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09.10.2001 - Ausstellung
Der frühe, warnende Schrei als Explosion
Ludwig Meidner (1884 bis 1966), ein deutscher Expressionist, wird vom Jüdischen Museum Wien unter dem Titel "Im Nacken das Sternenmeer" vorgestellt.


Der Erste Weltkrieg hat gerade erst begonnen, aber Ludwig Meidner muß bereits den Tod eines Dichterfreunds beklagen. Im Oktober 1914 zeichnet er sich selbst im Dresdner Café König, einem Literaten- und Künstlertreffpunkt - stirnrunzelnd, besorgt hinter einer Zeitung hervorlugend, rundum viel Bewegung.

Wie andere seiner Künstler-Generation ahnt er voraus, was den vermeintlich sicheren Boden ins Wanken bringen sollte. 1913 entsteht das berstende "Eckhaus", zeugen "Apokalyptische Landschaften" vom nahenden Beben. Schreckerfüllt irren Menschen im selben Jahr durch "Dresden Blasewitz".

Meidner, hierzulande bisher wohl kaum bekannt, hatte 1912 eine Künstlergruppe, "Die Pathetiker", mitbegründet, unterhielt Kontakt zu "Brücke"-Malern und war zeitlebens auch ein Schreiber. Seine autobiographischen, 1918 erschienenen Texte "Im Nacken das Sternenmeer" verleihen der Wiener Ausstellung die Leitmelodie. Angefangen hatte er nach Prägungen in Paris und Berlin relativ harmlos, aber 1913 gelangte er zu seinem Interieurs und Stadtszenen zur Explosion bringenden exklamatorischem Stil.

Porträtist der Kollegen

Bald nach Kriegsende beruhigt sich das Tumultuarische, Flackernde seiner Bilder. Was Meidner im Zusammenhang mit seiner Rückfindung zu einem gläubigen Judentum entwickelt, steht hinter dem Vorangegangenen zurück.

Der Künstler war aber auch ein Chronist seiner Zeit, als Porträtist zahlreicher Generationsgenossen - unter ihnen finden sich Paul Westheim, Theodor Däubler, Max Tau, Lotte Lenya und Franz Werfel. Etwa drei Viertel seines druckgraphischen (vor allem radierten) Werks gelten den Physiognomien seiner Freunde und Kollegen.

Eine Reihe von Selbstporträts läßt den Weg des Künstlers von einer heftigen, zerrissenen, zuckenden Mimik bis zur Rolle des Betenden oder verkleideten Propheten erkennen. Trotz aller Mäßigung, der Rückkehr zu einem orthodoxen Vorgehen als Maler und Zeichner, wird Meidner als "entartet" angesehen, muß 1939 nach England fliehen, wo er sich nicht wohl fühlt. Weshalb er 1953 - auch seiner Verbindung zur Sprache wegen - nach Deutschland zurückkehrt. Seine Rolle aber war längst ausgespielt.

Bis 2. Jänner 2002, So. bis Fr. 10-18, Do. bis 20 Uhr.



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