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Kunstberichte
Stadtverdichtung ohne Rücksicht auf Gründerzeit-Ensembles, baulicher Wildwuchs am Landhausplatz

Die gequälte Seele von Innsbruck

Der Landhausplatz in Innsbruck: ein verwahrlostes Ambiente neben historischer Architektur. In Graz, Klagenfurt, Linz und Salzburg ist man behutsamer. Foto: Hans Haider

Der Landhausplatz in Innsbruck: ein verwahrlostes Ambiente neben historischer Architektur. In Graz, Klagenfurt, Linz und Salzburg ist man behutsamer. Foto: Hans Haider

Verdankt sich den Olympischen Winterspielen von 1964: Ein klotziger Hotelturm bei der Triumphpforte.

Verdankt sich den Olympischen Winterspielen von 1964: Ein klotziger Hotelturm bei der Triumphpforte.

Von Hans Haider

Aufzählung Unter den großen alten Landeshauptstädten hat sich keine in den letzten Jahrzehnten so stark verändert wie Innsbruck. Im Süden, Richtung Brenner, verdrängten groß dimensionierte Sportbauten, wie die Sprungschanze von Zara Hadid und ein Eis- und ein Fußballstadion das Stift Wilten als Blickfang und Identitätssignal. In den Wohnvierteln des späten neunzehnten, frühen zwanzigsten Jahrhunderts wurde der Stadtraum bis zur Peinlichkeit verdichtet.

Die gotische Altstadt rund um das Goldene Dachl blieb wohl weithin intakt. Doch außerhalb von Burg- und Marktgraben schlägt die Spitzhacke heftig zu. Mit der Klosterschule der Ursulinen wurde ein denkmalgeschütztes Juwel der Tiroler Barockmeister Gumpp abgetragen

1976 gab sich Innsbruck, nach einem Volksaufstand gegen den Abbruch der Riehl-Villa im Stadtteil Saggen, eine Orts- und Stadtbildordnung. Die Stadtplanung bekam wohl die Transitströme der Touristen und den Pendlerverkehr in den Griff. Doch Innsbrucks Innenstadt gehorcht den Neubaubedürfnissen der Wirtschaft und Bürokratie. Jedes Fleckchen Freiraum wird ausgenützt, ausgepresst. "Warum wird der Stadt schon seit Jahren die Seele scheibchenweise heraus gerissen?", fragte unlängst ein Leserbriefschreiber. Die Seele: Das waren Gärten und Gewerbeflächen, Hinterhöfe und intakte Fassadenkronen auf Wohnhäusern vor dem Ausbau der Dachböden.

Die Grazer, Klagenfurter, Linzer und Salzburger gehen behutsamer mit ihrem Gründerzeit-Erbe um. Das bürgerliche Innsbruck hat sich längst in Villen in Höhenlagen rundum zurückgezogen – nach Igls, nach Lans. Im Innsbrucker Cottage im Saggen zwängen sich Bürobauten zwischen die alten Familienhäuser. "Landeier" dominieren die politische Nomenklatura.

"Landhaus II"

Der Bürobauboom hat zuletzt dem Stadtzentrum ein "Landhaus II" zugefügt. Die derzeite Gefährdung des als "Riesenrundgemälde" bekannten Gesamtkunstwerks aus 1896 ("Schlacht am Bergisel") verantworten der Landeshauptmann und seine Kulturlandesrätin. Günther Platter lebt im Tiroler Oberland, Beate Palfrader im Unterland.

Die Innsbrucker sind aufgewacht, die Bürgerinnen rascher als ihre Männer. Gegen den Abriss und gestretchten Wiederaufbau eines Kaufhauses in der Maria-Theresien-Straße wurde so laut getrommelt, bis bei einem Prominenten, gegen den schwer zu argumentieren ist, eine andere Fassade bestellt wurde: bei David Chipperfield (dieses englische Büro wird auch in der Wiener Kärntnerstraße Peek & Cloppenburg neu einkleiden).

Bauen ohne Rücksicht

Ministerin Claudia Schmied ließ schon damals Tirols Landeskonservator Franz Caramelle – er pocht auch für das Bergisel-Panorama auf den Denkmalschutz – im Stich. Der Kaufhaus-Investor René Benko bekam Schützenhilfe durch den damaligen Bundeskanzler Gusenbauer. Benko kaufte inzwischen auch die Bank-Austria-Zentrale am Hof, die Bawag-Zentrale in den Tuchlauben sowie Kärntnerstraße 9.

In Innsbruck baute die Bank für Tirol und Vorarlberg in ein Innenstadt-Eck ihre Zentrale. Heinz Tesars Innenhalle überrascht seit 2006 durch ihre Dimension und plastische Kraft. Doch die abweisenden kaltweißen Fassaden mit vorkragenden Vitrinenfenstern und einem aufgesetzten Eckturm marginalisieren den umliegenden Altbestand. Keine Rücksicht auf Nachbarn! An der Wilhelm-Greil-Straße zwischen Landesmuseum und Landhausplatz hat sich ein Dutzend Architekten gegeneinander ausgetobt. Die Aufstockung von Nummer 23: ein arger gestalterischer Pfusch. Beim Hauptbahnhof konnten Banken noch in den 60er Jahren Bombenlücken füllen. Sie bemühten drittklassige Fassadenzeichner.

Wildwuchs um Hotel

Tirol erwachte spät aus dem Nachkriegsdämmer. Der Aufbau des Massentourismus gipfelte in den Olympischen Spielen 1964. Innsbruck bekam sein klotziges Hotelhochhaus bei der Triumphpforte am Ende der Maria-Theresien-Straße. Ein Facelifting in den 90ern machte es kaum besser.

Der spätere Wildwuchs um das Hotel herum – Tagesklinik, Casino, Tiefgarage – gebar an der Architekturfakultät der Universität mehrere Sanierungsprojekte für den an politischen Denkmälern reichen Landhausplatz. Doch auch das konkreteste, ein Museum moderner Kunst, drängte sich nur als scharfkantiger dunkler Fremdkörper in das verwahrloste Ambiente. 40.000 Personen durchqueren es an jedem Werktag.

Lois Welzenbacher, Tirols namhaftester Moderner in der Architektur, stellte dort 1928 für die Stadtbetriebe im gehörigen Respektsabstand von der Triumphpforte ein Hochhaus fertig. Damals gewiss ebenso ein Fremdkörper!

Doch seine Qualität behauptet er noch heute vor seinen buntscheckigen Nachbarn.

Printausgabe vom Freitag, 20. März 2009

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