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Kunstberichte

Quer durch die Galerien

Und sie aßen zu viel Salat

Ist er nicht schön, der Endymion, der Langschläfer (von Anthony Gayton)? Den hat die Mondgöttin (der lüsterne Lichtstrahl im Bild) einfach narkotisiert. Damit er frisch bleibt. Anthony Gayton/Galerie Artbits

Ist er nicht schön, der Endymion, der Langschläfer (von Anthony Gayton)? Den hat die Mondgöttin (der lüsterne Lichtstrahl im Bild) einfach narkotisiert. Damit er frisch bleibt. Anthony Gayton/Galerie Artbits

Von Claudia Aigner

Ja, so hab’ ich mir immer schon ein Bacchanal vorgestellt, ein Fest zu Ehren des Gottes der Ekstase, der Fruchtbarkeit und des Weines. Die Bacchanten, allesamt Vegetarier, sitzen artig bei Tisch (die Salatlüstlinge), stochern mit der Gabel in der Salatschüssel herum und spießen ein paar Vitamine auf, die sich aufreizend in der Marinade räkeln und ihnen kokett zuzwinkern und zuwinken, und kauen jedes Vitamin, von dem sie schamlos verführt worden sind, gewissenhaft 32-mal durch, bevor sie dem gnadenlosen Sexappeal der Tofuwürferln erliegen.
Und sie achten peinlichst darauf, nicht das weiße Tischtuch anzutrenzen, wischen sich am Ende sogar den Mund mit einer Serviette ab. Und nach dem letzten Schluck vom alkoholfreien Bier (oder eigentlich trinken sie alle bloß g’spritzten Apfelsaft) blasen sie (un)befriedigt ins Röhrl. Und keiner rülpst, furzt oder schaukelt mit dem Sessel. Ein ausschweifend anständiges Sittsamkeitsgelage eben. Gepflegte Erregung.

Galerie Artbits: Apoll lädt zur vegetarischen Orgie

Die Nymphen und Mänaden verspäten sich natürlich wieder einmal. Macht aber nix. Wüsste eh keiner etwas mit ihnen anzufangen, mit diesen rasend tugendhaften Wesen. Die Knaben sind von ihren Eltern ja in keinster Weise aufgeklärt worden (weshalb sie ja, voller ignoranter Furcht, die Schnitzerln fliehen und sich ins Grüne flüchten, in den Häuptelsalat). Die wissen ja nicht einmal, wie man bei Rot über die Kreuzung geht.
Anthony Gayton kommt diesen meinen kühnsten bacchantischen Fantasien verdammt nahe, wenn er präzis frisierte Jünglinge, die professionell gut aussehen (besondere Fähigkeiten: athletische Statur, saubere Fingernägel), penibel in sehr künstlichen Posen arrangiert und fotografiert, das Ganze digital überarbeitet und dann die unglaublichsten Stimmungsbilder auf Leinwand druckt (mit dramatischen oder sentimentalen Lichteffekten), irgendwo zwischen lieblicher Peinlichkeit, romantischem Kitsch und – überwältigender, geradezu religiöser Schönheit. Wie gemalt. Wie aus der Renaissance oder dem Barock. Ein Könner der theatralischen Oberfläche. Und wenn man da und dort die pathetische Steifheit (das mein’ ich nicht pornografisch) als Humor interpretiert, dann sind manche „Gemälde“ sogar äußerst unterhaltsam.
„Bacchanalia“: Da hat ja der Priester nach der Eucharistiefeier in der Kirche mehr Alkohol im Blut? Und dagegen ist Leonardo da Vincis Letztes Abendmahl eine wüste Orgie? Richtig. Denn da geht’s nicht zu wie in einem wollüstigen Gulasch, wo es diverse Fleischstückerln miteinander treiben, und keiner schmeißt beim Tanzen mit seinen Gliedmaßen um sich. Nein, Götter, Satyrn (für die Ziegenbeine gab es extra ein Casting im Schönbrunner Tiergarten) und Kentauren sind diszipliniert um einen Tisch herum komponiert. Der Choreograf war – der Freiherr von Knigge? (Der hat sich ja ständig schuldig gemacht der „Beihilfe zu Tischmanieren“.)

