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Wien:
"Lebt und Arbeitet in Wien" Kunsthalle Wien

 
   
   

Es ist alles da: eine Ausstellung mit internationalem, aber nicht überraschendem Standard, eine Lounge mit Film- und DJ-Programm, ein knapp dreihundert Seiten starker Katalog, drei renommierte KuratorInnen mit "Blick von außen" (Paulo Herkenhoff/New York, Maaretta Jaukkuri/Helsinki, Rosa Mart'nez/ Barcelona) mitsamt Wiener Beraterin (Sabine Schaschl), ein grundsolides Design von D+. Und doch bleibt die Ausstellung eine Erklärung schuldig: Gibt es nicht wichtigere Themen als "Wien", "Berlin" oder "London"? Denn: Wo Wien war, soll nun "Wien" werden. Die im Katalog als zeitgeistig-humoristischer Appendix abgedruckten Insidertipps mit Lieblingsorten Wiener KünstlerInnen dienen wohl kaum der Erklärung von Produktionsbedingungen, sondern sind eher der Abbildung eines Spektakels zuträglich. Der in Form, Farbe und Layout dem Wiener Stadtplanführer nachempfundene Katalog kippt schließlich dorthin zurück, wovon er ironisch ausging: Er wird zu einem Wiener Stadtplanführer und behauptet somit eine unmittelbare lokale Bedingtheit von Künstler, Werk und Ort. Dieses Charakteristikum des gesamten Ausstellungsprojekts ist dabei nicht wienspezifisch,sondern kennzeichnet eine generell gerne umgangene Globalisierungsproblematik. In diesem Fall müsste die Kritik an der Repräsentationskraft des gewählten Ansatzes bei der Frage einhaken, ob es "Wien" überhaupt gibt. Oder ist "Lebt und arbeitet in Wien" nur ein weiterer Alias auf der "Benutzeroberfläche Stadt", wie Dietmar M. Steiner in seinem Katalogessay die gegenwärtige Verfassung des europäischen Urbanismus unter den Bedingungen des Event-Marketings kennzeichnet?

Angesichts der inhaltlichen Limitierung der Ausstellung auf "Wien" wirkt der Großteil der zumeist eigens für die Ausstellung produzierten Arbeiten von KünstlerInnen, "die entweder in Wien leben oder in ihren Arbeiten den Kontext Wien thematisieren", wie die Umsetzung einer akzeptierten, aber nicht durchgängig reflektierten oder gerade heiß erwarteten Aufgabenstellung. Ausnahme hierzu sind vor allem die Videoarbeiten innerhalb der Ausstellung: "W.A.S.T.E." von Roland Rust und Johannes Schweiger, das den von W. J. Mitchell vorgeschlagenen Vergleich von Stadt und Festplatte anhand der Wiener Müllentsorgung reflektiert, Ruth Kaaserers fein verfolgte Bewegungen von fußballspielenden Teens in Wien und London, "Casts & Credits", die als in einem Filmabspann vorbeiziehenden Namen der Wiener Kunstszene, aufgeführt von Oliver Croy und Ricarda Denzer, oder Julius Deutschbauers serielles Biertrinken aus österreichischen Flaschen. Auf der anderen Seite stehen die Werke derer, die zwar in Wien leben, aber in ihren Arbeiten den Kontext Wien nicht thematisieren, wie Florian Pumhösls Buch mit Architekturfotografien aus Armenien, Paul Divjaks träumerisches audiovisuelles Environment "Journey" oder die von körperlichen Gesten erzählenden Zeichnungen Ulrike Lienbachers. Insgesamt erschließt sich eine artige Aneinanderreihung von Positionen, die das Leben und Arbeiten in Wien in der Gesamtschau als Zustand darstellt, der zwar durch die in mindestens zwei der Katalogessays umfassend analysierten kulturpolitischen Rahmenbedingungen zusammengehalten wird, aber auf der Ebene der Produktionsbedingungen die einzelnen KünstlerInnen als quasi-monadische lokale Subjekte präsentiert. Für das Unternehmen, "eine Art ÝmillennialeÜ Positionsbestimmung Wiens als Kunststandort" darzustellen (Kunsthallendirektor Gerald Matt), liegt der Impuls demnach dort, den nun für Wiener KünstlerInnen wieder erwerbbaren Standortvorteil auf der Karte internationaler Imagekoordination aufpoppen zu lassen: Partner für Wien und Children of Vienna.

Matt schlägt zudem eine Definition der Ausstellung als "Dechiffriergerät diskursiver Vernebelungen und politischer Strategien" vor, nicht als "Agitpropinszenierung, die sich als Mobilisierungsmodul versteht", und untermauert dies durch eine Bemerkung der in der Ausstellung vertretenen Elke Krystufek, nach welcher die Kunst heute der einzi- ge Ort sei, "an dem politische und gesellschaftliche Skandale kompromisslos angegangen werden können." Dem Anspruch auf Kompromisslosigkeit muss jedoch alleine schon im Hinblick auf die in den Essay beschriebenen strukturellen Verflechtungen der Kunstszene faktisch widersprochen werden, ebenso wie der Ausschließlichkeit der Kunst als aufklärerischem Leitmedium. (Wo bleibt in der Ausstellung zum Beispiel der Wiener Internetaktivismus?)

Mobilisierung, also ein "In-Bewegung-Setzen", hätte zudem der Ausstellung besser getan als ein stoischer "Längsschnitt durch die aktuelle Produktion" der durch die Anzahl unabhängiger Projekte nicht gerade gesegneten Stadt. Eine tatsächliche Aktivierung statt Repräsentanzverdoppelung vor Ort hätte selbstredend auch Vereinnahmung bedeuten können -einen Versuch wäre es wert gewesen.

martin conrads

 
     

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