Quer durch Galerien 21.05.04
Lasst tausend Blümlein kitschen!
Von Claudia Aigner
Schlittert Europa in eine neue Eiszeit hinein? Unbedingt. Und
verdientermaßen (nachdem wir uns heuer länger als sonst die Lippen an den
Häferln, die in hitziger Punschlaune waren, verbrennen mussten). Unsere
Winter sind bekanntlich bloß Zwischeneiszeiten. Aber jetzt hat hierorts
endlich wieder die heiß, nämlich mit kochenden Zungen und mit Lippen
voller Brandblasen ersehnte Eiszeit eingesetzt (die es ja in unzähligen
Geschmacksrichtungen gibt: als Pistazieneiszeit, Erdbeer-Vanille-Glazial
usw.). Die Eiszeit: der Zeitraum der Erdgeschichte mit viel Eis - der
Frühling und der Sommer also. Da muss man keine Klimaforscherin sein, um
die ausgedehnten "Vereisungen", speziell auf den Schleckmuskeln der
nördlichen Halbkugel, wahrzunehmen. Und die nagelneuen Andachtsbilder
vom "Eisheiligen am Reumannplatz" picken auch schon auf den Litfaßsäulen:
die Werbeplakate für den (in Anlehnung an die "kalte Sophie":) eiskalten
Tichy, dem wir mit der Zunge huldigen, die er uns dafür dick mit dem
wohligen Vanillefrost und den andern süßen Frösten belegt. Heuer legt sich
sogar die Barbie für ihn ins Zeug. Ihre Anatomie allein ist ja schon
Schleichwerbung - für die Riesengermknödel von Iglo äh die
Eismarillenknödel vom Tichy. Hat die Barbie also ihre beiden Attribute
gegen die Attribute vom Eisheiligen T. getauscht und wogen da jetzt
werbewirksam zwei Eismarillenknödel im Dekolletee? Ach nein, die handliche
Sexbombe mit dem kindlich naiven Charme der Blondheit ist ja die
Gebieterin über das Rosarot. Deshalb müssten da zwei prallrunde pinke,
aufreizend tropfende Erdbeereiskugerln, am besten noch im Eistüten-BH (in
Push-up-Stanitzeln), herumkugeln. Vielleicht steckt im linken Kugerl auch
noch ein Wafferl in Herzerlform. Galerie Gerersdorfer:
Eismarillenknödel statt Dekolletee?
Glücklicherweise tendiert Christy Astuy, die
Gestalterin der Plakate und auch sonst eine fleißige Porträtistin der
Barbie, zwar zur kaum noch zu überbietenden Süßlichkeit, die den
Blutzuckerspiegel des Betrachters gefährlich erhöht, doch ist ihr Kitsch
in seinem ganzen erschreckenden Realismus subversiver, als es meiner wohl
in derselben Situation wäre. Bestenfalls emblematisch ist besagtes
Eisheiligen-Bild, wenn der Barbie, der hier die vordere obere
"Knautschzone" wegzensuriert ist, stattdessen zwei volle Eisbecher unter
die Schlüsselbeine gereicht werden (was ja immerhin auch zwei Gründe zum
Trenzen sind). Auf ihren nuancenreich hedonistischen, farbsinnlichen
Leinwänden (bis 29. Mai beim Gerersdorfer, Währinger Straße Nr. 12), die
voller unverhohlen herziger Einfälle (und böser Details) sind, ist der
"Kitsch der 1.000 Blümlein und 1.000 Holdseligkeiten" durchaus
wohldosiert: Die Astuy mutet uns gerade so viel zu, wie wir gerade nicht
mehr aushalten können. Wir sehen die romantisch verklärten Blümchen in der
Vase, da tränen unsere Augen bloß ein bissl, aber dann erblicken wir es,
dort auf dem Blatt: das Marienkäferl, reizend wie ein Allergen. Weniger
empfindliche Personen haben nun eventuell einen kleinen Niesreiz, uns
andern krampft sich das Gedärm grimmig zusammen in einer Kitschkolik. Wir
winden uns, das Herz (das kitschempfindlichste Organ) rennt am Fleck einen
Wien-Marathon, dann ein Asthma-Anfall und - baba. (Kreislaufkollaps.)
