Frechheit siegt | |
Von Markus Wailand
|
Man nehme: eine Soap-Opera wie "Melrose
Place", eine aufgeweckte Künstlergruppe wie Gala Committee, jede Menge
Engagement und die allerbeste Sendezeit. Im Studio so lange durchrühren,
bis die Bestandteile zu einer Masse geworden sind, in einzelne Folgen
gießen und als Ausstellung mit Millionen von Besuchern weltweit im
Wochenrhythmus servieren. Sie verstehen nichts, nicht mal Busbahnhof? Dann noch einmal von vorne:
Begonnen hat alles mit einem Workshop, den der amerikanisch-chinesische
Künstler Mel Chin in Los Angeles mit KunststudentInnen gemacht hat -
Arbeitsvorgabe war damals, Fernsehen zu einer Präsentationsfläche für
Kunst zu machen. Und das nicht in Nischen wie spät nachts oder als
Frühstücksfernsehen, sondern zur Hauptsendezeit. Dabei wurde die Idee geboren, in die Filmsets für Soap Operas wie
"Melrose Place" einzugreifen und dort Objekte zu platzieren. Soweit die
kühne Theorie. Am Ende des Workshops haben die Studenten dann tatsächlich
bei der Designcrew von "Melrose Place" angefragt, ob nicht Interesse an
Arbeiten von hiesigen Kunststudenten bestehen würde. Zu aller Überraschung
haben die Melrose-Ausstatter sofort zugegriffen - wenig später waren die
ersten Arbeiten schon auf Sendung. Feine Klinge
In jedem Objekt versteckt sich eine politische oder
gesellschafts-
Wenn der eine dem anderen Freund Zigarren mitbringt, dann steht auf dem
Holzkistchen der Name "Cubans", ein Hinweis auf die außenpolitische
Isolationspolitik der USA in Bezug auf Kuba. Isolation heißt, dass sich
die Kiste nicht öffnen lässt, weil die Scharniere (in Form von
Kanonenbooten) auf allen vier Seiten montiert sind. Und wenn Kritik am
Golfkrieg geübt werden soll, dann funktioniert das so, dass Kyle, der
Kriegsveteran, kunstsinnig ein Gemälde ("Bombing of Bagdad") analysiert:
"It's about war, about killing, and what it does to a person. It leaves
its marks. Deep. Inside..." Offenbarungseid Solche Details blieben bei den Produzenten von "Melrose Place" nicht
unbemerkt - an einem bestimmten Punkt war es mit der subversiv-verdeckten
Strategie vorbei, das Projekt aufgeflogen, ein Treffen zwischen Gala
Committee und Frank South, dem Executive-Producer von "Melrose Place",
unvermeidbar geworden. Die Gala-Künstler erklärten das Projekt, und rechneten mit allem - nur
nicht damit, dass Frank South vor seiner TV-Karriere als
Performance-Künstler aufgetreten ist, und von der Arbeit von Gala
begeistert war. Statt einem Fußtritt gab es plötzlich eine große
Überraschung nach der anderen: Frank South schickte ihnen ab sofort alle
(eigentlich höchst geheimen!) Drehbücher zu den neuen Folgen, damit Gala
Committee mehr Zeit zur Vorbereitung hatte. Wenig später ging es noch ein
Stück weiter. Neue Kunstfigur Eigens für Gala Committee haben die Drehbuchautoren eine neue Figur in
die Serie geschrieben - eine Künstlerin, deren Bilder kollektiv von
Gala-Mitgliedern gepinselt wurden. Konzession ans Fernsehen: bunt mussten
die Bilder sein, wie jene von David Hockney. Die Subversion dabei: Die Bilder sind zwar bunt und scheinen belanglose
Stadtansichten zu sein, sie zeigen jedoch immer Orte, an denen historische
Todesfälle beheimatet waren: das Haus, in dem Marilyn Monroe tot
aufgefunden wurde, das Hotel, in dem Bobby Kennedy ermordet wurde, die
Villa, in der Nicole, die Ex-Frau von O.J. Simpson, erstochen wurde, und
so weiter. "A shiny surface with dirty roots underneath - that's Los
Angeles!", kommentiert Gala-Member Jon Lapoint. Kunstvideo Constance Penley, Professorin für Film Studies an der Univerity of
Santa Barbara, California, und Mitglied des Gala Committee: "Es waren vor
allen zwei Dinge, die mich an unserem Melrose-Projekt begeistert haben:
Zum einen, dass wir es geschafft haben, politische Messages ins
kommerzielle Prime-Time-TV zu bringen - es gibt so gut wie keine
öffentlich-rechtlichen Medien in Amerika, dadurch werden viele Themen
einfach nicht diskutiert, und die haben wir aufs Tapet gebracht. Die
andere Sache betrifft den künstlerischen Aspekt: Kunstvideos werden
meistens in irgendwelchen kleinen Galerien gezeigt, auf Spezialfestivals
oder in dunklen Seminarräumen. Wir haben es hingegen geschafft, eine Serie
wie 'Melrose Place' zu unserem großen Kunstvideo zu machen, das jetzt von
Hunderten Millionen Menschen gesehen wird." Künstlerische Zeitbomben Manche Arbeiten sind Teil einer langfristigen Infektionsstrategie,
Zeitbomben, die erst hochgehen, wenn "Melrose Place" andernorts
ausgestrahlt wird. Zum Beispiel in China. Denn immer, wenn in Melrose
Place Take-out-Essen ins Bild gerückt wird, ist es chinesisches Take-out.
Gut zu erkennen an den dekorativen Schriftzeichen, die naturgemäß kaum
jemand zu lesen verstand. Wenn "Melrose Place" jetzt allerdings über die TV-Satelliten von Rupert
Murdochs Fox-Network in China ausgestrahlt wird, werden diese Zeichen
lesbar: Sie stehen für die Menschenrechtsbewegung, oder verweisen auf die
Vorkommnisse am Tienamnen-Platz in Peking. Den staatlichen Zensurbehörden
werden diese Botschaften nicht auffallen, deren Interesse gilt Sex und
schmutziger Sprache, nicht Lebensmittelverpackungen. Auf die Reaktionen
darf man jedenfalls gespannt sein. Die Kunst der Selbstbezüglichkeit Das große Showdown von Melrose Place Art fand nicht im Studio, sondern
im Museum statt. Nachdem Gala Committee regelmäßig (und immer
unentgeltlich) Ausstattungsgegenstände angefertigt und zum Filmset
gebracht haben, sollte es diesmal anders laufen. Nicht die Kunst zum
Fernsehen kommen, sondern das Fernsehen zur Kunst. Also hat eine Folge von
"Melrose Place" u.a. im Museum of Contemporary Art gespielt, wo gerade die
Ausstellung "uncommon sense" gelaufen ist. Und hier schließt sich der
Kreis wieder: "uncommon sense" war jene Ausstellung, zu der Gala Committee
eingeladen war, das Melrose-Place-Projekt zu präsentieren. Was sie dann
auch getan haben - demnächst in ihrem TV-Gerät. Sehen Sie mehr in den Kunststücken. Link: Gala
Committee | ||||||
![]() |