Als Frederick Winslow Taylor 1917 knapp
60-jährig mit einer Uhr in der Hand starb, war die Welt nicht mehr, wie
sie zuvor war. Sein ganzes Leben widmete der Quäkerssohn der Erforschung
der betrieblichen Effizienz, "die tagtägliche Vergeudung
menschlicherArbeitskraft durch ungeschickte, unangebrachte oder unwirksame
Maßnahmen" war ihm ein Gräuel.
Taylor sezierte die Arbeit wie ein Pathologe, zerlegte sie in
Bewegungsabläufe, in immer kleinere Einheiten, maß sie in Zeit und Raum
und fasste seine Theorie 1911 in der 156-seitigen Schrift "Die Grundsätze
wissenschaftlicher Betriebsführung" zusammen, Motto: "Bisher stand die
Persönlichkeit an erster Stelle, in Zukunft wird die Organisation und das
System an erste Stelle treten." Zu den aufmerksamen Leserinnen dieses
Buches gehörte auch Margarete Schütte-Lihotzky.
Der Herd zum International Style
Das neue Bild der Moderne erfasste alle Lebensbereiche. Europäische
Künstler wie die italienischen Futuristen versuchten, die Formen und Werte
der modernen Technologie auf Leinwand zu bannen. Architekten um Walter
Gropius entwarfen den "internationalen Stil". Der Bauhaus-Gründer glaubte,
dass Fabriken und andere Industriebauten den Geist der Zeit ausdrücken
sollten, wie es die Kathedralen im Mittelalter taten. Gropius ("Kunst und
Technik - Eine neue Einheit", 1921) sah die Zeit reif für das in
Massenproduktion hergestellte Haus. Und was für das Haus galt, sollte vor
der Küche nicht Halt machen.
Margarete Schütte-Lihotzky untersuchte die Arbeitsabläufe in der Küche
genau, um dann die Möbel so arbeitssparend wie möglich anzuordnen. Das
zentrale Thema ihrer Arbeit in den 20er Jahren war die Frage: Wie kann man
der Hausfrau durch richtigen Wohnbau Arbeit ersparen? Und damit Zeit,
deren Mangel die neue Berufstätigkeit mit sich brachte. Dass die Küche für
die Frau effizient organisiert sein müsste, war trotz aller
Fortschrittlichkeit auch 1926 noch keine Frage.
Serielle Produktion
![Frankfurter Küche](00060144-Dateien/0-kuche2.gif) |
Frankfurter
Küche |
Ergebnis dieser Taylorisierung
der Küchenarbeit war jedenfalls die heute weltberühmte "Frankfurter
Küche". Als erste moderne seriell hergestellte Einbauküche entstand sie
1927-28 im Rahmen von Ernst Mays sozialreformerischem Bauprogramm "Das
neue Frankfurt". Nur sechseinhalb Quadratmeter groß, war die Frankfurter
Küche durch Raumökonomie und streng funktionale Einrichtung ein Beitrag
zur "Rationalisierung der Hauswirtschaft" und wurde bis 1930 in rund
10.000 Wohnungen der Frankfurter Sozialsiedlungen eingebaut. Die
Frankfurter Küche war das Vorbild der "Schwedenküche", die seit den 50er
Jahren weltweit Einzug in den Haushalt hielt. Das hat Margarete
Schütte-Lihotzky konsequenterweise 1989 auch den IKEA-Preis
eingetragen.
![Aus einem Schulfilm zum Gebrauch der](00060144-Dateien/0-kuche.gif) |
Aus einem Schulfilm zum Gebrauch der
"Frankfurter Küche", 1929 |
Der Entwurf sollte sich folgenreich in der Entwicklung der modernen
Einbau-Küche auswirken, in der schwedischen Essküche, aber auch in
Konterkarierung ihrer Intentionen zum Küchenkammerl der Nachkriegsjahre.
Kritiker warfen ihrem Entwurf vor, er hätte ganz im Stil der Zeit die
Arbeitsgänge rationalisiert und so eher die Menschen an die Objekte als
umgekehrt angepasst. Die Architektin konterte: "Die 'Frankfurter Küche'
ist auch als Umsturz der Eigentumsverhältnisse zu sehen, da die
eingebauten Möbel Eigentum der Stadt waren, die diese dann auch bei Bedarf
renovieren musste."