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26.07.2005 - Kultur&Medien / Ausstellung
Es rauscht in Ruhe im Raum
VON THOMAS KRAMAR
"CHIKAkU" im KUNSTHAUS GRAZ. Nachdenkliche japanische Kunst der letzten 50 Jahre.

W
enn man die lange, langsame, kahle, kühle Rolltreppe im Kunsthaus Graz hinauffährt, fährt man, mit etwas Glück, in ein Rauschen hinein, das klingt wie beschleunigtes, verschärftes Meeresrauschen. Dann steht man endlich vor "Spacy", einem Film von Takashi Ito, und sieht Räume, Turnsäle, deren Bilder vom Blick der Kamera eingesogen und in den nächsten Saal projiziert werden. Der Raum wird zum Bild wird zum Raum wird zum . . . - Die Sequenz wird immer schneller, die Monitore rasen und zittern, bis endlich abrupt die Fahrt endet. Im Zentrum ein Fotoapparat: Hat er die Raserei gestoppt, den Blick eingefangen?

Ein Stockwerk höher, unter anderen räumlichen Krümmungen dieses so seltsam in sich gekrümmten Kunsthauses, liegt eine Art Ufo: eine Kugel, wirr verkabelt, schon leicht angerostet, aber immer noch vibrierend, wie kürzlich gestrandet auf einem gleichgültigen Planeten: "Berenice" heißt das Objekt von Motohiko Odani - nach der antiken ägyptischen Stadt?

"Skeleton", auch von Odani, ist eine Art Stalaktit, der von der Decke hängt und noch immer zu tropfen scheint, wenn man ihn schief anschaut, aber nur dann. Am klarsten fasst Yayoi Kusama das Thema Stillstand: Sein "Rose Garden" ist vergoldet, metallisiert, tot, als hätte König Midas ihn berührt; in "Walking on the Sea of Death" zeigt er ein in Silber gehülltes Boot - oder ist es Quecksilber, das schleichende Gift?

"Zeit und Erinnerung in Japan" nennt sich die faszinierende Ausstellung, man möchte protestieren, einfach aus Freude am Protest: Es geht nicht um Zeit, sondern um Raum! Es geht nicht um Erinnerung, sondern um Leben und Tod! Der japanische Obertitel schlichtet: "Chikaku" heißt so viel wie "Wahrnehmung" (auch in wissenschaftlichem Kontext), und das passt jedenfalls. Auf Yoko Onos "Nimm-mich-wahr"-Klassiker (z. B. den Apfel) sowieso. Auch auf Hiroshi Sugimotos je nach Laune bedrückenden oder erhebenden oder einfach dekorativen "Sea-of-Buddha"-Gang.

Aber ganz besonders auf "Lake Awareness" von Hiroyuki Moriwaki: ein glitzerndes Netz aus Lämpchen, das sanft rauscht wie Kiesel in der Brandung. Wenn man sich nähert, dann wird es lauter und heller: ein empfindsames Gebilde.

Auch Makoto Sei Watanabes im Wind wehende Leuchtstäbe ("Fiber Wave") rauschen - und wogen, als wollten sie sich der Architektur fügen, die in dieser Ausstellung noch unterstützt wird durch das wellende Band, das Watanabe in den oberen Stock gehängt hat, als Innenraum des Innenraumes.

Noch weiter in einen Innenraum zieht einen Miwa Yanagi: Er steckt Menschen in Zelte mit Borten und Wimpeln, wie die feierliche Tracht einer imaginären Wüstenreligion. Und auch die Besucher dürfen in einen Baldachin: Innen sieht man Hände, die Vorhänge öffnen, den Blick freigeben auf eine Wüstenlandschaft, durch die - wiederum von Zelten bedeckte - Menschen wandern. Auch hier rauscht es. Selten so viele Arten von quasi in Ruhe gerahmtem Rauschen gehört wie in dieser Ausstellung.

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