Auch Michelangelo hatte die Frauen nicht nötig

Und weil Gayton gerne Gesten (oder ganze Bilder) aus der Kunstgeschichte zitiert, nähern sich hier die Zeigefinger zweier angehender Verliebter wie in der Sixtinischen Kapelle, wo sich Adam der Schöpfungsgebärde Gottes entgegenstreckt. Ach ja: Gayton kommt ganz ohne Frauen aus. Das könnte man von Michelangelo zwar auch irgendwie behaupten, dessen Eva auf der Sixtinischen Decke wie eine Schwimmerin aus der DDR aussieht. Aber der hat immerhin den Willen zur Weiblichkeit. Gayton hingegen hat ein fundamentales Faible fürs Homoerotische.
Adam ist ledig und braucht die Eva nicht, um zu sündigen (um sich falsch zu ernähren, also den Apfel zu pflücken). David mit dem abgetrennten Schädel des Goliath: zwei Männer unter sich (das ist Caravaggio wortwörtlich). Und Endymion, den die Mondgöttin Selene kurzerhand ins Koma versetzt hat, damit er auf ewig knackig bleibt, auf den fällt die Geliebte nur als Mondenschein, ihre Lippen, die sie ihm allnächtlich aufdrückt, müssen draußen bleiben aus dem Bild. (Endymion hat vielleicht dieselbe Droge intus, eine Mischung aus Schlafmittel und Konservierungsstoffen, wie Dornröschen, das sich mit einer „Spindel“, was ein Euphemismus für Spritze sein muss, die Dosis für 100 Jahre injiziert hat.)
Aber hat es Selene mit ihrem Schlaflabor–Voyeurismus besser als Eos, die Göttin der Morgenröte (nicht zu verwechseln mit Aphrodite, der Göttin des Rotlichtmilieus), die den Zeus anflehte, die Lebenserwartung ihres lieben Tithonos an ihre eigene Unsterblichkeit anzupassen, aber blöderweise vergessen hat, auch um immerwährende Jugend für ihn zu bitten (und irgendwann werden auch die schönheits- und liebesverlängernden Maßnahmen – Botox und Viagra – nicht mehr gegriffen haben)? Ihr Liebhaber ist aber zumindest bei Bewusstsein.

Fotogalerie: Die Muskeln sind fertig – zum Mitnehmen

Für mehr Muskeln am Leib muss man nicht schwitzen. Rabea Eipperle spricht sie einfach im Fitnessstudio an, begleitet dann einen kompletten Satz Muskulatur nach Hause und kuschelt sich für ein Foto ganz eng an (an den Bodybuilder). Degradiert die Bizepsmänner zu Geborgenheitsobjekten. Zu Trophäen fürs Familienalbum. Angenehm böse.
Wenn Melanie Manchot vor Sehenswürdigkeiten in Moskau alle zufällig anwesenden Personen auf die Kamera ausrichtet, verstößt sie aber eindeutig gegen ein Gesetz, das die Versammlungsfreiheit einschränkt. Macht aus den Leuten potenzielle Terroristen, die einen Anführer haben: das Vogerl. Gibt dem Begriff der „öffentlichen Ordnung“ eine ganz neue, subversive Bedeutung. Gemeinsames strenges Herumstehen als ziviler Ungehorsam.
Und Leo Kandl kann zwar nicht die gesamte Bevölkerung mit seinem Fotoapparat erwischen, ködert aber wenigstens die Narzissten, die dem Passfotoautomaten entwachsen sind, mit Kontaktanzeigen und dem Versprechen, sie nach ihren Wünschen im Freien abzulichten. So porträtiert er die jeweilige Stadt mithilfe dieser „Fremdenführer“.

Quer durch die Galerien

Galerie Arbits

(Lindengasse 28)

Anthony Gayton. Sinners & Saints

Bis 29. Oktober

Mi. bis Fr. 15 bis 19 Uhr

Sa. 11 bis 15 Uhr

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Fotogalerie Wien

(Währinger Straße 59)

Rabea Eipperle, Leo Kandl, Melanie Manchot

Bis 2. November

Di. bis Fr. 14 bis 19 Uhr

Sa. 10 bis 14 Uhr

Freitag, 21. Oktober 2005


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