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Pipilotti Rist: „Ich schneide ihn noch einmal um“

06.05.2010 | 17:57 | ALMUTH SPIEGLER (Die Presse)

Die Schweizer Videokünstlerin Pipilotti Rist hat ihren ersten grellbunt-naiven Spielfilm gedreht. Über eine erwachsene Pippi Langstrumpf namens „Pepperminta“.

„DIe Presse“: Ich bin Kunstkritikerin, nicht Filmkritikerin. Aber unser Filmkritiker hatte Angst vor Ihren Farben und mich gebeten...

Pipilotti Rist: Echt?

Sie zeigen in Ihrem wirklich sehr bunten Film, wie eine Frau die Menschheit mit Farben von ihren Ängsten heilt. Aber was ist mit Menschen, die gerade vor Farbe Angst haben?

Rist: Es ist eine gesellschaftliche Tatsache, dass wir Farbe als weniger wertvoll betrachten als die Linie und den Strich. Das sieht man in der Architektur, in der Malerei.

Das war in der Moderne so, aber die ist schon einige Jahrzehnte her. In den letzten Jahrzehnten ist die Farbe doch wieder voll da!

Rist: Farbenfreude wird trotzdem immer noch despektierlich betrachtet, mit Oberfläche assoziiert. Farbe ist emotioneller – wie Musik, deren Einfluss man sich nicht entziehen kann. So etwas, das man nicht in den Griff kriegt, wird weniger geschätzt. Wenn man etwa farbig angezogen ist, signalisiert man: Es kann mehr passieren, ich bin offen für einen Kontakt. Je näher wir wohnen in unseren urbanen Welten, desto mehr versuchen wir, uns voneinander abzugrenzen. Auch in der Kunst: Vor 100 Jahren waren die Räume noch farbig, die Bilder wurden übereinander gehängt. Immer mehr kam es zur horizontalen Hängung auf Weiß. Und lustigerweise sehen auch die Wohnzimmer immer mehr so aus. Wobei der Wunsch nach Weiß – Klarheit, Konzentration auf die Kunst – aufklärerisch war.

Für Künstler also etwas Positives, nicht mehr als Dekoration behandelt zu werden. Oder?

Ewelina Guzik: Also, ich muss jetzt einmal sagen: Der Film ist nicht für Kunstpublikum gemacht, sondern für die ganze Palette, klein, groß, schwarz, blau. Er soll Mut machen, Dinge einfach anders zu machen.

Es ist eine erwachsene Pippi-Langstrumpf-Geschichte, das ist schon klar. Auch Pippi war bunt angezogen, anarchistisch, wurde von der Polizei verfolgt. Wie Pepperminta. Aber welche neue Erkenntnis wollten Sie damit vermitteln? Inwiefern reagiert die Welt in Ihrem Film anders, als sie auf Pippi reagiert hat?

Rist: Das Kind wird leider nicht so ernst genommen. Der Schritt ins Erwachsenenalter ist dazugekommen . . . Klar fehlen in dem Film Millionen Sachen! Es ist eine Abwandlung desselben Themas.

Sorry, mir fehlte eben die Weiterentwicklung.

Rist: Muss dieser Film Lösungen bringen? Er ist ein Märchen! Keine Handlungsanleitung.

Vielleicht habe ich auf die dunkle Seite gewartet, auf den Abgrund, den auch jedes Märchen in sich birgt.

Rist: Aber Pepperminta gibt zweimal fast auf, hat keine Kraft mehr. Ist das nicht dunkel genug? Ich finde sie nicht nur positiv. Gewisse Handlungen schrecken mich auch ab.

Das Trinken des Menstruationsblutes?

Rist: Das nicht unbedingt (lacht.)

Für Leute, die Ihre bildende Kunst schätzen, 2,5 Millionen Besucher im MoMA New York waren das 2009, ist der Film vielleicht besonders schwierig. Die Paradieswelten in Ihren Installationen sind viel offener. Die simple Handlung im Film enttäuscht dagegen.

Rist: Die Kunstleute sind eben viel wilder, viel selbstständiger. Ich habe den Film auch nicht speziell für Kunstleute gemacht.

Aber Filmkritiker sind oft viel intellektueller, noch diskurslastiger als die Kunstszene!

Rist: Ich denke, Filmkritiker haben gern einen Bogen, den man mit Wörtern beschreiben kann. Sie wollen eine Conclusio aus meinen Installationen. Aber es gibt wieder Filmleute, die sagen, ich will eine Handlung.

Aber vielleicht nicht so eine einfache?

Rist: Nennen Sie mir eine komplexere! Ich wollte auf keinen Fall schon wieder nur eine monogame Liebesgeschichte.

Mir ist die Heilsvorstellung zu einseitig, die Hippiekeule. Der Film ist eine 68er-Utopie. Und die ist doch gescheitert, oder?

Rist: Viele Dinge sind gescheitert. Aber wir würden jetzt nicht so dasitzen, wenn es das nicht alles gegeben hätte. Wir leben in der freisten Gesellschaft, die es je gab. Haben aber eine hohe Selbstmordquote und einen hohen Verbrauch an Psychopharmaka, viel Vereinsamung, schwächere Solidarität zwischen den Generationen. In den 60er-Jahren hat man sich alles einfacher vorgestellt, die Prototypen waren einfach zu greifen. Ich wollte mit dem Film anregen, was wir aus dieser Situation machen können. Warum fürchten wir uns so, dass ein anderer über uns lachen könnte? Warum fürchten wir uns so, peinlich zu sein?

Ganz nach dem Tipp der toten Großmutter an Pepperminta: Man soll immer das tun, was man sich nicht traut – und dann schauen, was passiert? Ist das auch Ihr Grundsatz?

Rist: Ja, einer davon. Dass man sich einen Tritt in den Arsch geben soll, immer wieder, und die Möglichkeiten wichtiger nehmen sollte als die eigenen Komplexe – das ist mein Forschungsgebiet.

Ein Spielfilm ist also auch etwas, das Sie sich eigentlich nicht getraut haben?

Rist: Ja, ich traue mich auch immer noch nicht, obwohl ich ihn gemacht habe. Ich lasse mich auch extrem verunsichern. Bei meiner Kunst kann ich immer noch etwas verbessern, sie ist nie fertig. Bei einem Film ist das anders. Aber ich habe mir gerade heute vorgenommen: Ich schneide ihn noch einmal um. Ich hatte ursprünglich viel Wissenschaftlicheres, viel stärker die Farbtheorien dabei. Im Gespräch hat man mir dann gesagt, dass die Leute das nicht wollen. Das war mein großer Kompromiss – und jetzt rege ich mich total darüber auf.


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