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Die Knolle des Kolumbus

Aufzählung (cai) Der Trick "Das Ei des Kolumbus", mit dem man ein Ei dazu bringt, aufrecht stehen zu bleiben, funktioniert sicher genauso gut mit einem gekochten Erdapfel. Wenn man mit dem einmal kräftig auf die Tischplatte haut, rührt er sich garantiert auch nicht mehr. Das ist faszinierend, dürfte aber nicht der Grund sein, weshalb die Leute von der Gruppe Mahony so besessen sind von der Knolle, die die Konquistadoren aus Amerika verschleppt haben. (Vielleicht wollen sie ja ergründen, warum etwas, das zwei Chromosomen mehr hat als der Mensch, nicht die dominante Lebensform des Planeten ist.)

Auf dem Sessel, den sie aus lauter Erdäpfeln gebaut haben, kann man sich locker einen zufrieden grinsenden spanischen Eroberer vorstellen, der sich auf seinen sprichwörtlichen Erdäpfeln ausruht. (Äh, ruht man sich nicht auf seinen Erd beeren aus? Nein, auf den Lor beeren!) "Horror vacui" heißt die von Mahony kuratierte Schau bei Layr Wuestenhagen. Horror vacui? So was hat mein Magen auch: eine Abscheu vor der Leere. Und Michael Müller zeichnet wohl nicht zufällig grad jetzt, wo der Nachthimmel immer sternenleerer wird, einen dichten Sternennebel. Und hat dabei die Ausdauer einer Bruthenne.

Der komplett schwarze Globus (auf dem man herumkritzeln könnte wie auf einer Schultafel) dürfte jedoch Panik auslösen. Sofern man das für eine apokalyptische Prognose hält, dass das also ein stark vergrößertes Modell der Erde wäre, die von jenem schwarzen Loch verschluckt worden ist, das dieser Teilchenbeschleuniger bei Genf bald erzeugen wird. (Die Erde hat ja dann die Größe einer Rumkugel.) Dass Simon Faithfull eh ein Fluchtfahrzeug konstruiert hat, beruhigt aber nur kurz. Denn ein Film zeigt den romantisch naiven Prototyp (Sesserl an Wetterballon), wie es ihn in der Stratosphäre zerreißt. Tja, eine Himmelfahrt ist kein Sonntagsausflug! Ein recht ansprechendes "Kuriositätenkabinett".

Layr Wuestenhagen Contemporary
(An der Hülben 2)
Horror vacui
Bis 14. November Di. – Fr.: 11 – 18 Uhr Sa.: 11 – 16 Uhr

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Das Malen nach dem Tod

Aufzählung (cai)Chantal Michel hat sich, als sie die Tür zum Atelier des 1976 verstorbenen Malers Coghuf aufgemacht hat, womöglich ganz genauso gefühlt wie Howard Carter im November 1922, als er Tutanchamuns Grabkammer geöffnet hat. Na ja, vielleicht nicht ganz genauso. Denn im Atelier, das nach Coghufs Tod praktisch unberührt geblieben ist, hat 30 Jahre lang keiner Staub gewischt, beim Pharao waren’s immerhin 3244 Jahre. Außerdem hätte Carter nicht Tutanchamuns Kleider (oder seine Bandagen) angezogen, um für Fotos zu posieren. Doch wenn Chantal Michel sich einen Bart anklebt und Männergewand trägt und sich im pittoresk vergammelten Ambiente zu den Pinseln oder zur Modelleisenbahn hinzugesellt, sind die eindringlich skurrilen Fotos, die dabei herauskommen, weder pietätlos noch pervers, sondern quasi "posthume Selbstporträts des Malers i. V.". Sein Aktmodell ist sie auch. Mit expressiv bemalter Haut. Rollenspiele eben: Eine Frau gibt sich als Mann aus. Auf Fotos, die als Gemälde verkleidet sind.

Galerie Hubert Winter
(Breite Gasse 17)
Chantal Michel
Bis 15. November Di. – Fr.: 11 – 18 Uhr Sa.: 11 – 14 Uhr

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Flüsternde Farben

Aufzählung Wollte man diese unaufdringlichen Aquarelle vertonen, würde man eher Walgesänge zu hören kriegen als wüste Heavy-Metal-Orgien. Gabriele Chiari beherrscht die Weniger-ist-mehr-Ästhetik jedenfalls aufs Delikateste. Ein paar großzügige Flecken – basta. Oder sie geht mit einem blauen Bild unter die Dusche (oder in den Regen hinaus?). Für diesen verwaschenen Effekt. Viel ist auf den durchaus strengen Blättern ja nicht drauf, trotzdem sind sie nicht grad unscheinbar.

Galerie Frey
(Gluckgasse 3)
Gabriele Chiari
Bis 21. November Mo. – Fr.: 11 – 19 Uhr Sa.: 10 – 16 Uhr

Printausgabe vom Mittwoch, 05. November 2008

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