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Kunstberichte

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Ödipus zu Besuch in Entenhausen

Malt Erró da die amerikanische Apokalypse? Der Himmel wird sich am Jüngsten Tag auftun und alle Superhelden und -schurken auf einmal werden über die Bevölkerung herfallen. Galerie Hilger

Malt Erró da die amerikanische Apokalypse? Der Himmel wird sich am Jüngsten Tag auftun und alle Superhelden und -schurken auf einmal werden über die Bevölkerung herfallen. Galerie Hilger

Von Claudia Aigner

Es gibt ein sagenhaftes Plätzchen, da unterhalten sich die Eingeborenen mit Hilfe von Sprechblasen. (Amerika? Nein, das sind Kaugummi blasen.) Dort steht das Enten-Chopsuey auf keiner Speisekarte. Schließlich wäre das eine Beleidigung der Bevölkerungsmehrheit. Und Mausefallen sind strengstens verboten. Wegen dem Minderheitenschutz. Da haben ja auch ein paar Nagetiere einen Meldezettel ausgefüllt. Und McDonald’s dürfte es eigentlich auch keinen geben. (Die Faschiertenhochburg.) Aus Rücksichtnahme auf die Gefühle von Klarabella Kuh, dem aufrecht gehenden Rind (dem "Bos erectus").

Entenhausen ist eben kein Entenghetto, sondern eine multizoologische Gesellschaft. Irgendwo in Disneyland. Die Enten sind hier allesamt Landratten und werden im Wasser nicht einmal mehr nass. Weil sie mit dem Boot fahren, wenn sich ihnen ein See in den Weg legt. Nur der Erpel Donald (mit ein paar anderen ewig Gestrigen) trägt demonstrativ einen Matrosenanzug. Verleugnet die Herkunft der heutigen "klugen Ente" (der "Anas sapiens") aus dem Wasser nicht, hat das an, was die Seeleute anhaben, diese Meeressäuger. Kleidet sich ungefähr so wie Popeye.

Galerie Hilger: Superhelden im Verkehrsstau

Also entweder ist Entenhausen der einzige Ort auf Erden, der nicht voller Kurzparkzonen ist, sondern stattdessen flächendeckend mit Enthaltsamkeitszonen überzogen ist (zwecks Geburtenkontrolle) und wo sogar die pikanten vier Quadratmeter im elterlichen Schlafzimmer jugendfrei sind, also das Doppelbett, weil die Familienplanungssheriffs auch unter der Beischlafstätte auf die Fortpflanzungssünder lauern (und deshalb wirft auch Minnimaus nicht achtmal jährlich drei bis acht Junge), oder es ist dort einfach der Ödipuskomplex erfolgreicher als anderswo. Jedenfalls der erste Teil davon: das unbändige Verlangen der kleinen Buben, den eigenen Erzeuger mit Gras zwangszuernähren. Äh: ihm eine Wiese reinzuschieben. Oder ihn in den Rasen beißen zu lassen wie einen Rasenmäher?

Gut, das erklärt vielleicht den geheimnisvollen Väterschwund, aber nicht den Neffen-Boom, dass also anscheinend nur die Lebensmüden leibliche Kinder haben und alle andern bloß leibliche Neffen. Am wahrscheinlichsten ist Folgendes: Besorgte Entenväter, die an die Prophezeiung des Freudianischen Orakels glauben und ahnen, dass Vaterschaft Selbstmord ist und dass speziell das Aufziehen eines Knaben ein Himmelfahrtskommando ist, entledigen sich ihrer jeweiligen "Todesursache" (Tick, Trick und Track usw.) halt auf zivilisiertere Art als die alten Griechen.

Sie setzen die Gschrappen nicht aus Notwehr mit Sandalen im Hochgebirge aus oder im Safaripark mit Schuhen, die sie drücken, damit sie vor lauter Blasen und Hühneraugen den frei herumlaufenden Mägen, die Reißzähne vorne dran haben, nicht davonlaufen können. Nein, sie schicken sie vor Eintritt der ödipalen Phase zu ihren Onkeln und Tanten nach Entenhausen. Auf ewig.

