Mehr denn je ist
die Kunststadt Berlin ein Reizthema. Wir fragten Berliner
Galeristen nach ihrer Meinung zum Stand der Dinge im fünften
Jahr der Kunstmesse "art forum", nachdem sich die Szene durch
zahlreiche Zuzüge von Künstlern und Kollegen grundsätzlich neu
sortiert hat und die Regierung am Ort ist. In lockerer Folge
werden wir auf den folgenden sonnabendlichen Kunst &
Markt-Seiten weitere Galeristen und Kenner zu Wort kommen
lassen. D. Red.
Max Hetzler
Berlin hat in den letzten fünf Jahren als Kunststadt Köln
abgelöst dank einer neuen Generation von Künstlern und
Galeristen. Der Markt allerdings befindet sich nach wie vor im
Rheinland mit seinen Traditionen des Sammlens, seinem
Engagement für Kunst der Gegenwart und seiner langen
Händlertradition. Unser Kapital liegt in der anhaltenden
Attraktivität der Stadt. Sie zieht die Künstler an und
animiert sie zum Bleiben. Sie zieht die Kunsttheoretiker an,
die Publizisten und auch Sammler, die in die-ser besonderen
Mischung das Klima für Kunst beleben und für Reibung und
Auseinandersetzung sorgen. Der Diskurs der Gegenwartskunst
wird in den Berliner Galerien geführt. Trotzdem ist die
Neugierde und das Interesse der hiesigen Kuratoren und
Sammlungen noch bescheiden. Hier ist das "art forum berlin"
gefragt, eindeutiger auf die Vermittlung der Kunst der
Gegenwart zu setzen. Die Berliner Galeristen sind gefordert,
auf der Messe Kunst zu zeigen, die in Berlin gedacht und
produziert wird. Dadurch wird sich das "art forum" von allen
Messen unterscheiden und neue Sammler gewinnen.
Tim Neuger und Burkhard Riemschneider
Berlin hat wunderbare Kunstsammlungen, fantastische
Ausstellungshäuser wie das Alte Museum oder die Neue
Nationalgalerie und eine äußerst vitale Kunstszene. Die Stadt
genießt internationale Aufmerksamkeit und hat somit alle
Trümpfe in der Hand. Sie auszuspielen, fehlt ihr allerdings
offensichtlich die Weitsicht und der Mut. Wie kann man
zulassen, dass Klaus Biesenbach die Kunstwerke arrogant mit
der Dia Art Foundation (New York) vergleicht, dabei aber nicht
einmal die Professionalität aufbringt, Ausstellungen zum
angekündigten Termin zu eröffnen und auch wieder zu schließen?
Will man nicht, dass die Kunstwerke zum Ort für Debatten über
selbstkreierte Schlagworte wie Hybridität und Optionismus
verkommen und außer event- und DJ-Kultur nichts zu bieten
haben, muss ein neuer Leiter beziehungsweise eine neue
Leiterin her, der / die mit inhaltlichen Visionen für eine
stringente Ausstellungsfolge sorgt. Die Lebendigkeit eines
Museums beruht für uns auf dem Dialog zwischen Historischem
und Zeitgenössischem. Hugo von Tschudi hat das vorgemacht,
aber unter Peter-Klaus Schuster, der sich so gern auf Tschudi
beruft, ist davon nicht mehr viel zu spüren. Auch der
hochdotierte Kunstpreis, den Schuster und Raue mit
gönnerischer Selbstgefälligkeit offerieren, ändert zunächst
einmal wenig daran, dass das Museum des 21. Jahrhunderts die
Tendenzen in der Kunst des 21. Jahrhunderts kaum beachtet. Die
Krux in Berlin ist, dass Friedrich Meschede vom daad, der
einzige Kurator, der sich wirklich ernsthaft mit
zeitgenössischer Kunst befasst, kein eigenes Haus hat und mit
so faszinierenden Ausstellungen wie "Paul Thek", "Stan
Douglas", "Matt Mullican" und "Douglas Gordon" von einem Ort
zum nächsten wandert.
Die Berliner Messe hatte einen fulminanten Start, aber
warum erwartet man eigentlich heute, dass die großen
internationalen Kunsthändler hierher kommen, wenn nicht einmal
die Berliner Galerien für ihre Messe eintreten? In Deutschland
wird es längerfristig eine bedeutende Messe geben und nicht
drei. Wenn alle Berliner Galerien an einem Strang ziehen und
die Messe genauso zielstrebig aufbauen wie ihr eigenes
Programm, wird das die Berliner Messe sein.
Thomas Schulte
Berlin ist auf gutem Wege. Das verdankt es im Bereich der
zeitgenössischen Kunst seinen privaten Galerien. Diese haben
über zehn Jahre das Tor zur Welt geöffnet und der ersten nicht
mehr auf Übersubventionierung gefußten Künstlergeneration
internationalen Erfolg verschafft. Nun folgen die
Institutionen. Der Hamburger Bahnhof als Ort des kritischen
Diskurses mit wohlinformierten Kustoden, die unsere Galerien
durch Besuche von Innen kennen und den Wert unserer
Ausstellungen beurteilen und nutzen dürfen, ist vielleicht
baldkein Wunschdenken mehr. Dann werden wir auch mehr als eine
Handvoll kenntnisreicher und urteilsfähiger Journalisten über
zeitgenössische Kunst in Berlin schreiben sehen und
feststellen dürfen, dass das in Zürich, New York und London
gefeierte "art forum berlin" die stärkste und absurdeste
Kritik nicht mehr in der eigenen Stadt erfahren muss. Das Ende
der Provinz Berlin ist in Sicht!
Wolfgang Werner
Seit der Eröffnung unserer Berliner Dependence 1991 in der
Fasanenstraße haben wir eine Reihe monographischer
Ausstellungen sowie Themenausstellungen zur Kunst des 19. und
20. Jahrhunderts gezeigt - unter anderem Liebermann, Corinth,
Modersohn-Becker, Vuillard, Arp / Schwitters, Moholy-Nagy,
Dix, Fautrier, Tàpies und zur Zeit Stillleben von Bernard bis
Morandi. Wir knüpfen damit an die Berliner
Kunsthandelstradition der zwanziger Jahre an, als Berlin
Zentrum des Weltkunsthandels war. Diese legendären Jahre sind
es, die Künstler, Sammler, Museumsdirektoren und Kuratoren aus
aller Welt veranlassen, Berlin als eine der großen Metropolen
der Kunst zu besuchen. So ist Berlin bereits heute wieder -
nebenden traditionellen Kunststädten Köln und München - ein
gewichtiges Zentrum für den Kunsthandel in Deutschland.