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"Faltung": Wem der goldene Gong schlägt

22.07.2007 | 19:19 | NICOLE SCHEYERER (Die Presse)

Graz. Camera Austria zeigt erste Einzelausstellung Wolfgang Tillmans in Österreich.

Da haben wir ihn wieder, den Partyschauplatz verwüstet am Tag danach, wie Wolfgang Tillmans seit Beginn der 90er so viele fotografiert hat. Verstreuter Müll und leere Bierflaschen in einem unmöblierten, hellen Raum, bei dem es sich um ein Atelier handeln dürfte. Interessanterweise tritt erst auf den zweiten Blick das Foto im Zentrum der Aufnahme zu Tage. Auf einer Stellwand hängt mitten im Raum ein abstraktes Bild, das von weiß in grau übergeht. Noch mehr partyferne Elemente werden sichtbar: Sind das dort hinten etwa Gräser, die von den Kleiderbügeln hängen? „End of Winter“ nennt Tillmans diese sorgsam aufgenommene Szene, in der er mehrere seiner wichtigsten Bildgenres vereinigt: Das Thema Sub- und Partykultur spielt im Werk des bald 40-Jährigen eine ebenso starke Rolle wie Naturstillleben, neuerdings auch ungegenständliche Motive.

Bekannt und gefeiert wurde Tillmans jedoch für seine Porträts. Anfang der 90er-Jahre fotografierte der 1968 geborene Norddeutsche seine Lebensmenschen und deren soziales Umfeld, das heute wohl niemand mehr mit dem peinlichen Label „GenerationX“ bezeichnen würde. Schnappschüsse der Berliner Love Parade machten den Fotografen berühmt, der zuvor in Modemagazinen wie „i-D“ oder „The Face“ publiziert hatte.


Genug des satten Hochglanzes!

Diesen ungeschönten und dennoch poetischen Bildern wurde das Prädikat „authentisch“ verliehen, wiewohl ihr Kunstanspruch doch von Anfang klar zu erkennen war. Tillmans etablierte einen neuen Stil in der Modefotografie, der wenig von satter Hochglanzästhetik hatte. In Interviews weist der heute in London lebende Künstler besonders auf formale Überlegungen hin, die in seiner aktuellen Schau nicht zu übersehen sind.

Wie eine abgestreifte Schlangenhaut erscheint der schlammfarbene Overall auf dem Bild „suit“ (1997). Der Hosenanzug hängt vor weißen Fliesen. Steht sein Besitzer gerade unter der Dusche? Ein „Ritsch“ des Reißverschlusses und so ein Kleidungsstück steht offen. Das (homoerotische) Begehren funktioniert als die Folie, vor deren Hintergrund der Künstler mal mehr, mal weniger offen agiert.

Der Ausstellungstitel führt uns aber zu einer anderen Sichtweise: „Faltung“ nennt sich die Schau bei Camera Austria, die erste Personale des Turner-Prize-Trägers in Österreich. Tillmans weist auf die Darstellung von Gewandfalten hin, die er im Lauf der Jahre immer wieder unter die Lupe genommen hat. Was gemeinhin ein kunsthistorisches Forschungsfeld darstellt, ist natürlich auch für die Modefotografie von entscheidender Bedeutung. Für die neuen Arbeiten faltet der Künstler auch Fotopapiere. Entwickelte Bögen schlägt er so ein, dass sie von der Seite wie Tropfen aussehen.


Tropfen wie Gefäße

Tillmans lässt seine großformatigen „Paper drops“ wie Gefäße erscheinen, die das Sichtbare verwahren. Daneben hängen malerische abstrakte Bilder, die ohne Kamera zustande kamen. Tillmans experimentiert mit Fotopapier, wie es vor ihm schon andere und weitaus interessanter getan haben.

Aber auch diese Arbeiten kommen in der genau kalkulierten Wechselwirkung der Ausstellung zur Geltung. Wenn dort etwa zwischen den Fotos plötzlich ein kleiner Gong aus Gold an der Wand hängt, so korrespondiert dieser mit dem riesig vergrößerten Zeitungsartikel „the dark side of gold“ aus der New York Times. Der Text berichtet über Umweltschäden durch Goldabbau und die Proteste dagegen; gleich daneben prunkt ein auratisch ausgeleuchteter Ring auf einer Juwelierswerbung. Fein ausbalanciert existiert bei Tillmans stets beides nebeneinander, das Begehren als Schönheit und meditative Kraft ebenso wie als Lebenshunger und Zerrissenheit.

Wolfgang Tillmans „Faltung“, bis 9.9., Camera Austria, Kunsthaus Graz, Lendkai 1

("Die Presse", Print-Ausgabe, 23.07.2007)


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