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13. April 2009
19:15 MESZ

 Bis 19. 4.

 

Fächermappe mit Dokumenten von Georg Jappe: "Original mit Untertiteln" (Buchobjekt aus 1988).


Tischtuchbeschmierer und Ornithopoet
Die Künstlervereinigung Maerz zeigt in den eigenen Räumen und im Stifterhaus Linz eine Retrospektive auf Georg Jappe, einen Mann, der exakte Zwischenbemerkungen hinterlassen hat

Linz - Von 1966 bis 1975 schreibt Georg Jappe als Mitarbeiter Texte für die Frankfurter Allgemeine Zeitung. Er schreibt über Kunst. Er findet Joseph Beuys großartig. Den kennt noch kaum jemand. Zuvor schon, ab 1943, hat Jappe aufgezeichnet, was er als Kind an Vögeln bemerkenswert findet. Sein Stimmbruch forderte die erste Lebenskrise: "Sie (die Vögel) verstanden mich nicht mehr, scheuten."

Joseph Beuys wird in Posen 1941 vom Tierfilmer Heinz Sielmann zum Funker ausgebildet. Heinz Sielmann schreibt Jahre später ein gutes Buch über Josef Beuys. Allgemeinbildend durchschlagender sind Sielmanns Beiträge zum Paarungsverhalten der Löwen oder zum althergebrachten Geschehen auf den Galápagos-Inseln, aufgezeichnet anlässlich diverser Expeditionen ins Tierreich.

Jappe lässt sich nicht beirren, beharrt auf dem Aufzeichnen, beobachtet Vögel und sammelt Dokumente zur aktuellen Kunst. Mit Harald Szeemann oder als internationaler Vizepräsident der AICA, der länderübergreifenden Vereinigung vieler Kunstkritiker. Jappe veröffentlicht den Kunstforum-Band "Künstler sprechen über das, was sie am meisten interessiert".

"Erschreckende Lektüre"

Jappe lehrt Ästhetik an der Hochschule für bildende Künste in Hamburg. Jappe fasst hunderte Medientexte zur documenta 6 im Referat "Methoden der Kunstkritik - wo sind sie?" zusammen. Und schließt daraus: "Hätte ich geahnt, in welch deprimierende und erschreckende Lektüre ich mich da begebe, ich hätte mir ein konstruktiveres Thema einfallen lassen."

Jappe wird Vorstand des größten deutschen Vogelschutzvereins. Er gestaltet für den WDR 1973 den Film Die Wirklichkeit ist nicht sichtbar und schreibt in der FAZ 1974 die Wahrheit über den Umgang mit der Ressource Natur: "Große Aufregung in der belgischen Botschaft (...) im tiefen Wald boten mir drei Bewaffnete einen Jagdunfall an."

Jappe ist Vogelwart auf Nordseeinseln. Er notiert Abläufe in der Natur. Er nimmt sich selbst dabei nicht aus. Er beginnt seine Schreibtische mit Papier zu überspannen, und von da an wachsen seine Beobachtungen von rechts unten nach der linken oberen Tischkante. Die Vögel und der Jappe und die Verlegertermine und die Einkaufslisten und die zu erledigenden Anrufe und die mit Messern in den Tisch geschriebene Nutzgeschichte der Platte beginnen sich zu vermischen. Zu all dem kommt noch Lili Fischer, eine Künstlerin. Sie wird ihn begleiten, den nie deklarierten Werkbegriff weiter aufweichen. Irgendwann ist Georg Jappe irgendwie Künstler geworden. Irgendwann hat Jappe in keinen anderen denn diesen schwammigsten aller Begriffe mehr gepasst.

Vielleicht auch deshalb stellt die Künstlervereinigung Maerz jetzt aus, was Jappe hinterlassen hat. Vielleicht auch deshalb wird demnächst in Hamburg Georg Jappe wiederentdeckt werden: als konkreter "Ornithopoet", als origineller Tischtuchbeschmierer, als früher Videokünstler, als "der mit den Vogeltagebüchern", die ob ihrer Eigenart nur in Kunsthallen passen, als Auslöser "heller Empörung", als Macher von Filmen, die im Fernsehen keinen Platz finden, als einer der z. B. Folgendes festhält:

"(D)er Poet sucht das Einmalige, der Ornithologe weiß, dass nur das Typische, das sich wiederholt, von längerfristigem Wert ist. Erotik luzid, Ausnahme das Schöne, Wiederholung das Notwendige, das Lernen." Man sieht dann: Notizen in der Formation von Schwalbenschwärmen, beschriebene Papiere in Rahmen gebracht, zur limitierten Auflage erhobene Fragmente. Und man begegnet formulierten Erlebnissen. Und man merkt gar nichts von Linz 09, weil die 1970er, weil Joseph Beuys oder Klaus Staeck solche Festivals noch gar nicht erahnen konnten, weil das, was "1001 Tage nach dem Ende des Kapitalismus" geschehen würde, nicht auszumalen war.

Ausstellungen, wie sie Georg Jappe und Lili Fischer veranstaltet haben, durften 1985 noch Die Kunst ist die Schwester der Natur heißen, ohne dass jemand ob des Titels errötet wäre. Ausstellungen wie die aktuelle können ruhig zweigeteilt sein, an den Rändern eines Festivals stattfinden, ohne dass heute irgendwer erröten würde. Jappe findet in den Räumen der Maerz und im Stifterhaus statt.

Der Autor Christian Steinbacher nähert sich George Jappe dort als Literaten, der Kurator der documenta 77 und 87, Manfred Schneckenburger, nähert sich Georg Jappe als bildenden Künstler, Bodo Hell befindet Jappe für einen raren "seltsamen Vogel". Jappe selbst hat Aufzeichnungen mit Zwischenbemerkungen hinterlassen. Jappe ist 1936 in Köln geboren und im März 2007 gestorben. (Markus Mittringer / DER STANDARD, Print-Ausgabe, 14.4.2009)

 

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