Und wie Dagobert Duck in seinen Geldmünzen badet (bis zur Ekstase und zur Porenverstopfung mit Goldstaub – "schnorch! schnurch! prust!"), füllt der Isländer Erró seine Wanne wohl am liebsten mit Comic-Heftln und Kunstgeschichtsbüchern. Und würfelt dann auf seinen exakt und poppig gemalten Bildern alles wild zusammen. Und hat einen ordentlichen Horror vacui wie die Südautobahn zu Ferienbeginn. Eine schreckliche Angst vor der Leere. Gleich alle amerikanischen Superhelden und Superschurken auf einmal, einbetoniert in ihre Muskeln, verursachen einen Stau im Himmel und Massenpanik in der Bevölkerung, die überfordert ist mit so vielen fliegenden Anabolika.

Und Micky liegt beim Onkel Freud auf der Couch. Doch gehören die halbnackerten Menschenweibchen im Hintergrund zum Geständnis aus dem Unbewussten? Ist das Es einer braven Mittelschichtmaus nicht eher ein Käse voll unanständiger Löcher?

Fossiler Damenrasierer mit versteinerten Batterien

Ein andermal finden Ägyptologen am Handgelenk einer jahrtausendealten Mumie eine Uhr. Das ist ja so, als würde man eine antike römische Amphore öffnen und drin ist Coca-Cola. Oder wenn bei Lucys Australopithecus-Knochen ein fossiler Damenrasierer mit versteinerten Batterien gelegen wäre. Oder in Tutenchamuns Grabkammer wäre ein Lichtschalter gewesen. Gut, Letzteres wäre nicht ganz abwegig, haben die alten Ägypter doch bereits Glühbirnen besessen. Zumindest hat man in einem Hathor-Tempel eine detaillierte technische Zeichnung davon entdeckt. Aber eine Armbanduhr, noch dazu mit Mickymaus auf dem Zifferblatt? Na ja, die Pharaonen waren ja sehr tierlieb. Und bei all den falken-, kuh- und katzenköpfigen Göttern hat man den mausohrigen eventuell bloß immer übersehen.

Wenn ein Elefant ein Porzellanpferd reitet

Meine Favoriten sind freilich die Arbeiten, wo sich die Entenhausener als Künstler outen. Goofy, der gesittete Hund, den womöglich Freud persönlich von der typisch hündischen Urophilie geheilt hat (vom lustbetonten, geradezu fetischistischen Harnlassen), malt von Rudi Ross, dem zweibeinigen Hengst, ein kubistisch abstraktes Porträt. Er stellt sich vermutlich vor, Rudi sei ein Porzellanpferdchen und ein Elefant hätte versucht, es zu reiten. Oder jemand wollte dem Porzellanross das Galoppieren beibringen und hätte ihm einen ermunternden Klaps auf den Hintern gegeben, als es im obersten Regal gestanden hatte. Und jetzt ist Rudis Gesicht ein Scherbenhaufen.

Eines stört mich natürlich schon: dass die Bilder, trotz geistreich unterhaltsamer Details, als Ganzes meist unverständlich bleiben. Denn Erró (bis 20. August beim Hilger, Dorotheergasse 5) zitiert bis zur Überdosis.

Galerie Faber: Zielgruppe für Spielzeug und Unschuld

In den Bombenruinen vom letzten Großen Krieg proben ein paar Kinder mit Holzschwertern bereits ungeduldig den nächsten und üben sich schon mal in glorreicher Feindschaft und verbissenem Heldentum: Als Besatzungssoldat kam Will McBride in den 50er Jahren nach Deutschland und fing mit seinem Fotoapparat sprechende Alltagsszenen ein. Bekannt ist er aber auch dafür, dass er in den 60ern und 70ern die Zeitschrift "twen" mit seinen Fotos bereicherte.

1968 stapelte er Schachteln über- und nebeneinander, als wären’s Zimmer einer Sandler-WG aus Pappendeckel, Wohnräume eines provisorischen Apartmenthauses. Und hat dann das komplette Ensemble des Musicals "Hair" pittoresk fleischlich hineingeschlichtet in die asketischen Kartonzellen. Als FKK-Hippies, die quasi mit des Kaisers neuen Glockenhosen bekleidet waren. Ein fröhlich originelles Gruppenbild.

Die späteren lieblichen Jünglingsporträts und romantischen Knabenakte sind mitunter ein bisserl bedenklich. Wenn der Nackedei aus der Zielgruppe für Spielzeugautos und "Unschuld" stammt. Obwohl: Die Posen sind ja eh harmlos. Bis 26. August beim Faber (Brahmsplatz 7).

Freitag, 12. August 2005


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