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Kunstberichte

Die Mumok Factory zeigt Esther Stockers "Geometrisch betrachtet" – Essays über den Raum

Vorstöße ins Unbekannte

Begehen eines dreidimensionalen Bildes: Esther Stockers „Geometrisch betrachtet“ macht den Raum erfahrbar.  Foto: Esther Stocker

Begehen eines dreidimensionalen Bildes: Esther Stockers „Geometrisch betrachtet“ macht den Raum erfahrbar. Foto: Esther Stocker

Von Brigitte Borchhardt-Birbaumer

Die Rauminstallation "geometrisch betrachtet" von Esther Stocker verwandelt die Mumok Factory in einen nächtlichen Wald von leuchtend weißen Stäben auf Schwarz an der Wand und Grau am Boden. Nur die Decke bleibt frei. Einige Neonröhren tauchen den Raum in eine kalte Dämmerung.

Die Künstlerin geht von einer Linienzeichnung aus, wandelt diese in ein Modell um und übersetzt das Bild zuletzt in den Raum – ins Dreidimensionale.

Als Betrachter kann man das Bild nun begehen, beim Wandern erfahren, wie räumliche Illusion in Schwebe gerät und sich das Instabile als einzige Konstante erweist.

Die Erinnerung an den russischen Konstruktivismus oder die Konzeptkunst – vor allem aber Walter de Marias künstlerische Vermessung der Landschaft mit "Mile long Drawing" oder "Lightning Field" – ist zwar berechtigt. Diese junge Generation von Künstlerinnen arbeitet aber lange nach Op-Art und konkreter Kunst mit der sich weiter wandelnden Wahrnehmung und der Doppelbödigkeit von Ordnungsdenken und Spiel. Auch ist der Absolutheitsanspruch eines El Lissitzky oder Kasimir Malewitsch – bei aller Verehrung für die Errungenschaften der Altmeister – einer völlig neuen Rolle des Künstlers in der Gesellschaft gewichen.

Doppelbedeutungen

Gesammeltes Archivmaterial semiotischer Stellungnahmen zum Raumproblem weist Stockers Vorgangsweise als nahe der wissenschaftlichen Methode aus.

Stockers geometrisches Formen-Vokabular wird in die physische Erfahrbarkeit gespiegelt: die Linie wandelte sich in einen Stab, und dieser wandert auch die Wände hoch.

Wie auf einem Bühnenraum sieht man als Betrachter sich selbst und anderen beim optischen und haptischen Prozess der Wahrnehmung zu.

Synästhesien machen die Doppelbedeutung von Worten bewusst: Wenn Rastersysteme einander wie hier überschneiden und verschieben, kommen wir zu dem Schluss, dass "wir nichts über den Raum wissen" (Stocker).

Wir kennen aber das Problem Raum als Leitmotiv der Kunst der Moderne. Jedoch ist es hier kein Erin-nerungsraum mehr wie bei Ilya Kabakov, sondern eine neue Ortslosigkeit – ein neuer Utopos – macht die Factory zum Denkraum.

Das Auge allein hat hier Mühe, Form und Tiefe der Gitterstruktur zu erfassen. Dazu gibt es keine Erzählung, und so wird die Malerei selbst Thema und ihre Grenzüberschreitung in den Raum. Mit diesen sensiblen Untersuchungen hat die Schülerin von Eva Schlegel in den letzten Jahren zu Recht erhöhte Aufmerksamkeit erfahren.

Geometrisch betrachtet

Esther Stocker

Kurator: Rainer Fuchs

MUMOK Factory

Zu sehen bis 6. April

Neues Sehen.

Donnerstag, 31. Jänner 2008

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