Neues Image für die alte Industriezone
Ruhr2010. Das Ruhrgebiet wird 2010 Kulturhauptstadt. Intendant Fritz Pleitgen erläutert, wie Kultur die ganze Region verwandeln soll.
CLEMENS PANAGL Die längste Festtafel der Welt wird 2010 auf einer Autobahn im Ruhrgebiet stehen. Auf der A40, die 60 Kilometer quer durch Deutschlands einst mächtigstes Industriegebiet führt, werden am 18. Juli 20.000 Tische aufgestellt. Bis zu einer Million Menschen sollen bei dem riesigen Straßenfest sich und ihre Kulturen feiern.
Mit solchen Aktionen will Fritz Pleitgen, der Intendant des Kulturhauptstadtjahres Ruhr2010, der Welt ein neues Bild des Ruhrgebiets vermitteln. „Kultur durch Wandel – Wandel durch Kultur“ heißt das zentrale Motto im Programm des früheren WDR-Chefs und ARD-Vorsitzenden.
Im Buch zu Ruhr2010 stehen 300 Programmpunkte und 2500 Veranstaltungen. Wie fühlt man sich als Intendant zwei Wochen vor dem Start? Pleitgen: Persönlich gut. Wir sind startklar. Wir haben ein vielfältiges Eröffnungsprogramm und wollen gleich mit dem ersten Bild deutlich machen, wofür wir stehen: „Wandel durch Kultur – Kultur durch Wandel“. Deshalb feiern wir die Eröffnung vor der Kulisse der Zeche Zollverein. Das war eine der leistungsfähigsten Zechen der Welt und ist jetzt Weltkulturerbe. Herbert Grönemeyer wird seine neue Hymne an die Menschen an der Ruhr präsentieren. So eine Identifizierung über ein Lied, das die Menschen zusammen singen können, ist ein Geschenk, denn wir haben ja eine sehr heterogene, zerklüftete Metropolenlandschaft. Und die braucht eine Identität. Die Intendanten von Istanbul und Pécs müssen 2010 jeweils eine Stadt als Kulturmetropole präsentieren. Sie hingegen müssen einen Ballungsraum mit 53 Städten bespielen. Macht das die Sache nicht kompliziert? Pleitgen: Es ist viel besser gelaufen, als ich befürchtet hatte. Als so eine Einheit ist das Ruhrgebiet ja noch nie angetreten. Wir möchten nun das alte Ruhrgebiet auf dem Weg zu einer neuen Metropole ein wichtiges Stück voranbringen. Und deshalb haben wir bewusst viele Gemeinschaftsprojekte entwickelt. Das Lebenswerk von Hans Werner Henze wird etwa in 45 Musikeinrichtungen präsentiert. Und dass die 20 führenden Museen von 200, die es im Ruhrgebiet gibt, ihre Programme aufeinander abstimmen, hat es früher auch nicht gegeben. Wir sind eine Metropole mit 53 Zentren. Weil wir das nicht ändern können, machen wir aus der Not eine Tugend. 2009 war Linz Kulturhauptstadt – auch hier präsentierte sich eine Industriestadt unter dem Motto des Wandels . . . Pleitgen: Linz hat mir sehr gefallen, wir haben großen Respekt vor dem, was da geleistet wurde. Und ich glaube, dass es eine nachhaltige Wirkung hat, dass man Linz nun auch mit anderen Augen sieht.
Wo steht das Ruhrgebiet in der öffentlichen Wahrnehmung? Pleitgen: Das Ruhrgebiet ist eine völlig unterschätzte Größe! Das Bild, das die Leute haben, sieht immer noch so aus: Kohle, Stahl, schlechte Luft, kaputte Städte, und eine vergiftete Landschaft. Aber das Ruhrgebiet ist viel weiter als sein Image. Es ist eine der reichsten Kulturregionen in Europa. So viele Museen und Konzerthäuser gibt es nirgends auf so engem Raum. Wir haben also auch die Chance, die Leute zu überraschen. Das Ruhrgebiet gilt aber auch als wirtschaftlich gebeutelte Region. Wie kann Kultur da einen Wandel herbeiführen? Pleitgen: Die Region ist in einer Transitphase. Wir haben noch große, fundamentale Probleme. Viel Arbeitslosigkeit. Mängel in der Infrastruktur. Es gibt aber auch die Kreativwirtschaft und innovative Industrie und sehr viele alte Industriebrachen, die jetzt anders genutzt werden, etwa als Zentren für Kunst und Kreativität.
Wir wollen keine Schokoladensauce über unsere Probleme gießen. Deshalb lautet die Parole: Die Kulturhauptstadt findet bei uns nicht nur im Saal statt, sondern draußen, wo die Menschen und die Probleme sind.
Wir behaupten: Kultur schafft Kreativität. Und Kreativität schafft am Ende auch Arbeitsplätze. Das Kulturhauptstadtjahr könnte dem Ruhrgebiet also einen starken Entwicklungsschub geben. Ob wir das erreichen, weiß ich noch nicht. Aber allein an Investitionen wurde schon einiges in Gang gesetzt: Das „Dortmunder U“ wurde um 40 Millionen Euro adaptiert. Das Folkwang-Museum für 55 Millionen. Drei große Bahnhöfe wurden neu gestaltet, das sind auch an die 100 Millionen.
Wie hat sich das Krisenjahr auf Ihr Budget ausgewirkt? Pleitgen: Wir haben stark zu spüren bekommen, dass sich potenzielle Sponsoren überaus zurückgehalten haben. Im Mai hatte ich arge Bedenken, ob wir das Klassenziel erreichen. Aber das hat sich jetzt gegeben. Wir leben mit den Verhältnissen. Sie dürfen nicht vergessen: Wir haben 28 Städte mit einem strammen Nothaushalt. Da ist Kultur eine Leistung, die erst erbracht werden kann, wenn die Sozialaufgaben erfüllt sind. Und trotzdem haben die sich das Letzte abgespart, um dabei zu sein. Davor ziehe ich den Hut.Sie haben einmal gesagt, dass Ruhr2010 kein „Obersalzburg“ sei. Also: Kein elitäres Festival? Pleitgen: Ja, das Wort Kulturhauptstadt klingt irgendwie so pompös. Da haben viele ein Festival wie Salzburg vor Augen und glauben, eine Kulturhauptstadt müsse dann noch mehr als Salzburg sein. Und drum habe ich gesagt: Wir sind kein „Obersalzburg“. Festivals, das sind die Ruhrtriennale oder die Ruhrfestspiele. Da treten wir nicht in Konkurrenz. Wir haben aber einen Anspruch, alle Menschen anzusprechen. Das fängt an bei dem Projekt „Jedem Kind ein Instrument“. Wir gehen auch in Problemzonen, wo Arbeitslosigkeit und Kriminalität herrschen. Aber auch bei unseren Großprojekten wollen wir bewusst alle Menschen mitnehmen. Dass wir die Autobahn zwischen Dortmund und Duisburg sperren, war eine Idee, die ich mit Jürgen Flimm zusammen entwickelt habe. Wir haben gesagt, um die Menschen zusammenzubringen, muss da eine Tafel aufgestellt werden, und dann werden alle eingeladen. Informationen: www.ruhr2010.de