Als Kunstkritikerin einmal so richtig nach Worten zu ringen, das ist schon ein befremdendes Gefühl. Aber es ist eine Tatsache geworden angesichts der Eindrücke, die bei dieser thematisch gegliederten, vom Linzer Gottfried Hattinger mit einer grandiosen Farb- und Lichtregie in Szene gesetzten Ausstellung die Sinne überschwemmen.
Denn eine seltsam rauschhafte Intensität überwältigt einen bereits beim Eintritt in den ersten Saal im zweiten Stock des Linzer Museumsgebäudes: Auf nobel messinggrün schimmernden Wänden glänzen hier Henri de Toulouse-Lautrecs (1864–1901) Gemälde und Zeichnungen zum Thema „Landleben“ wie hochkarätige Solitäre.
Durch spezielle Spots (Fa. Zumtobel) erlebt man die Kostbarkeiten in den je nach Thema von grün über blaugrau bis rot akzentuierten Räumen zum einen blendfrei, zum anderen von einer feinen Aura umgeben und von einem Lichtfleck auf dem Boden davor markiert. Jedes einzelne Werk des Kunst-Stars aus der französischen Belle Époque wird so zu seiner eigenen leuchtenden Insel. Und das garantiert dem jeweiligen Betrachter auch eine ganz besondere Intimität.
Berühmte PlakateSolcherart tritt man etwa in Kontakt zu „Reiter mit kleinem Hund“ (1879), das der durch einen Gendefekt und zwei Unfälle kleinwüchsig gebliebene Spross einer französischen Adelsfamilie im Alter von fünfzehn Jahren malte. Bereits hier zeigte sich sein Gefühl für Raumwahrnehmung, für exzellente Raumvermittlung durch präzise gesetzte Kontraste, wie er sie später in seinen berühmten Lithographie-Plakaten für das Moulin Rouge zur Meisterschaft führte. Bei diesem Linz09-Beitrag des Landes Oberösterreich sind auch sie präsent: jene von „Aristide Bruant“, jene von den CanCan-Tänzerinnen der „Troupe de Mlle. Englantine“, jene von „Jane Avril“, die ein schwarzbestrumpftes Bein neckisch ins Publikum reckt.
Spezielle PerspektiveUnd der „intime Blick“ zeigt auch die ebenso delikate wie künstlerisch hochkarätige „Elles“ (=Sie)-Serie, in der Toulouse-Lautrec in phänomenalen Gemälden und Lithos den Alltag des Bordell-Lebens spiegelte. Ein zauberhaftes Stimmungsbild ist da etwa „Frau mit Tablett – Frühstück“ (1896), bei der „Madame Baron“ ihrer ebenfalls im Puff tätigen Tochter „Mademoiselle Popo“ den Tee serviert. Höchst berührend wirkt im Kontrast dazu die „Frau auf dem Rücken liegend – Erschöpfung“ (1896) nach einem Tag harter Arbeit.
Wie Museumsdirektor Peter Assmann im großen Interview mit Medienpartner OÖN angekündigt hatte, soll die Auswahl der rund siebzig Leihgaben, die aus Museen von Albi – Toulouse-Lautrecs Geburtsort – bis Paris oder New York nach Linz gekommen sind, eine Ausrichtung auf den Menschen zeigen. Titelgemäß auch jenen „intimen Blick“, den die spezielle Perspektive des „kleinen Malers“ ergab.
Und das gelingt vorzüglich neben all dem
Versinkenkönnen in Toulouse-Lautrecs Bild-Lust, neben den multiplen
Kunst-Orgasmen, die hier möglich sind. Ein Genuss, der auf vielen
Ebenen verzaubert.