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03.09.2005 - Kultur&Medien / Ausstellung | ||
Ars Electronica: Sehnsucht nach Maschinen, Materie, Fleisch | ||
VON THOMAS KRAMAR | ||
Metall im Architekturzentrum, Retro-Retro in der Montagehalle, Datenbrunnen überall. | ||
Mit Wasserstellen, um die sich Tiere sammeln, vergleicht Sonja Bettel
im Ars-Electronica-Katalog die öffentlichen Orte, an denen "Wireless LAN",
also drahtloser Zugang zum Internet, geboten wird: "Das Internet ist mobil
geworden, und es könnte auch so frei verfügbar sein wie Parks, Bänke oder
öffentliche Trinkbrunnen." Die scheinbar biedere Aussage ist brisant in
Zeiten, in denen öffentliche, für die Allgemeinheit kostenlose Güter von
Fanatikern des Marktes scheel angesehen werden, da sie schließlich - was
für ein Frevel! - diesem entzogen werden. So ist es ein mutiger, wichtiger Schritt der Stadt Linz,
mehrere hundert öffentliche Wireless-LAN-"Hotspots" einzurichten. Er wurde
bei der traditionellen Eröffnung der Ars Electronica auf dem Linzer
Hauptplatz vorgestellt, vor einem traditionellen Kommunikationsforum,
einer Sandkiste (in der der holländische Künstler Theo Jansen seine aus
Rohren und Planen gebastelten "Strandtiere" ausstellt), mit traditionellen
Ritualen (Politikeransprache). Danach verwendeten indische Musiker ein
traditionelles Medium, um ihre (überirdisch bedächtigen) Gesänge über den
Platz zu verbreiten: tragbare Radiorecorder. Und dann ging es an einen Ort des traditionellen
Maschinenbaus: in eine Montagehalle der ÖBB, aufgeputzt mit fahlem Licht,
Industrieromantik als Party-Design, wie einst bei den Clubbings im
Technischen Museum. Retro-retro: Erinnerung an die Zeit, als es en vogue
war, sich in sentimentaler Verklärung an die industrielle Revolution zu
erinnern. Die Gruppe "Bastards Revenge" projizierte dazu Bilder der
Raumfahrt (die ja von Jahr zu Jahr nostalgischer wirken) und landete
schließlich musikalisch in einer Art Elektro-Dixieland. Es ist längst zur
Obsession geworden: Die Kunst der Informationsindustrie (und der hat sich
die Ars ja im Wesentlichen verschrieben) kann nicht von der Schwärmerei
für die "reale" Industrie lassen, für die groben, stählernen Maschinen,
die nach den Gesetzen der klassischen Mechanik und Thermodynamik
funktionieren und nicht nach irgendwelchen feinen Quanteneffekten.
Diese Sehnsucht nach der Materie as we know it prägt auch
die Ausstellung "Hybrid Creatures and Paradox Machines" im
Architekturforum: Die meisten Exponate sind betont lo-tech und lo-fi, "The
Singing Skeleton Pilot" etwa, wo einem eine schwere Gitarre mittels
geradezu rostiger Apparatur auf dem Rücken installiert wird, oder Vaclav
Jiras aus Metallabfällen gebastelte Maschinen. Die Tätowiermaschine
"Kurt", offenbar eine Variation über Kafkas "Strafkolonie", sticht gleich
in die Haut, womöglich ins Fleisch. Die digitalen Models in "Ideal of
Beauty" sind auf dieselbe Weise sexy wie die fleischlichen Models, sie
müssen ihre Hip-to-waist-ratio halt nicht mit der Waage kontrollieren.
John Geralds faszinierende Installation "The Ladder" wird zwar von einer
virtuellen Figur bevölkert, die blickt aber aus dem Fenster nach draußen,
in die reale Linzer Welt, und kommentiert diese. Man sieht die kleine
Figur nur auf dem Bildschirm, auf der wirklichen Leiter, in der wirklichen
Welt fehlt sie - oder fehlt ihr, vermisst sie die Wirklichkeit? Die Sehnsucht nach der "echten" Maschine steht für die
Sehnsucht nach der organischen Wirklichkeit, nach dem Fleisch, nicht
zuletzt, weil an ihm die Gefühle kleben. Diese schon mehrmals bei der Ars
Electronica angedeutete Erkenntnis steht im Grunde auch hinter dem
heurigen Motto, "Hybrid - Living in Paradox". Denn, wie Derrick de
Kerckhove, Leiter eines der Ars-Symposien, so richtig sagt: "Das erste
Hybrid-Wesen ist der Mensch, als Mischung von Geist und Materie." Das ist
kein Leib-Seele-Dualismus im Sinne des Descartes, hier wird vielmehr die
(vorläufige?) Unzertrennlichkeit von Geist und Materie gefeiert. So landet just die Technologie-Kunst, die sich in ihren
Anfängen in hochfliegenden Plänen von Vergeistigung und Dematerialisierung
gefiel, in der Materie, im Fleisch. Willkommen. Und der Datenbrunnen
gleich neben dem archaischen Wasserquell, für alle, frei, so ist es recht.
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