Ja, so hab’ ich mir immer schon ein Bacchanal vorgestellt, ein Fest zu
Ehren des Gottes der Ekstase, der Fruchtbarkeit und des Weines. Die
Bacchanten, allesamt Vegetarier, sitzen artig bei Tisch (die
Salatlüstlinge), stochern mit der Gabel in der Salatschüssel herum und
spießen ein paar Vitamine auf, die sich aufreizend in der Marinade räkeln
und ihnen kokett zuzwinkern und zuwinken, und kauen jedes Vitamin, von dem
sie schamlos verführt worden sind, gewissenhaft 32-mal durch, bevor sie
dem gnadenlosen Sexappeal der Tofuwürferln erliegen.
Und sie achten
peinlichst darauf, nicht das weiße Tischtuch anzutrenzen, wischen sich am
Ende sogar den Mund mit einer Serviette ab. Und nach dem letzten Schluck
vom alkoholfreien Bier (oder eigentlich trinken sie alle bloß g’spritzten
Apfelsaft) blasen sie (un)befriedigt ins Röhrl. Und keiner rülpst, furzt
oder schaukelt mit dem Sessel. Ein ausschweifend anständiges
Sittsamkeitsgelage eben. Gepflegte Erregung.
Galerie Artbits: Apoll lädt zur vegetarischen Orgie
Die Nymphen und Mänaden verspäten sich natürlich wieder einmal. Macht
aber nix. Wüsste eh keiner etwas mit ihnen anzufangen, mit diesen rasend
tugendhaften Wesen. Die Knaben sind von ihren Eltern ja in keinster Weise
aufgeklärt worden (weshalb sie ja, voller ignoranter Furcht, die
Schnitzerln fliehen und sich ins Grüne flüchten, in den Häuptelsalat). Die
wissen ja nicht einmal, wie man bei Rot über die Kreuzung geht.
Anthony Gayton kommt diesen meinen kühnsten bacchantischen Fantasien
verdammt nahe, wenn er präzis frisierte Jünglinge, die professionell gut
aussehen (besondere Fähigkeiten: athletische Statur, saubere Fingernägel),
penibel in sehr künstlichen Posen arrangiert und fotografiert, das Ganze
digital überarbeitet und dann die unglaublichsten Stimmungsbilder auf
Leinwand druckt (mit dramatischen oder sentimentalen Lichteffekten),
irgendwo zwischen lieblicher Peinlichkeit, romantischem Kitsch und –
überwältigender, geradezu religiöser Schönheit. Wie gemalt. Wie aus der
Renaissance oder dem Barock. Ein Könner der theatralischen Oberfläche. Und
wenn man da und dort die pathetische Steifheit (das mein’ ich nicht
pornografisch) als Humor interpretiert, dann sind manche „Gemälde“ sogar
äußerst unterhaltsam.
„Bacchanalia“: Da hat ja der Priester nach der
Eucharistiefeier in der Kirche mehr Alkohol im Blut? Und dagegen ist
Leonardo da Vincis Letztes Abendmahl eine wüste Orgie? Richtig. Denn da
geht’s nicht zu wie in einem wollüstigen Gulasch, wo es diverse
Fleischstückerln miteinander treiben, und keiner schmeißt beim Tanzen mit
seinen Gliedmaßen um sich. Nein, Götter, Satyrn (für die Ziegenbeine gab
es extra ein Casting im Schönbrunner Tiergarten) und Kentauren sind
diszipliniert um einen Tisch herum komponiert. Der Choreograf war – der
Freiherr von Knigge? (Der hat sich ja ständig schuldig gemacht der
„Beihilfe zu Tischmanieren“.)
