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727--Die Worte von den neuen Erzählungen
Das
Auditorium des Berliner “Hauses der Kulturen der Welt” war beinahe gefüllt -
vermutlich weniger weil jener Mann sprechen sollte, der in den letzten beiden
Jahren bereits zweimal hier auftrat, sondern vielmehr, weil sein Vortrag einen
intellektuellen Zugang zur documenta11 versprach. Eine Initiation in jenes
Unterfangen, dass sich dieses Mal sowohl personell wie auch konzeptionell
ausgesprochen postkolonial gibt. Es macht weniger durch Spekulationen um das
Kunstereignis von sich reden, als vielmehr durch die ausgesprochen akademischen
Symposien in fünf verschiedenen Städten auf vier verschiedenen Kontinenten.
“Intellektuell bestimmt und methodologisch wagnisreich” will sie sein, diese
Post-Catherine-David documenta, die genau genommen bereits begonnen hat, da sie
die abschließende Ausstellung in Kassel und die akademischen Vorträge als
gleichberechtigte Plattformen begreift. Und so geht es, den Ausführungen Okwui
Enwezors zufolge, denn auch vor allem darum, die Produktionsbedingungen von
Kunst, Wissen und Bedeutung zu reflektieren.
Die Plattform1, deren
zweiter Teil nun in Berlin startete (der erste fand in der Akademie der
bildenden Künste in Wien statt), trägt den Titel “Demokratie als unvollendeter
Prozeß”. Sie besteht aus einer Vorlesungsreihe, an der mit Stuart Hall, Slavoj
Zizek, Immanuel Wallerstein, Chantal Mouffe, Manuel de Landa, Michael Hardt,
Antonio Negri, Homi Bhabha und Ernesto Laclau so ziemlich jeder aus den
derzeitigen linksintellektuell-kulturwissenschaftlichen Charts teilnimmt.
Aufgabe ist es, das neoliberale Demokratieverständnis zu problematisieren und
sich dabei kritisch auf die globale Marktwirtschaft und die Politik der
transnationalen Interessengemeinschaften zu beziehen. Dabei gilt es nicht nur,
Fukuyamas These vom Ende der Geschichte und der Absolutheit des westlichen
Demokratiemodells, sondern vor allem auch Huntingtons Ausführungen über den
Kampf der Kulturen zu widerlegen. Denn es ist die verführerische Einfachheit von
Huntingtons Dichotomie, die sich angesichts der Zunahme von nationalistischen
und fundamentalistischen Gruppierungen sowie den globalen Flucht- und
Immigrationsbewegungen, gerade auch nach den Ereignissen vom 11. September,
gemeinhin als Diskurs zu etablieren scheint.
Homi Bhabha, der den
zweiten Teil der Plattform 1 in Berlin eröffnen sollte und dessen Name wie kein
anderer für postkoloniale Reflexionen über Politik und Erkenntnis bürgt, aber
kam nicht - zumindest nicht in Person. Er hatte, wie in der Begrüßung vage
vermittelt wurde, Flugangst. Dennoch sprach er, per Videotechnik zugeschaltet
und überlebensgroß projiziert live aus einem der ruhmreichsten Orte der
akademischen Hemisphere: Harvard. Und auch wenn Bhabha de facto tausende von
Kilometern entfernt vor einer Kamera dozierte, verwandelte sich seine
Abwesenheit im Auditorium dennoch in eine eigentümliche Anwesenheit, eine intime
Nähe zu der Mimik und Gestik des Literaturwissenschaftlers, in die man beim
Mitlesen des von ihm selbst abgelesenen Textes immer weiter zu versinken schien
- anderthalb Stunden und 22 Seiten lang.
