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02. Oktober 2008
16:20 MESZ

Edward Hoppers beunruhigende Meditation über die Beziehungslosigkeit von Menschen und Dingen, bei seltsamem Licht besehen: "Office at Night"  (1940).


Erstarrte Verschränkung von Raum und Zeit: Edward Hopper
Die Kunsthalle Wien zeigt bis 15. Februar die Ausstrahlung und den Einfluss des Malers jenseits der gängigen Amerika-Klischees

Wien - Zum festen Bestand der Amerika-Klischees gehören manche Straßen, wie die Route 66 oder der Sunset Boulevard, einzelne Bauten - die Freiheitsstatue, das Sand's in Las Vegas -, ein paar Fotos von Stars und Strauchdieben und viele Bilder von Edward Hopper - wogegen er sich immer verwahrte.

"Was mich so ungeheuer wütend macht" , sagte er vier Jahre vor seinem Tod 1967, "ist diese ‚Amerikanische Szenerie‘-Geschichte." Die solches tun, hätten sein Land karikiert. "Ich wollte immer nur meine Themen malen."

Aber was waren seine Themen? Es ist in der Tat verführerisch, Hopper anhand der bekanntesten Gemälde, etwa der oft zitierten (und ebenfalls karikierten) Nighthawks, der einsamen Menschen nächtens in der Bar, als den Chronisten des amerikanischen 20.Jahrhunderts zu vereinnahmen. Seine Geschichte ist jedoch komplizierter, ebenso wie die Wirklichkeit seines Landes.

Edward Hopper wurde 1882 in eine wohlhabende und streng baptistische Familie in Nyack nördlich von New York geboren. In der Großstadt studierte er Illustration und Malerei, doch nur Ersteres wurde ihm für viele Jahre zum Broterwerb.

Malerei war ein Luxus, von dem er nicht leben konnte, auch nachdem er dreimal in Europa, vor allem in Paris sich umgesehen, von Vorbildern wie Dégas und Munch gelernt, andererseits die Schule um Cézanne skeptisch rezipiert hatte.

In der Wirklichkeit umrühren

In den USA sollte er Handfestes zeichnen, Titelblätter und Fortsetzungsgeschichten bebildern. Durchaus eine Vorbereitung auf die Detailgenauigkeit also. Sein Lehrer Robert Henri hatte ihn ja ermutigt, in der wirklichen Welt umzurühren wie in einem Farbtopf. Henri gehörte der auf den Alltag konzentrierten "Ashcan School" an. In sie sollte später auch Hopper hineinreklamiert werden, der sich dagegen allerdings verwahrte; und gerade Mülltonnen für Asche oder sonstige sozialrealistische Zutaten sind in seinen Bildern keine zu finden.

Indizien dafür, was ihn bewegte, finden sich eher in biografischen Details: dass er mehrere Jahrzehnte kommerzieller Erfolglosigkeit mit enorm vielen Kinobesuchen kompensierte (und auch später seinen vier New Yorker Lieblingskinos treu blieb); dass er politisch konservativ dachte, gegen Roosevelt wählte und das langsame Verschwinden seiner Brownstone-Nachbarschaft in Greenwich Village und seiner Sommeridyllen auf Cape Cod und in Maine bedauerte (auch die vier Kinos gibt es nicht mehr).

Doch äußere Daten geben nur ungenügenden Aufschluss über die Kräfte, die Künstler bewegen und bestimmen. Man mag versuchen, in Hoppers eigenen Aussagen fündig zu werden. Als Ziel seiner Arbeit nannte er, "die Wahrheit des Alltäglichen zu zeigen" . Die um ihn herum zunehmende expressive Abstraktion bedauerte er als "grundsätzliche Verarmung unserer Wirklichkeit" . Mit "Ich glaube, das Menschliche ist mir fremd" , wird er in der laufenden Ausstellung in der Wiener Kunsthalle zitiert. "Was ich malen wollte, war das Licht auf der Seite des Hauses."

Verwinkelte Geometrie

Von hier aber führt eine bedeutsame Spur weg von den gängigen US-Einsamkeitsklischees hin zu einer überraschenden Ebene: Dieses Licht nämlich, das Wände bei Hopper fast durchschneidet, das sich in Räumen aus unwahrscheinlichen Winkeln wiederfindet, dieses Licht meint die verrinnende Zeit.
Und die Räume sind nur vordergründig real. Wer wie Gustav Deutsch in der Kunsthalle versucht, sie nachzubauen, kommt drauf, dass sie einer verwinkelten Geometrie entstammen, auf seltsame Weise also hyperreal sind.

Gemeinsam ergeben Licht und Raum in Hoppers Bildern eine poetische - im Wortsinn: eine eigens geschaffene - Wirklichkeit. Es stimmt fast alles, doch bei näherem Hinsehen stimmt fast nichts: Woher kommen etwa in nebenstehendem "Büro bei Nacht" Licht und Schatten, wieso stehen Kasten und Tisch so räumlich verschoben nebeneinander, wie die Personen von Bezugslosigkeit geprägt sind?

Hoppers Visionen sind vor allem beunruhigend. Sie führen über ihren Rand hinaus, wegen der Blicke, der offenen Türen, der häufigen Ungewissheit, ob jemand auf Ab- oder Anreise ist. Insofern ist der konservative Hopper modern und contre coeur zudem ein tiefenpsychologisch operierender Maler (als solcher wurde er auch dargestellt: in einer Karikatur ...).
Zu den Klischees, denen einige Wahrheit innewohnt, zählt, dass es in Europa um die Zeit geht, in Amerika um den Raum. Bei Hopper geht es um beides, in erstarrter Verschränkung.
(Michael Freund / DER STANDARD, Print-Ausgabe, 3.10.2008)

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