bundeskanzler Franz Vranitzky auf seiner historischen Reise nach Israel zu begleiten, damals fand gewissermaßen die offizielle Aussöhnung zwischen Israel und Österreich statt. Ich bin da mit sehr vielen Juden zusammengekommen, die aus Österreich vertrieben wurden und sich in Israel angesiedelt haben. Sie fühlten sich weiter als Österreicher, als ausgetriebene Österreicher, und es war sehr berührend zu sehen, was diese Versöhnungsgeste bei ihnen bewirkte. Auf dieser Reise hatte ich auch eines der einschneidenden Erlebnisse meines Lebens, nämlich ein Gespräch mit Jitzhak Rabin während eines privaten Abendessens im Anschluss an den offiziellen Teil dieser Reise. In diesem Gespräch hat mir Rabin in zwei oder zweieinhalb Stunden seine Vision von einer Befriedung der gesamten Region geschildert. Das war für mich und für alle, die wir am Tisch gesessen sind, ein unglaubliches Erlebnis. Als Rabin dann ermordet wurde, nicht von einem Palästinenser, sondern von den eigenen Leuten, hat mich das schockiert und mir gezeigt, dass es eigentlich fast unmöglich ist, dass Israel gegenüber den Palästinensern mit einer Sprache spricht.

 

Sie halten den Umstand, dass es innerhalb Israels unterschiedliche Standpunkte zu dem Thema gibt, für das Haupthindernis im Nahost-Friedensprozess?

Essl: Ich glaube, ja.

Sie schließen mit „overlapping voices“ also am ehesten an die Balkanausstellung „Blut und Honig“ an.

Essl: Ja, da waren elf Länder, darunter total verfeindete, mit 72 Künstlern vertreten. Auch damals wollten wir sehen, was der Blick der Künstler auf solche Probleme zutage fördert. Und sie haben sich gut vertragen. Auch diesmal: Wenn Sie mit unseren 22 Künstlern, Israelis und Palästinensern, sprechen, verstehen die sich alle wunderbar. Die Kunst wird im Nahost-Konflikt keine entscheidende Rolle spielen. Aber wenn es einen Ansatz gibt, nur einige Gedankenanstöße, dann kann das zumindest wieder ein neuer Blick auf die Problematik sein, der nicht von einem Politiker aus verschiedenen Gesichtspunkten inszeniert wird. Das ist das Spannende.

 

Was fördert der umgekehrte Blick zutage, der Blick des Sammlers auf das Kunstgeschehen in der Region?

Essl: Es sind alle Medien vertreten, von der Malerei bis zu Videoinstallationen und Skulpturen. Das Spezifische ist eigentlich das Thema, der Inhalt. Da wurde keine neue Kunstrichtung erfunden, entscheidend ist, wie sie eben mit ihren Lebensumständen in der politischen Situation umgehen, mit der Auseinandersetzung, die sie tagtäglich erleben, mit dem Terror, der allgegenwärtig ist, mit der Angst, mit der Verzweiflung, mit der Not, mit all diesen Dingen. In saturierten Gegenden wie bei uns kann man schöne abstrakte Bilder malen, kann man auch irgendwelche figurative Dinge malen, die alle mehr oder weniger eine eigene kleine Welt des Künstlers dokumentieren. Aber dort geht es ja um existenzielle Fragen.

 

Während Ihnen hierzulande eigentlich nichts anderes übrig bleibt, als Salonkunst zu sammeln.

Essl: Salonkunst ist ein bisschen übertrieben. Aber wenn es einen in der persönlichen Existenz trifft, dann entsteht natürlich etwas anderes, dann kommen Dinge zum Ausdruck, die sich einer inneren Anspannung verdanken, das ist natürlich kraftvoll, das spürt man einfach, das Elektrische, das Elektrisierende, das Erdbeben, die Eruption. Das spürt man einfach an einer Arbeit. Viel stärker, als wenn jemand schöne Bilder malt. Ich rede heute von der Kunst, die wir hier sammeln, und ja, das ist eine Kunst, wo jeder Künstler für sich seinen eigenen Kosmos gestaltet und einen eigenen Blick in die Welt hat. Aber natürlich von einer gesicherten Position aus.

 

Mit anderen Worten: für wirklich substanzielle Kunst geht es uns zu gut.

Essl: Es sind immer Notsituationen oder Extremsituationen, die zu Großem anregen. Oder die Dekadenz. Im Umkehrschluss brechen oft aus der Dekadenz Dinge auf, die einfach umwerfend sind.

 

Aber in Österreich dominiert der Salon.

Essl: Es gibt schon Auseinandersetzungen mit Fragen unserer Zeit, aber eben aus einer anderen Perspektive, aus einer gesättigten Gesellschaft heraus, in der keine existenziellen Probleme angesprochen werden. Das Thema ist dann eher die Überflussgesellschaft, die Ödigkeit, die Leere, teilweise auch die Sinnlosigkeit. Offenbar braucht man immer wieder eine kleinere oder größere Katastrophe, um die Perspektive wieder zurechtzurücken.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 10.05.2008)


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