Lustvolle Schmerzkultur

"Der Aktionist errichtet für sich immer wieder eine pseudosakrale Neuproduktion der Erlöserfigur", so die Autoren Ivanceanu und Schweikhardt.


"Aktionismus all inclusive", der Titel eines Buches, das Donnerstagabend in der Buchhandlung der Kunsthalle Wien im Museumsquartier präsentiert wurde. Es erscheint als dritter Teil einer Tetralogie zum Thema Körper, die von Vintila Ivanceanu und Josef Schweikhardt verfasst wurde.

Den Autoren geht es dabei nicht um die ästhetische Dimension des Aktionismus, sondern um seine soziokulturelle Herkunft. Dabei tun sich einige überraschende Parallelen auf.

Europäische Schmerzkultur

Nitsch / ©Bild: APA
Nitsch / ©Bild: APA

Ob Nitsch, Mühl, Brus, Schwarzkogler, Beuys oder Christo - sie alle agieren vor dem christlichen Hintergrund der uralten europäischen Schmerzkultur: Blut schütten, Organe extrahieren, Fleisch ritzen, Glieder knoten, Objekte kreuzigen und verhüllen, Exkremente abfüllen oder Folter-Maschienen einsetzen. Vinitla Ivancanu und Josef Schweikhardt zählt die Internationale der Märtyrer, Geissler, Asketen, Fakire und Säulenheiligen zur Erbmasse des Aktionismus.

Aktivisten - Märtyrer

Für Vintila Ivanceanu liegt der Hauptunterschied zwischen Märtyrern und Aktivisten darin, dass letztere niemals bis zur letzten Konsequenz gehen:
"Wobei der Unterschied zwischen den Aktionisten der Fleischgeneration und dem Märtyrer immens ist. Der Märtyrer stirbt, der Aktionist stirbt nur fast. So gesehen sind das unglaubliche Simulanten. Man kann von einem Aktionisten als einem Flagellanten, als Geißler reden, der noch dazu die immense Pose des Helden übernimmt."

Ausnahme John Fare

Die einzige Ausnahme: Der Kanadier John Fare, der sich nach dem Vorbild der Foltermaschine aus Franz Kafkas Erzählung "In der Strafkolonie" eine Amputiermaschine bauen ließ. Es ist dies ein übersteigertes Beispiel des Aktionismus, das eine Reihe von Prozessen für die Mitarbeiter der Aktion nach sich zog. Und von der Kunstgeschichte nicht zur Kenntnis genommen wird.

"Er hast sich in Geheimsitzungen jedes einzelne Glied abtrennen lassen, bis er sich selbst zu einem Rumpf degradiert hat. Die letzte Sitzung war die konsequenteste: er hat sich von dieser Maschine enthaupten lassen", erzählt Vintila Ivanceanu. Und Ko-Autor Josef Schweikhardt stellt fest: "Die junge Generation der Medienmacher, der Theaterleute, der Neo-Aktionisten hat natürlich, im Gegensatz zu den Pionieren und den Sauriern dieser Bewegung, durch Hyperreflexion so etwas wie einen ironischen Schock bekommen. Sie liefert selbst nun in ihren jeweiligen Aktionen die zynische Interpretation meistens mit".

Körpereinsatz in Pop-Kulturkanon

Die moderne Mediengesellschaft setzt den Körpereinsatz in den allgemeinen Kanon der Popkultur um. Und sie betreibt gleichzeitig dessen Entschreckung. Der blutige Einsatz des Körpers ist zur ganz alltäglichen Technik geworden. Zum Volksgut, wie Josef Schweikhardt meint:

"Das heißt im Comic schlummern sehr viele aktionistische Momente, im Wrestling selbst, Schlingensief bedient sich ebenso aktionistischer Themen, ebenso Stuckrad-Barre, in den TV-Sendungen wird ständig eine Selbstzerfleischung mit Psycho-Outing betrieben."

Tipp

"Aktionismus all inclusive" von Vintila Ivancanu und Josef Schweihardt, Passagen-Verlag, ATS 260,- / Euro 18,89, ISBN 3851655109.

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