diepresse.com
zurück | drucken
29.10.2002 - Ausstellung
Wo schlummert die Zukunft? Im Blob!
"Latente Utopien", die große Ausstellung des heurigen Steirischen Herbst im Grazer Joanneum, macht aus einer festgefahrenen Architektur-Schau das Beste - einen Abenteuerpark.
VON ALMUTH SPIEGLER


Hoch oben, fast an der Decke des Raumes, ist es wohlig warm und weich. Entspannt kann man sich gegen den schwammigen orangen, grünen, blauen, pinkfarbenen Kunststoff lehnen, eingelullt von sphärischen Klänge und wechselnden Farbspielen. Im Herzen der Ausstellung "Latente Utopien" hat Andreas Thaler im Grazer Joanneum eine "Liquid Lounge", ein flüssiges Wohnzimmer eingerichtet.

Nach dem Modell eines auf eine Wasserfläche aufschlagenden Tropfens hat der österreichische Architekt bis an die Decke eine regenbogenfarbene Arena eingebaut. Durchgehend aus einem an der Oberfläche spiegelnd glatten, darunter angenehm weichen Kunststoffmaterial - wie "gefrorenes Wasser", meint Thaler.

Star-Architektin Zaha Hadid hat für die große Steirische Herbst-Ausstellung gemeinsam mit Patrik Schumacher 27 Architekten-Teams aufgefordert, ihre "latenten", also schlummernden, Zukunftsvisionen aufzuwecken und in Graz zu präsentieren, darunter auch vier österreichische Gruppen. Von diesen allen sind Coop Himmelb(l)lau wohl die am längsten arrivierten Teilnehmer, "hip" und "angesagt" dagegen viele jüngere.

Zwei Zugänge bietet die bunte Ausstellung: Entweder streunt man angetrieben von intelligent geschürter Neugierde von einem Raum in den nächsten - hell, abgedunkelt wechseln sich ab, es gibt überall etwas zu entdecken, zu erleben. Ein Text als Labyrinth, knallige Objekte zum hinein- und durchkriechen (von US-Designer Karim Rashid und Propeller Z), interaktive Fußböden (AADRL). Ein solches Flanieren bricht das Klischee einer Architektur-Schau mit sterilen Modellen, Plänen, Computeranimationen.

"Latente Utopien" ein Kinderspielplatz? Spaß ist hier nicht verboten, doch die Erwartungen an eine Utopie werden enttäuscht: Zwar bemüht man sich anscheinend nach allen Computerkräften, utopische Formen zu generieren, doch erschöpft sich das auffällig oft in der immer gleichen glatten, gerundeten - organischen - Struktur. So kommt es etwa, daß sich zwei bei der Schau gezeigte Entwürfe für das World Trade Center - einer von Foreign Office Architects, der andere von Nox - verwechselbar ähneln: Wie Tentakel winden sich schlanke Türme himmelwärts. Privathäuser, Museen, Hallen schmiegen sich körperhaft in ihre Umgebung. Auch die Innenräume und Möbeln scheinen zu schwingen.

Der Trick mit der Blase

Diese weichen, "soften" Linien - Softroom nennt sich auch gleich eine britische Gruppe - können auf die Forschungen des US-Architekturtheoretikers Greg Lynn zurückgeführt werden. Mit ihm läßt Zaha Hadid auch die Ausstellung beginnen. Lynn - der soeben die Meisterklasse von Hans Hollein an der Wiener Angewandten übernommen hat - führte Computerprogramme, die Hollywood etwa für Special Effects verwendet, in die Architekten-Ateliers ein. Und er fand auch den Namen für die neue Grundform des Entwurfs: "Blob", Blase. Geschnürt, abgeschnitten, gebläht und eingedellt ist sie ein beliebter Ausgangspunkt zur Ideenfindung - man denke nur wenige Meter über das Joanneum hinaus an die Plexiglas-Hülle des Grazer Kunsthauses, das derzeit am Murufer im Bau ist.

Die Zukunft der Architektur: eine Blase? Im Moment scheint man sich - wie auch lange Zeit im Bereich Design, als etwa eine Autokarosserie eben rund zu sein hatte - an der relativ neuen Technik zu proben. Bis man sie verinnerlicht hat und der "Blob" auch wirklich in die Zukunft weist, wird diese wohl noch ein Stück näher kommen müssen.

So wölbt es sich in der Architektur derzeit also heftig. Der seit Jahren theoretisch brodelnde Richtungsstreit "blob" gegen klassische "box" scheint - wenigstens im Steirischen Herbst - klar entschieden zu sein.

Bis 2. März; Di. bis So. 10 bis 18 Uhr, Do. 10 bis 20 Uhr.



© Die Presse | Wien