Und wenn eine häusliche Frau als tüchtige Hausfrau und Gebärmutter
strammsteht (programmatisch mit Kochlöffel und Baby, als wären's Zepter
und Reichsapfel), dann selbstverständlich vor einer Rosentapete. Und mit
einem kongenial arkadischen Blumenarrangement auf dem Haupt. Und fast wäre
ich geneigt, den entschlossen hochgereckten Kochlöffel (die Insignie ihrer
Ohnmacht und ihres Haushalts, mit der sie die Suppe im Topf züchtigt und
der Küche Respekt einflößt) mit der zielbewusst ernsten Mistgabel in Grant
Woods "Amerikanischer Gotik" zu vergleichen. Aber lieber nicht. Und
das hockende Mäderl mit den Lolita-Allüren, das provokant unschuldig das
duftige Kleidchen zwischen den nackten Beinchen durchgewurschtelt hat? Das
hat das tugendhaft schüchterne Gfrießerl einer Madonna aus der
Kunstgeschichte. Aber seltsamerweise keinen Heiligenschein (aus putzig im
Gänsemarsch im Kreis fliegenden Glühwürmchen zum Beispiel). Ist das
"postmoderne Romantik"? Na ja, zitierfreudig und romantisch sind die
Bilder schon und irgendwie so postmodern. Ganz hingerissen bin ich,
jawohl. Von diesen herzallerliebsten, hinterfotzig gefälligen (oder
gefällig hinterfotzigen?) Welten, wo überall der Humor herauszwinkert.
Galerie artbits: Der Zellhaufen mit Namen Mensch
Man
lege mir einen kaum noch als menschlich eruierbaren Zellhaufen vor, bei
dem sich nicht einmal mehr ermitteln lässt, ob Mandl oder Weibl, ich nehme
die Brille ab und - erblicke die Spaghettiträger des Bikinioberteils aufs
eindeutigste. Die Welt ist folglich ohnedies nur eine Sinnestäuschung.
Weil das Sehen "gehirngewaschen" ist. Wenn Gerald Pueringer seine
Digitalschnappschüsse in den Pointillismus des dritten Jahrtausends
überführt (in große und noch größere Pixel auflöst) und kosmetische
Eingriffe vornimmt, ist zumindest die Malerleinwand ein Täuschungsmanöver.
Denn drauf sind keine penibel gepinselten, halbabstrakten Gemälde
(obwohl's so aussieht), sondern Pigmentdrucke (bis 28. Mai in der Galerie
und Edition artbits, Lindengasse 28, der angeblich ersten und einzigen
Galerie für Digitalkunst in Österreich). Ein typischer Fall von
aktualisierter Malerei. Wir wohnen ja jetzt im Pixel-Zeitalter, wo die
Computerprogramme gern malerisches Empfinden haben (gemeinsam mit den
Malern an der Tastatur natürlich).
Galerie Slavik: Wie fünf
volltrunkene Zecken
Alkoholgehalt: ein Nippen. Allerhöchstens.
Beim Abendmahl in der Kirche stillt man ja auch nicht den irdischen Durst
(und wird weinselig). So taugen die "aufwändig kleinen" Minikelche von
Joaquim Capdevila (bis 5. Juni in der Galerie Slavik, Himmelpfortgasse
17), die ein Fassungsvermögen haben wie vielleicht fünf "volltrunkene"
Zecken, eher zur symbolischen mündlichen Geste. Zum zeremoniellen,
besinnlichen Schluckerl. Und wenn man's Nippen addiert, kommt man auf
insgesamt 60 Schlückchen, die quasi in einem Setzkasten Platz hätten: 60
unglaublich variantenreiche "Kelchkonzentrate" (von verspielt filigran bis
"massiv" architektonisch). Schmucke Trinkminiaturen. "Schluckschmuck"
eben. Für die kostbarsten Momente des Augenblicks. Oder zum Führen von
Schluck-Annalen, wo doch Capdevila für jedes seiner Lebensjahre einen
Kelch gefertigt hat und jetzt seines ganzen bisherigen Lebens einfach mit
60-maliger Aktivierung des Schluckreflexes gedenken kann.
Erschienen am: 21.05.2004 |
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