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Leere Gläser sind tief

Aufzählung (cai) Da hat wohl einer einen klassischen Tierversuch wiederholt. Ungefähr 87-mal. Mindestens. Nämlich "Smirnoffs Kater". Äh, heißt das nicht "Schrödingers Katze"? Ja, aber das da ist die Version für Tierfreunde. Ach so: "Kater" (das Haustier der Alkoholiker). Auf den Bildern vom Emil Herker sieht’s jedenfalls aus, als hätten Quantenphysiker darüber diskutiert, ob ein Glas halb voll oder halb leer sei. Und dabei hätten sie sich gegenseitig unter den Tisch "argumentiert". Das Halb-voll-halb-leer-Problem löst ein Quantenphysiker ja so (besonders, wenn er durstig ist): Er macht einfach das Licht aus und behauptet, im Finstern sei das Glasl sowohl halb leer als auch halb voll.

Festlegen könne er sich erst, wenn er nachschauen tät’, für welche der beiden Möglichkeiten sich die Realität inzwischen entschieden hätte. Meistens für die dritte: Das Glas ist, wenn das Licht wieder angeht, völlig leer. Weil die Realität eben launisch ist. (Ist ein 40-prozentiger Wodka eigentlich zu 60 Prozent nüchtern oder zu 40 Prozent rauschig?) Herkers opulente fotorealistische Stillleben voll mit leeren Whiskey- undCocktailgläsern sind aber vielleicht eh keine Andachtsbilder für die Quantenphysik. Sondern? Für die anonymen Alkoholiker? Nix spendet einem hier Prost. Selbst die Wodkaflaschen sind trocken. Dafür sind die dekorativ verteilten Fertiggerichte und die jugendfreien Getränke süffig bunt. Und in den Alkgläsern erbricht sich das Licht so gschmackig (nein: bricht), dass sogar ich ehrfürchtig trenzend davorsteh’. Und ich bin immerhin so enthaltsam, ich trinke nicht einmal den Abstinenzlersekt (Mineralwasser, prickelnd). Nein, ausschließlich stilles Wasser. Und die Botschaft? Hm. Durst. Unstillbarer, maßloser Durst. Eine Metapher?

Galerie Wolfgang Exner
(Rauhensteingasse 12), Emil Herker, bis 29. November
Di. – Fr.: 11 – 18 Uhr, Sa.: 11 - 17 Uhr

Auch Tee ist ein Aquarell

Aufzählung (cai) Man fühlt sich ein bissl unwohl, so als wäre man eine Verkäuferin in der Wurstabteilung, die jemand zwingen will, 20 Deka Schinken in Dürers "Betende Hände" einzuwickeln. Okay, was in der Galerie Gans von einem verlangt wird, ist nicht ganz so arg. Man soll ein Bild von Marielis Seyler, das gleich hinter der Tür rumliegt, als Tacke verwenden. Noch dazu ist da eine verletzlich wirkende Frau in Embryonalstellung drauf. Bei den sensibel komponierten Fotoarbeiten geht’s eben um die Fragilität des Lebens. Da arbeitet Seyler den weiblichen Körper behutsam in dieNatur ein oder lässt reife Hände von filigranen Schmetterlingen umflattern. Einfache Situationen verwandelt sie in Poesie. Visuelle Haikus. Ein zerknülltes Papierl mit viel Persönlichkeit geistert in der Welt herum, und Betten behalten ein Echo des Schnarchens zurück, Tschuldigung: des Schlafs. Sind zerwühlt. Wie das schlichte Schwarzweiß durch dezente Malerei (einmal nur durch Tee) oder durch Blütenblätter diskret akzentuiert wird, erhöht noch den Reiz. Sehr sentimental.

Galerie Gans
(Kirchberggasse 4), Marielis Seyler, bis 30. November
Di. – Fr.: 12 – 18 Uhr, Sa.: 12 – 15 Uhr

Male ohne Vokale!

Aufzählung (cai) "Sbtrkt"? Das Wort auf der Preisliste muss ein Dreckfuhler sein. Das soll sicher nicht "sbtrkt" heißen, sondern "bstrkt". Dann denkt man sich die Vkl dazu, äh: die Vokale, und ist überwältigt von der Stringenz dieses Titels. Denn er drückt genau das aus, was das Bild darstellt: "Abstrakt." Josef Schwaiger hat übrigens die Manieren von einem, der mit den Fingern isst. Nämlich ein intimes Verhältnis zur Farbe wie der Masseur zum Öl. Weil er sie mit bloßen Händen verreibt, nachdem er sie in Streifen aufgetragen hat. Die konsequente Methode fasziniert, die Werke (schleimig grün bis ätherisch romantisch) tun das nicht immer.

Galerie Strickner
(Fillgradergasse 2), Josef Schwaiger, bis 27. November
Di. – Fr.: 16 – 19 Uhr, Sa.: 11 – 13 Uhr



Printausgabe vom Mittwoch, 17. November 2010
Online seit: Dienstag, 16. November 2010 17:01:00

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