Frechheit siegt

Von Markus Wailand


Man nehme: eine Soap-Opera wie "Melrose Place", eine aufgeweckte Künstlergruppe wie Gala Committee, jede Menge Engagement und die allerbeste Sendezeit. Im Studio so lange durchrühren, bis die Bestandteile zu einer Masse geworden sind, in einzelne Folgen gießen und als Ausstellung mit Millionen von Besuchern weltweit im Wochenrhythmus servieren.

Sie verstehen nichts, nicht mal Busbahnhof? Dann noch einmal von vorne: Begonnen hat alles mit einem Workshop, den der amerikanisch-chinesische Künstler Mel Chin in Los Angeles mit KunststudentInnen gemacht hat - Arbeitsvorgabe war damals, Fernsehen zu einer Präsentationsfläche für Kunst zu machen. Und das nicht in Nischen wie spät nachts oder als Frühstücksfernsehen, sondern zur Hauptsendezeit.

Dabei wurde die Idee geboren, in die Filmsets für Soap Operas wie "Melrose Place" einzugreifen und dort Objekte zu platzieren. Soweit die kühne Theorie. Am Ende des Workshops haben die Studenten dann tatsächlich bei der Designcrew von "Melrose Place" angefragt, ob nicht Interesse an Arbeiten von hiesigen Kunststudenten bestehen würde. Zu aller Überraschung haben die Melrose-Ausstatter sofort zugegriffen - wenig später waren die ersten Arbeiten schon auf Sendung.

Feine Klinge

Bettwäsche für Peter Burns Strandhaus,
Bettwäsche für Peter Burns Strandhaus, "Devil in a wet dress"

In jedem Objekt versteckt sich eine politische oder gesellschafts-
kritische Botschaft. Wenn zwei in "Melrose Place" unsafe Sex haben, lohnt sich ein genauer Blick auf das Muster am Bettlaken: ein Ornament aus ausgerollten Kondomen, grafisch höchst dekorativ arrangiert und raffiniert obendrein, denn die Darstellung ausgerollter Kondome ist im amerikanischen Fernsehen verboten.

Kubanische Zigarrenbox,
Kubanische Zigarrenbox, "Great Sexpectations"

Wenn der eine dem anderen Freund Zigarren mitbringt, dann steht auf dem Holzkistchen der Name "Cubans", ein Hinweis auf die außenpolitische Isolationspolitik der USA in Bezug auf Kuba. Isolation heißt, dass sich die Kiste nicht öffnen lässt, weil die Scharniere (in Form von Kanonenbooten) auf allen vier Seiten montiert sind. Und wenn Kritik am Golfkrieg geübt werden soll, dann funktioniert das so, dass Kyle, der Kriegsveteran, kunstsinnig ein Gemälde ("Bombing of Bagdad") analysiert: "It's about war, about killing, and what it does to a person. It leaves its marks. Deep. Inside..."

Offenbarungseid

Solche Details blieben bei den Produzenten von "Melrose Place" nicht unbemerkt - an einem bestimmten Punkt war es mit der subversiv-verdeckten Strategie vorbei, das Projekt aufgeflogen, ein Treffen zwischen Gala Committee und Frank South, dem Executive-Producer von "Melrose Place", unvermeidbar geworden.

Die Gala-Künstler erklärten das Projekt, und rechneten mit allem - nur nicht damit, dass Frank South vor seiner TV-Karriere als Performance-Künstler aufgetreten ist, und von der Arbeit von Gala begeistert war. Statt einem Fußtritt gab es plötzlich eine große Überraschung nach der anderen: Frank South schickte ihnen ab sofort alle (eigentlich höchst geheimen!) Drehbücher zu den neuen Folgen, damit Gala Committee mehr Zeit zur Vorbereitung hatte. Wenig später ging es noch ein Stück weiter.

Neue Kunstfigur

Eigens für Gala Committee haben die Drehbuchautoren eine neue Figur in die Serie geschrieben - eine Künstlerin, deren Bilder kollektiv von Gala-Mitgliedern gepinselt wurden. Konzession ans Fernsehen: bunt mussten die Bilder sein, wie jene von David Hockney.

Die Subversion dabei: Die Bilder sind zwar bunt und scheinen belanglose Stadtansichten zu sein, sie zeigen jedoch immer Orte, an denen historische Todesfälle beheimatet waren: das Haus, in dem Marilyn Monroe tot aufgefunden wurde, das Hotel, in dem Bobby Kennedy ermordet wurde, die Villa, in der Nicole, die Ex-Frau von O.J. Simpson, erstochen wurde, und so weiter. "A shiny surface with dirty roots underneath - that's Los Angeles!", kommentiert Gala-Member Jon Lapoint.

Kunstvideo

Constance Penley, Professorin für Film Studies an der Univerity of Santa Barbara, California, und Mitglied des Gala Committee: "Es waren vor allen zwei Dinge, die mich an unserem Melrose-Projekt begeistert haben: Zum einen, dass wir es geschafft haben, politische Messages ins kommerzielle Prime-Time-TV zu bringen - es gibt so gut wie keine öffentlich-rechtlichen Medien in Amerika, dadurch werden viele Themen einfach nicht diskutiert, und die haben wir aufs Tapet gebracht. Die andere Sache betrifft den künstlerischen Aspekt: Kunstvideos werden meistens in irgendwelchen kleinen Galerien gezeigt, auf Spezialfestivals oder in dunklen Seminarräumen. Wir haben es hingegen geschafft, eine Serie wie 'Melrose Place' zu unserem großen Kunstvideo zu machen, das jetzt von Hunderten Millionen Menschen gesehen wird."

Künstlerische Zeitbomben

Manche Arbeiten sind Teil einer langfristigen Infektionsstrategie, Zeitbomben, die erst hochgehen, wenn "Melrose Place" andernorts ausgestrahlt wird. Zum Beispiel in China. Denn immer, wenn in Melrose Place Take-out-Essen ins Bild gerückt wird, ist es chinesisches Take-out. Gut zu erkennen an den dekorativen Schriftzeichen, die naturgemäß kaum jemand zu lesen verstand.

Wenn "Melrose Place" jetzt allerdings über die TV-Satelliten von Rupert Murdochs Fox-Network in China ausgestrahlt wird, werden diese Zeichen lesbar: Sie stehen für die Menschenrechtsbewegung, oder verweisen auf die Vorkommnisse am Tienamnen-Platz in Peking. Den staatlichen Zensurbehörden werden diese Botschaften nicht auffallen, deren Interesse gilt Sex und schmutziger Sprache, nicht Lebensmittelverpackungen. Auf die Reaktionen darf man jedenfalls gespannt sein.

Die Kunst der Selbstbezüglichkeit

Das große Showdown von Melrose Place Art fand nicht im Studio, sondern im Museum statt. Nachdem Gala Committee regelmäßig (und immer unentgeltlich) Ausstattungsgegenstände angefertigt und zum Filmset gebracht haben, sollte es diesmal anders laufen. Nicht die Kunst zum Fernsehen kommen, sondern das Fernsehen zur Kunst. Also hat eine Folge von "Melrose Place" u.a. im Museum of Contemporary Art gespielt, wo gerade die Ausstellung "uncommon sense" gelaufen ist. Und hier schließt sich der Kreis wieder: "uncommon sense" war jene Ausstellung, zu der Gala Committee eingeladen war, das Melrose-Place-Projekt zu präsentieren. Was sie dann auch getan haben - demnächst in ihrem TV-Gerät.

Sehen Sie mehr in den Kunststücken.

Link: Gala Committee

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