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Steirischer Herbst: „Bewusst inszenierte Skandal-Kultur wäre ganz einfach retro“

18.09.2007 | 18:32 | NORBERT MAYER (Die Presse)

Interview mit Veronica Kaup-Hasler, der Intendantin des Grazer Avantgarde-Festivals: Über die Bedeutung der Agape beim Festmahl der Kunst, das problematische Kuscheln von Igeln bei Kälte und die Verführung von Denkern zu neuen Sprach-Formen.

„Nah genug“ lautet das Motto des „steirischen herbstes“, der an diesem Donnerstag eröffnet wird. Wie nah geht die Stadt Graz Veronica Kaup-Hasler in ihrem zweiten Jahr als Intendantin? Erzeugt die Nähe auch Verachtung? „Amos Oz beschreibt, wie sich Igel in der Kälte verhalten. Sie rücken zusammen, stellen die Stacheln auf. Wenn sie sich gestochen haben, rücken sie wieder auseinander. Es geht um das Ausbalancieren von Beziehungen. Das gilt auch für diese Stadt, es tun sich Nähen auf, und dann gibt es wieder Situationen, in denen man sehr stark fremdelt.“

Was geht ihr hier denn auf die Nerven? Fühlt sie sich hinreichend unterstützt? „Generell haben wir hier ein positives und konstruktives Klima mit den lokalen Kulturpolitikern. Aber es ist natürlich klar, dass ein interdisziplinäres Festival dieser Größenordnung (der „herbst“ wird mit 2,65 Mio. € subventioniert), durchaus eine höhere Dotierung vertragen könnte. Das wissen auch die politisch Verantwortlichen in Stadt, Land und Bund. Wir sind leider auf dem Niveau der Neunzigerjahre geblieben. Und das sollte sich perspektivisch ändern, wenn der herbst auch weiterhin als produzierendes Festival international relevant sein möchte.“

Durch den Sparkurs muss man sich vermehrt auf Veranstaltungen in Graz konzentrieren, Kaup-Hasler würde auch gerne mehr im Umland machen. „Es mangelt nicht an Ideen, aber unser Budget erlaubt das nicht. Außerdem gibt es vom Land andere Schwerpunkte – ein neues Festival, die Regionale, die alle zwei Jahre stattfindet und über ein Budget von 4 Mio € verfügt. Aber da ist noch nicht wirklich klar, was das sein wird. Ich denke, dass man das erste Festival erst mal abwarten muss.“


Vierzig bunte Jahre

40 Jahre alt ist der „herbst“, ein wenig älter als die Intendantin – nah genug einer Midlife-Crisis? „Es ist ein interessantes Stadium, weil man nicht mehr zu den ganz Jungen gehört, aber noch immer jung im Verhältnis zum Gros der Kollegen ist. Man hat schon Zeit gehabt, ein Profil zu erlangen. Ein Festival hingegen ist kein Organismus, es hat ganz verschiedene Etappen und wird ständig neu erfunden. Bei meinem Vorgänger dominierte das Musiktheater, bei mir gibt es andere Schwerpunkte. Das Festival ist im Übrigen so jung, wie die Menschen und Künstler, die dafür arbeiten. Und das ist ein sehr junges Team. Das spürt man.“ Was fehlt noch zum Glück? „Das Fest ist bereitet. Jetzt fehlt nur noch Agape, Gemeinsamkeit mit dem Publikum, das was man Teilen und gemeinsames Erleben nennt.“

War der „herbst“ des Vorjahres zu still? „Da widerspreche ich heftig. Vielleicht für die, die ihn nicht miterlebt haben. Die Zeiten sind vorbei, in denen man durch das Herunterlassen von Hosen das Publikum verängstigen konnte. Wir gehen viel selbstverständlicher mit gewissen Dingen um. Künstler entwickeln ganz andere Strategien z. B. um mit Medien zu kommunizieren. Eine bewusst inszenierte Skandal-Kultur wäre ganz einfach retro. Als Skandal empfinde ich eher wie momentan eine ganze Glaubensgemeinschaft kriminalisiert und diskreditiert wird.“

Kaup-Hasler legt Wert auf Diskurs. „Wir müssen uns fragen, wo heute ein Adorno ist (der einst beim „herbst“ diskutierte), bei uns diskutiert eben jemand wie Josef Vogel oder Irit Rogoff. Es ist wichtig, in anderen Formaten über Theorie nachzudenken, wir wollen relevante Denker unserer Zeit zu neuen Formen des Vermittelns und Sprechens verführen.“

Eine Lieblingslektüre sind momentan für die Intendantin die Randnotizen zum „herbst“ im Internet: „Man hat Anteil am Leben von Menschen, die weit weg sind und uns trotzdem an ihrem Künstlertum teilhaben lassen. Man wird nach Buenos Aires entführt, nach Belgrad.“ Und wie wird 2008? „Die Maschinen sind schon auf Hochtouren. Wir werden die Oper „Melancholia“ von Georg Friedrich Haas aufführen – ein Großprojekt.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 19.09.2007)


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