Auch Michelangelo hatte die Frauen nicht nötig
Und weil Gayton gerne Gesten (oder ganze Bilder) aus der
Kunstgeschichte zitiert, nähern sich hier die Zeigefinger zweier
angehender Verliebter wie in der Sixtinischen Kapelle, wo sich Adam der
Schöpfungsgebärde Gottes entgegenstreckt. Ach ja: Gayton kommt ganz ohne
Frauen aus. Das könnte man von Michelangelo zwar auch irgendwie behaupten,
dessen Eva auf der Sixtinischen Decke wie eine Schwimmerin aus der DDR
aussieht. Aber der hat immerhin den Willen zur Weiblichkeit. Gayton
hingegen hat ein fundamentales Faible fürs Homoerotische.
Adam ist
ledig und braucht die Eva nicht, um zu sündigen (um sich falsch zu
ernähren, also den Apfel zu pflücken). David mit dem abgetrennten Schädel
des Goliath: zwei Männer unter sich (das ist Caravaggio wortwörtlich). Und
Endymion, den die Mondgöttin Selene kurzerhand ins Koma versetzt hat,
damit er auf ewig knackig bleibt, auf den fällt die Geliebte nur als
Mondenschein, ihre Lippen, die sie ihm allnächtlich aufdrückt, müssen
draußen bleiben aus dem Bild. (Endymion hat vielleicht dieselbe Droge
intus, eine Mischung aus Schlafmittel und Konservierungsstoffen, wie
Dornröschen, das sich mit einer „Spindel“, was ein Euphemismus für Spritze
sein muss, die Dosis für 100 Jahre injiziert hat.)
Aber hat es Selene
mit ihrem Schlaflabor–Voyeurismus besser als Eos, die Göttin der
Morgenröte (nicht zu verwechseln mit Aphrodite, der Göttin des
Rotlichtmilieus), die den Zeus anflehte, die Lebenserwartung ihres lieben
Tithonos an ihre eigene Unsterblichkeit anzupassen, aber blöderweise
vergessen hat, auch um immerwährende Jugend für ihn zu bitten (und
irgendwann werden auch die schönheits- und liebesverlängernden Maßnahmen –
Botox und Viagra – nicht mehr gegriffen haben)? Ihr Liebhaber ist aber
zumindest bei Bewusstsein.
Fotogalerie: Die Muskeln sind fertig – zum Mitnehmen
Für mehr Muskeln am Leib muss man nicht schwitzen. Rabea Eipperle
spricht sie einfach im Fitnessstudio an, begleitet dann einen kompletten
Satz Muskulatur nach Hause und kuschelt sich für ein Foto ganz eng an (an
den Bodybuilder). Degradiert die Bizepsmänner zu Geborgenheitsobjekten. Zu
Trophäen fürs Familienalbum. Angenehm böse.
Wenn Melanie Manchot vor
Sehenswürdigkeiten in Moskau alle zufällig anwesenden Personen auf die
Kamera ausrichtet, verstößt sie aber eindeutig gegen ein Gesetz, das die
Versammlungsfreiheit einschränkt. Macht aus den Leuten potenzielle
Terroristen, die einen Anführer haben: das Vogerl. Gibt dem Begriff der
„öffentlichen Ordnung“ eine ganz neue, subversive Bedeutung. Gemeinsames
strenges Herumstehen als ziviler Ungehorsam.
Und Leo Kandl kann zwar
nicht die gesamte Bevölkerung mit seinem Fotoapparat erwischen, ködert
aber wenigstens die Narzissten, die dem Passfotoautomaten entwachsen sind,
mit Kontaktanzeigen und dem Versprechen, sie nach ihren Wünschen im Freien
abzulichten. So porträtiert er die jeweilige Stadt mithilfe dieser
„Fremdenführer“.
Quer durch die Galerien
Galerie Arbits
(Lindengasse 28)
Anthony Gayton. Sinners & Saints
Bis 29. Oktober
Mi. bis Fr. 15 bis 19 Uhr
Sa. 11 bis 15 Uhr
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Fotogalerie Wien
(Währinger Straße 59)
Rabea Eipperle, Leo Kandl, Melanie Manchot
Bis 2. November
Di. bis Fr. 14 bis 19 Uhr
Sa. 10 bis 14 Uhr
Freitag, 21. Oktober
2005