Linz: Das Kunstmuseum Lentos widmet sich den
prägenden Jahren der Arte Povera
Die Kraft des Salatblatts
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Zwei Kuhhäute und einen glühender Draht kombiniert Gilberto Zorio zu
Pelli con resistenza (1968) Foto: maschek/Kunstmuseum Liechtenstein
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Von Julia Urbanek
![Aufzählung Aufzählung](00092400-Dateien/wzfeld.gif)
Lasch und
müde hängen Salatblätter über einen Granitkeil. Dieser ist durch einem
Draht mit einem größeren Block verbunden – verliert der Salatkopf
zwischen den Blöcken seinen letzten Saft und damit sein Volumen, wird
die Skulptur auseinanderfallen. Der Schwerkraft wird allerdings ein
Schnippchen geschlagen: alle zwei Tage wird der welke durch einen neuen,
prallen Salatkopf ersetzt. "Struttura che mangia" (Essende Struktur)
wird Giovanni Anselmos Objekt genannt, sie gehört zu den berühmtesten
Arbeiten der Arte Povera. 1968 entstanden, stammt sie aus der Hochzeit
der produktiven Kunstströmung.
Die späten 60er-Jahre mit ihren politischen und gesellschaftlichen
Umbrüchen ließen auch die italienische Kunst nicht unberührt. 1967
kreiert der Kritiker Germano Celant erstmals den Begriff "Arte Povera",
als er in einer Ausstellung Künstler aus Turin, Mailand und Rom
zusammenfasst. Die folgenden Jahre bis 1971 gelten als die historischen
Jahre der Kunstströmung. 14 Künstler und 100 Werke dieser Kernjahre
zeigt derzeit das Kunstmuseum Lentos in einer Ausstellung, die aus dem
Kunstmuseum Liechtenstein übernommen wurde. Viele der gezeigten Arbeiten
wurden zwar in den vergangenen 40 Jahren in der Literatur besprochen,
aber nie ausgestellt.
Die Arte Povera wollte die Menschen und das Leben mehr an die Kunst
heranführen und die Kunst näher an den Menschen. Die Begegnung
unmittelbarer. Der Begriff "Arme Kunst" bezieht sich in vielen
Interpretationen auf die einfachen Materialien wie Holz oder alte
Textilien, die die Künstler verwendeten – der Ursprung kommt aber aus
der Reduktion auf das Wesentliche, auf eine einfache Formensprache.
Die Vielfalt und Zeitlosigkeit dieser Sprache zeigt sich im weiten
Ausstellungsraum des Lentos besonders deutlich: Auf dem Boden liegt eine
große Wachsspirale von Mario Merz, die die Fibonacci-Zahlenreihe
visualisiert, in der jeweils eine Zahl mit der ihr vorangehenden addiert
wird. Daneben räkelt sich eine von Pino Pascalis "Bachi da setola",
eine grüne Raupe aus Kunststoffbürsten.
Hass, Perlen und Säue
Von einer Seite des Raums zur anderen hängt ein dickes Hanfseil, in
einem Bleibarren eingegossen formt es das Wort "odio" (Hass) – Gilberto
Zorio spielt wie viele andere Arte-Povera-Künstler mit der Kraft des
Wortes: "Dahinter steckt der Gedanke, etwas Bedetungsvolles zu sagen,
nicht aus Liebe zum Wort, sondern um den Worten echte Bedeutung zu
geben, sodass sie eine nicht-rhetorische Funktion erfüllen", sagte er
1972. Eine eigene Dynamik entsteht auch, wenn Besucher vor der
glänzenden Marmortafel von Salvo stehen: "Le pietre preziose davanti ai
porci" ist eingraviert – wirft der Künstler sein Werk dem Publikum wie
Perlen vor die Säue?
Die Werke von Michelangelo Pistoletto laden den Besucher zur
Interaktion ein: In sein "quadro da pranzo", zwei Sessel und ein Tisch
in einem Rahmen, kann man sich setzen und auf die Donau hinuntersehen,
im Foyer steht der Eisenwinkel "Struttura per parlare in piedi"
(Struktur, um im Stehen zu reden). Auch in seinen Spiegelarbeiten mit
gehäutetem Kaninchen wird der Zuschauer Teil des Bildes.
Mit seiner "Muro di stracci" (Lumpenmauer) verwendete Pistoletto
tatsächlich "arme" Materialien, er umspannte 300 Ziegelsteine mit
Stoffresten und baute daraus eine Mauer, dahinter liegen die Lumpen
ungeordnet in einem großen Haufen. Auch sein "Brunnen" erfüllt die
Maßstäbe des Minimalimus: Wellpappe und ein Spiegel am Grund - wer in
den Brunnen blickt, sieht sein eigenes Gesicht. Andere Werke arbeiten
mit komplizierterer Technik:
Gilberto Zorio spannte zwei dunkle Kuhhäute an die Wand, vor ihnen
glüht ein dicker Draht feuerrot.
"Achtung Lebensgefahr" heißt es auch an der Absperrung vor dem
Hochspannungsobjekt, das starke Wärme ausstrahlt. Andere Arbeiten
konnten aus Sicherheitsgründen gar nicht in Betrieb genommen werden, wie
die feuerspeiende Blume "Margarita di fuoco" von Jannis Kounellis oder
der unter Strom gesetzte Stein von Giovanni Anselmo, sie sind sozusagen
unplugged zu betrachten.
Ausstellung
Che fare? Arte Povera
Die historischen Jahre
1967–1972
Kunstmuseum Lentos
Bis 29. Mai 2011
Printausgabe vom Freitag, 25.
Februar 2011
Online seit: Donnerstag, 24. Februar 2011 17:35:00