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derStandard.at | Kultur | Bildende Kunst 
01. September 2005
19:13 MESZ
Von
Markus Mittringer

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kunstforumwien.at

Bis 26. 10. 

FOTO:  APA/ BA-CA KUNSTFORUM
Private Schöpfungsgeschichte auf informellem Grund: Christian Ludwig Attersees "Vorkunst", ein Bild aus dem Jahr 2004

Der Attersee: Unendliche Weiten - im Kunstforum Wien
Riesige Sträuße wundersamer Bildgeschichten: Zur Ausstellung jüngster Arbeiten von Christian Ludwig Attersee

Das Wiener Kunstforum zeigt jüngste Arbeiten von Christian Ludwig Attersee. Der vielseitig Bewegte ist eben 65 geworden, hat aber noch beruhigend viele Flausen im Kopf. Und riesige Sträuße wundersamer Bildgeschichten.


Wien – So, jetzt ist er 65! Und das pünktlich! Obwohl er doch alles daransetzt, dem Tod nicht nahe zu kommen, und zum aktuellen "Runden" gern ein paar Jahre zu spät gekommen wäre. Geht leider nicht. Was aber geht, ist, in diesen Jahren möglichst viel unterzubringen. Und da kann er sich nichts vorwerfen – das hat er gemacht.

Christian Ludwig Attersee, der Meister des forcierten Personalstils hat sich auch noch sein größtes Geschenk zum Jubeljahr selbst und hart erarbeitet: die Personale im BA-CA Kunstforum Wien. Keine Retrospektive hat er sich dort hängen lassen, kein Bühnenbild zusammengestellt, in dem sich gut Orden anheften lassen. Österreichs Antwort auf die Pop- und alle anderen Arten, hat ein Resümee verweigert und stattdessen einen Zwischenstand geliefert, das jüngste Material zum Schöpfungsgericht, die herzlichsten Grüße aus der Küche mit‑ der dringlichen Aufforderung, mitzumachen, aktiv teilzuhaben. Weil: Für die Schöpfung ist jeder verantwortlich. Da lügt die Bibel und mit ihr der ganze Katholizismus, der dauernd versucht, alles trockenzulegen, wo doch das einzig lebenswerte Milieu ein feuchtes ist, voll von Schaum und Rausch – und kleinen Spatzen, deren Unschuld sie nicht nur befähigt, alle erdenklichen Werkzeuge ganz intuitiv zu benutzen – vielmehr noch, deren Unschuld sie zu "Wächtern" macht.

Und so bevölkern die Spatzerln neben den Hunderln, vereinzelten Kühen und Gänsen die Bildwelten, die dem Attersee so wahrhaftig sind. Und beobachten des quirlig animierte Treiben beim kollektiven Schöpfen und Mitschöpfen. Nichts uns Verständliches ist ihm zu ent^locken, kein Wort zu Sinn und Unsinn des rastlosen Ver^besserns, haltlosen Vernichtens – und nichts zum so beliebten Ausleben ermächtigender Schuldfantasien.

Glücksspatz

Unter Spatzen fühlt der Attersee sich geborgen. Spatzen wissen nichts von Abstraktion, sie halten nichts vom Trockenlegen. Spatzen sind einfach. Egal was passiert. Und es ist ein Vieles, dass sich da vor ihren dunkelsamtenen Knopfaugen abspielt.

Mann und Frau söhnen sich da virtuos expressiv gestikulierend ebenso miteinander aus, wie die Dingwelt endlich mit der belebten vögelt. Zwecks Fruchtgewinn, zur Zeugung von Apfelkronen und Sterneiern, zur Erbauung der Gänsehälse, die mit dem Nachtbutterbrot in heftiger Symbiose wild zusammenleben, zum Hochgenuss all derer, die selig an diesen Wunderschnitten kauen, während sie traumversunken beobachten, wie ein andächtiger Schwimmer mäandernde Furchen in die Gischt pflügt. Und das alles im Wissen, dass kein Wunder von oben Jesus über den See wandern lässt, sondern der pralle Arsch einer Carmen ihn trägt (in den jetzt wiederum ganz wunderbar das Schwert einer Jolle passen würde.)

Oder eine weiße Rübe, wie sie so manchen Religionen als Symbol dient. Im Verein mit von begabten Kennerhänden ausgesuchten fantastischen Körperapplikationen, mit teurem Schmuck und edel handgefertigten Prothesen ergäbe das eine Delikatesse von einem Bouquet, ausgewachsenen Kitsch, der endlich – genährt von den nie versiegenden Quellen der Carmen lactans – nun gebiert, anstatt zu töten.

"Die Liebe – Das Haus – Der Ring" hat Attersee, der ebenso gut dichtet, wie er malt und imposante Bühnen baut, seine Werkschau getauft. Der Anlass war ein persönlicher. Was sonst. Bis hin zum Atterbitter entspringt alles bei Attersee persönlichen Anlässen, folgt jede Inszenierung, spiegelt jedes Bild die persönliche Bedürfnislage. Sicher ist das unverschämt, dafür erspart er uns aber die moralische Verpflichtung irgendein Fremdleid mitragen zu müssen. Der bindet uns keine Kreuze zum Schleppen auf, erpresst uns nicht mit Selbstkasteiung und schürt auch keine Kastrationsängste oder sonstige Riten der Verstümmelung im Interesse des Gemeinwohls.

Und Selbstauflösung muss man sich bei Christian Ludwig Attersee heute noch eher als einen tollkühn in der Hocke auch noch mehrfach geschraubten Sprung ins Sekretbad einer Massenorgie denn als Reduktion auf ein behauptetes Maximum vorstellen. Und selbstverständlich bleibt es jedem selbst überlassen, Schausteller nun zu mögen – oder auch nicht.
(DER STANDARD, Print-Ausgabe, 2.9.2005)


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