Homi Bhabhas
Vortrag widmete sich der Frage, welchen Erzählungen und Texten man sich
angesichts des 11. Septembers zuwenden könne, um die verführerisch einfache
Rhetorik eines Kulturkampfes zu überwinden (wobei er das Wort Islam bewußt
vermied). Er schlug vor, sich den Geschichten derer anzunehmen, die die
Entwicklung der westlichen Demokratien aus einer anderen Perspektive erlebt
hätten. Denn, so Bhabha, die Folgen des Kolonialismus der Moderne und das
Spannungsverhältnis zwischen dem Selbstverständnis und der Machtpolitik
westlich-demokratischer Staaten komme vor allem in den Biographien und
Erzählungen von Migranten zum Ausdruck. Dieses Spannungsverhältnis, das man
nicht als Antagonismus, sondern als ein Dr.Jekyll-and-Mister Hyde-Antlitz der
liberalen Demokratiegeschichte verstehen sollte, kennzeichnet nach Ansicht
Bhabhas auch die derzeitige Weltordnung, in der staatliche Rechtsprechung und
universale Menschenrechtsforderungen im Widerspruch zueinander stünden. Das
Aufeinanderprallen von Recht und Ethik findet laut Bhabha vor allem in jenem
Zwischenraum statt, der den gesellschaftlichen Status sogenannter Minderheiten
kennzeichne und von dem ausgehend, eine neue Geschichte erzählt und geschrieben
werde. Nach Ansicht Bhabhas gilt es, diesen Geschichten Gehör zu verschaffen und
- so kann man stillschweigend hinzufügen - der Annahme Glauben zu schenken, dass
seine Ausführungen für eben solche Erzählungen eine erkenntnistheoretische Lanze
brechen könnten.
Bhabha zitierte und paraphrasierte vor allem den
marxistischen Geschichtsphilosophen und langjährigen Gefängnisinsassen Antonio
Gramsci. Desweiteren nahm er Bezug auf das photographische Projekt “Fish Story”
von Alan Sekula, welches er bereits in seinem einleitenden Kapitel zu “Location
of culture” ausführlich beschrieben hatte und zitierte den westindischen
Schriftsteller Derek Walcott, auf den er auch in dem Aufsatz “Wie das Neue in
die Welt kommt” eingeht. Und so war es denn auch nicht etwa die Neuartigkeit der
Referenzen oder der argumentativen Zusammenhänge, welche den Vortrag
auszeichneten, sondern vielmehr Bhabhas konkrete Kritik an der
UN-Rassismuskonferenz in Durban und sein überraschend offenes Plädoyer für die
Vision eines demokratischen Sozialismus.
Sein einleitendes Versprechen
aber, eine andere Perspektive auf die Ereignisse vom 11. September anbieten zu
wollen, blieb trotz oder gerade wegen des hilflosen Herbeizitierens von Foucault
und Wittgenstein erstaunlich uneingelöst. Eben diesem Versprechen galt denn auch
die erste Frage aus dem Publikum, inwiefern terroristische Gruppierungen nicht
ein Teil des von Bhabha emphatisch besetzten Zwischenraumes seien. In seiner
Antwort verschanzte sich der Wissenschaftler erneut hinter der Wirkungsmacht von
Referenzen, in diesem Falle hinter Gramsci. Es war vor allem der Kunsthistoriker
Horst Bredekamp, der in dem anschließenden Gespräch das uneingelöste Versprechen
Bhabhas zu kompensieren vermochte, indem er ausführte, dass die per definitionem
bilderlose Demokratie in dem zusammengestürzten zweiten Turm des World Trade
Centers ihr erstes Negativ erhalten habe. Der Eindruck aber, dass einem die
Veranstaltung die von ihr selbst heraufbeschworene Perspektivierung der
Ereignisse der letzten Wochen letztlich schuldig geblieben sei, blieb dennoch
bestehen.
Im Nachhinein jedoch stimmte der Vortrag Bhabhas weniger durch
sein uneingelöstes Versprechen als vielmehr im Hinblick auf die Frage
nachdenklich, welche Einwirkungen die akademischen Ausführungen der ersten vier
Plattformen auf die abschließenden Ausstellung in Kassel haben könnten. Denn der
Literaturwissenschaftler aus Harvard zitierte neben Artikeln von
Menschenrechtlern und philosophischen Aufsätzen lediglich an einer, wenn auch
mit den pathetischen Worten “the poet speaks” hervorgehobenen Stelle, aus einem
literarischen Werk. Diese eine Stelle, das Gedicht Walcotts, aber wurde von
Bhabha nicht etwa interpretiert, sondern paraphrasiert und illustrierte vor
allem dessen eigene Gedankenführung. Es bleibt zu hoffen, dass dieses Verwenden
von Kunst als Illustration von Theorie sich retrospektiv nicht als maßgeblicher
Zusammenhang zwischen den verschiedenen Plattformen der documenta11, den
akademischen Vorlesungsreihen und der Ausstellung, herauskristallisieren wird.
Mirjam Wenzel |
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