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Sharon Lockhart: Lethargie im Industriemuseum

14.12.2008 | 18:36 | SABINE B. VOGL (Die Presse)

Die Amerikanerin Sharon Lockhart porträtiert Arbeit und Leben bei „Bath Iron Works“. Diese 124 Jahre alte Schiffswerft in Maine ist immer noch in Betrieb.

Ohne die Aufträge der US-Navy gäbe es die „Bath Iron Works“ nicht mehr. Mit ihrer 124-jährigen Geschichte ist diese Schiffswerft im US-Bundesstaat Maine ein Fossil der industriellen Epoche, ein Symbol für das Ende eines Zeitalters. Mehr als ein Jahr hat Sharon Lockhart hier recherchiert, hat nicht die Produktion, sondern die Menschen in den Blick genommen. Statt medienwirksamer Kriegsschiffe sehen wir präzise im Studio fotografierte Lunchboxen, statt der gewaltigen Maschinen die Arbeiter in der Mittagspause.

„Lunch Break“ nennt die 1964 in Massachusetts geborene Künstlerin ihre Fotoserien und Filme, in denen sie einer von Umstrukturierung betroffenen Welt ein leises Denkmal setzt. Im Hauptraum der Secession laufen wir direkt in eine Box hinein. Eine schier endlose Kamerafahrt entfaltet ihren Sog. Auf 80 Slow-Motion-Minuten gedehnt, fährt der Blick durch einen Korridor, an dem rechts und links in kleinen Nischen 42 Arbeiter sitzen, ihre Mittagspause gemeinsam oder einsam verbringen, lesend, dösend, essend. Lockharts Anwesenheit wird von den Arbeitern nahezu ignoriert, nur wenige schauen kurz auf. Müdigkeit bis Lethargie beherrscht die Szene.

Anfangs wartet man noch auf ein unerwartetes Ereignis hinter einem der zahlreichen Spindschränke, auf eine laute Pausenglocke oder ein plötzliches Aufbrechen aller. Aber absolut nichts passiert. Irgendwann lässt man sich dann in diese Verlangsamung fallen, die an das stetige Auslaufen einer erstarrten Materie erinnert – an die kontinuierliche Heranführung an ein unwiederbringliches Ende. Eine ähnliche subtile, nur mit den Mitteln des Mediums inszenierte Endzeitstimmung schafft Lockhart auch in den anderen Projekten von „Lunch Break“.

In der einen Fotoserie sind die teilweise selbstgebauten, handtaschengroßen Jausenboxen perfekt ausgeleuchtet wie altertümliche Helden einer vergangenen Epoche. In den anderen Serien dokumentiert Lockhart einige Arbeiter und vor allem jene skurrilen Momente des Betriebsalltags, die von Mini-Geschäften wie Kaffee-, Pausenbrot und Hot-Dog-Anbietern erzählen, die in ihrem antiquarischen Arrangement offenbar seit Generationen unverändert weitergeführt werden. Ist es nur der Blick der Künstlerin oder haben hier Designerwaren und Getränkeautomaten tatsächlich Werkverbot? So oder so: Eine Espressomaschine transportiert nur ihre eigene Werbekampagne. Diese Tische voller billiger Waren mit selbst gebastelten Schildern dagegen stecken voller assoziationsreicher Geschichten, die von Solidarität, gemeinsamen Bedürfnissen erzählen, die das Gegenteil von Gewinnmaximierungsstreben verkörpern.

 

Durch den Tunnel in die Freiheit

Unten in den Räumen der Secession sehen wir dann eine Art Schlüsselmoment des Gesamtprojekts. Die Fotografien hier erzählen nicht mehr von der Fabrik, sondern führen uns in einen sterilen weißen Raum, wohl ein Museum. Fünf Arbeiter sind in Aktion: drei davon als starre Protagonisten von Duane Hansons Installation, zwei aus dem Aufbau-Team – Installationshilfskräfte, Bauarbeiter und Museumsmitarbeiter treffen aufeinander.

Der US-amerikanische Bildhauer entwickelte in den Sechzigerjahren seinen Hyperrealismus aus der Pop-Art heraus, zelebrierte aber nicht eine hedonistische Konsumkultur, sondern griff mit seinen lebensechten Figuren Kriegsszenen und Menschen der Arbeiterklasse auf. Mit dieser Referenz schärft Lockhart hier den Blick der BetrachterInnen, konfrontiert uns kompromisslos mit der Notwendigkeit, im Blick zu unterscheiden, was im Prinzip dasselbe ist.

Diese Momentaufnahme sei auch der Ausgangspunkt ihres „Lunch Break“-Projekts gewesen, erzählt die Künstlerin. Im letzten Raum der unteren Galerie schließt sie ihr Porträt der Arbeiterklasse mit dem Film „Exit“ ab: Im steten Strom verlassen die Arbeiter die Werft, blicken sich nicht um, sondern gehen zielstrebig mit ihren Jausenboxen in der Hand durch die Tunnelunterführung in den arbeitsfreien Raum.

Sharon Lockhart, Wiener Secession, 21.11.2008–18.1.2009


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