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Nitsch und Klimt, Blutsbrüder

09.05.2008 | 18:22 | ALMUTH SPIEGLER (Die Presse)

Zum 70er Hermann Nitschs zeigt sein Museum die Secessions-Malaktion.

Pfingstrosen statt Schwertlilien und Margeriten. Eine lange Halle statt einer quadratischen. Eine Reihe von Bildern an den Wänden hängend statt wie ursprünglich am Boden liegend. Das sind aber auch schon die einzigen Konzessionen, die Hermann Nitsch bei der Neuinszenierung der Relikte seiner legendären größten Malaktion mit Blut und roter Farbe, der Nummer 20 in der Secession 1987, im Hauptteil der großen Halle seines Museums in Mistelbach machen musste bzw. wollte. Sie lassen – vor allem aus frontalem Blickwinkel – auch heute noch gut den gewaltigen Eindruck erahnen, den diese Runduminstallationen damals in der Wiener Künstlervereinigung gemacht haben müssen, als dieser historische erste White Cube in einer Woche präziser berserkerischer Mal-, Schütt-, Spritz- und Wischarbeit innerlich zu verbluten schien.

„Gigantisch Rot“, so der Titel dieser zweiten Schau seit Eröffnung des Mistelbacher Museums vor einem Jahr, ist also keine Übertreibung. Die Wucht dieses ultimativen Urexzesses eines Künstlers in und mit seiner Lebensfarbe – danach ließ er die „Farben des Regenbogens“ in seine Bilder strömen – beeindruckt heute wie damals durch schiere Größe und perfekt konservierte Unmittelbarkeit, etwa die Abdrücke nackter Füße, als sei der Meister gerade eben erst übers rote Farbenmeer gewandelt. Zehn mal zehn Meter groß ist das Bodentuch, 20 mal fünf Meter das an der Wand. Zusätzlich entstanden 53 weitere Schüttbilder auf Jute und Leinwand – von der Materialschlacht holte Nitsch sich seine erste Terpentinvergiftung, erinnert er sich, bald wechselte er zu Acrylfarben.

Nach der öffentlichen Aktion wurden die Bilder dann in einer weiteren Woche ohne Publikum „korrigiert“, das für die erste Schicht verwendete Blut trocknete braun, die Ölfarbe im Vordergrund blieb kräftig rot. Mit Blumen, Tischen, Tragen, Monstranz, Messgewand und Malhemden in Vitrinen wurde alles sorgsam zum meditativen Andachtsraum eines dionysischen Malfests arrangiert – ein Raum, der an diesem historischen Ort allerdings nicht allein fürs „Orgien Mysterien Theater“ stand und stehen konnte. Sondern auch und vor allem für einen, den der Aktionist stolz zu seiner Ahnenschaft zählt: Gustav Klimt, Gründer der Secession, dessen Beethovenfries den Betrachter im Untergeschoß ebenso panoramaartig umfängt wie Nitschs Installation. Wie dieser war der Jugendstilmaler ein Verfechter des Gesamtkunstwerks, war jemand, der Kunst als Religionsausübung sah, als eine alternative Lebens- und Glaubensform. Daher auch die bei Nitsch so oft in gekreuzigter Form auftauchenden Malhemden, die schon Klimt weniger als Arbeitsmantel denn als Priestergewand empfand.


Und Roger Buergel hielt das Lamm

Im Rückblick ist diese 20.Malaktion also nicht nur eine körperliche und künstlerische Höchstleistung Nitschs gewesen, ein Konzentrat seiner damals nach langjähriger Pause wieder aufgenommenen reinen Malaktionen, sondern auch eine bewusste Verortung in Österreichs Kunstgeschichte. Die unter Edelbert Köbs Secessions-Präsidentschaft möglich gewordene Aktion, die bis heute als ein Korpus in privater Sammlerhand bewahrt werden konnte, war Nitschs erster großer Auftritt in einer Wiener Institution. Und historisch ist auch fast schon die damalige Besetzung: Unter den vier, fünf Assistenten, die Nitsch damals zur Hand gingen, erkennt man auf Video und Fotos auch den damals noch sehr jungen Leiter der 2007 stattgefundenen Documenta 12, Roger M. Buergel, wie er etwa mit sanftem, fast schüchternem Blick zur Seite das Innere eines Lammkadavers präsentiert.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 10.05.2008)


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