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23.05.2006 - Kultur&Medien / Ausstellung
Kinetismus: "Ideenlabor junger Frauen"
Im Wien Museum erinnern 400 Objekte an Österreichs vergessenen Beitrag zur Avantgarde der 1920er Jahre.

"Der Wiener Kinetismus war vorwiegend ein Ideenlabor junger Frauen", erläuterte Wolfgang Kos, Direktor des Wien Museum am Karlsplatz, die Ausstellung "Kinetismus. Wien entdeckt die Avantgarde". Mit rund 400 Objekten, die zu 90 Prozent aus der hauseigenen Sammlung stammen, will man im neuen Sonderausstellungs-Saal des Wien Museum ein Zeichen setzen, um jene kunsthistorisch kaum aufgearbeitete, kurze Epoche der Jahre von 1918 bis 1924, "wieder oder neu zu entdecken", so Kos. Zu sehen sind Bilder, Fotos und Übungsblätter aus der damals berühmten Klasse Franz Cizeks für "Ornamentale Formenlehre" der Kunstgewerbeschule. Die Schau ist von 25. Mai bis 1. Oktober zu sehen.

Von Direktor Kos in Vorbereitung der Schau angehalten, die Notwendigkeit einer solchen in "einem Satz" zu begründen, sagte Kuratorin Monika Platzer: "Der Wiener Kinetismus ist einer der wenigen Beiträge Österreichs zur internationalen Avantgarde." Umso verwunderlicher sei es, dass die Kunstgeschichte jene Zeit und das Werk begabter Künstlerinnen rund um den Kunstpädagogen Franz Cizek ((1865 - 1946) bis heute "so ignorant" behandle, meinte Platzer.

Kinetismus: Kunst der Frauen

Der Kinetismus entstand als revolutionäres pädagogisches Experiment an der damaligen Kunstgewerbeschule in der Klasse Cizeks, und hatte seine Anfänge noch im Expressionismus, um sich in Konfrontation mit Futurismus und Kubismus zum "Kinetismus" hin zu verfeinern. Zu den "Stars" der Bewegung zählten die Künstlerinnen Erika Giovanna Klien, My Ullmann und Elisabeth Karlinsky. Vorwiegend Frauen besuchten seine Klasse, da sie dort im Gegensatz zur Universität bereits studieren durften. Cizek unterrichtete seit 1904 an der Kunstgewerbeschule, und arbeitete beständig an seinem reformpädagogischen Konzept, das auf "schöpferischem Gestalten statt bloßem Abbilden" im Unterricht setzte.

Cizek führte die, damals in der internationalen Kunstszene berühmte Klasse, wie ein "Labor", und ließ seine Schülerinnen zunächst Emotionen in expressionistische Formen umsetzen, um einen "schöpferischen Automatismus" zu bewirken. Der "Mystik des Herzens" ließ Cizek die "Mystik des Kopfes" folgen, wobei die kubische und mathematische Existenz der Dinge erfasst werden sollte. Am Ende dieses Prozesses stand der Kinetismus als "ein vom Leben durchpulster Aktivismus", wie Cizek im Pressetext zur Ausstellung zitiert wird. 1920 fand eine große Ausstellung von Werken aus der Cizek-Klasse in Wien statt, und ab 1923 tourten Wanderausstellungen der Klasse durch die USA. 1924 wurde der Kurs für "Ornamentale Formenlehre" auf Grund von Umstrukturierungen der Schule an seinem künstlerischen Höhepunkt aufgelöst.

Das Werk der Schülerinnen, die zeitlebens bis auf Ausnahmen wie Klien, Ullmann und Karlinsky mit dem Stempel des "Kunstgewerbes" versehen blieben, geriet weitgehend in Vergessenheit. Die Schöpferinnen hochwertiger künstlerischer Arbeiten erlitten dabei "ein ähnliches Schicksal wie die Schaffenden der Wiener Werkstätte, die großteils anonym blieben", so Kos. Erst in den späten 60er Jahren wurde der Nachlass Cizeks in einer Volksschule wieder entdeckt und aufgearbeitet, und kam 1974 an das Historische Museum der Stadt Wien. Die ihm gewidmete Ausstellung von 1985 konzentrierte sich aber weniger auf die Werke des Kinetismus, als auf Cizeks pädagogische Arbeit.

"Raum für Werke des 20. Jahrthunderts" fehlt noch

"Es gibt eine große Scheu der Museen, sich mit der Wiener Kunst der 20er und 30er Jahre zu befassen, da sie nicht so publikumserprobt sind wie die Kunst der Jahrhundertwende", meinte Kos, der sich überdies als "sehr zufrieden" nach dem Umbau des Wien Museum bezeichnete. Einzig das Projekt "Raum für Werke des 20. Jahrhundert" sei noch offen, wofür Kos weitere 1000 Quadratmeter benötigen würde. Eine Option wäre eine Etage des Künstlerhauses, doch sei die Verhandlung mit Stadt Wien und Bund darüber erst im Gange. "Bis Jahresende sollte aber ein Entscheidung gefallen sein", so Kos gegenüber der APA. Auch über die Umgestaltung des Karlsplatz ist Kos froh: "Jetzt werden wir von den Passanten viel besser gesehen als früher." (APA)

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