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26. Oktober 2008
18:55 MEZ

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www.kunsthalle-berlin.com

 

Bau des österreichischen Architekten Adolf Krischanitz


Berliner Kunsthalle eröffnet mit Candice Breitz
Bau des österreichischen Architekten Adolf Krischanitz - Blau-weiße Fassade von Gerwald Rockenschaub

Berlin - 18 Monate lang hat sie Jack Nicholson in Einzelteile zerlegt. Macht die Arbeit am Schnittplatz sie nicht verrückt? "Es macht mich wahnsinnig, aber wenn ich aufhöre, vermisse ich es ganz furchtbar", sagt Candice Breitz. Breitz ist Video- und Fotokünstlerin und kommt aus Johannesburg, sie ist eine der vielen internationalen Kreativen, die in Berlin leben und arbeiten. Jetzt gibt es für Kunst der Gegenwart, die an der Spree entsteht, für zwei Jahre einen neuen Ausstellungsort. Am Dienstag wird die mit Spannung erwartete provisorische Kunsthalle auf dem Schlossplatz vorgestellt, Eröffnung ist am Mittwochabend. Die 36 Jahre alte Südafrikanerin ist die erste, die dort ihre Werke zeigen wird.

Und für das kritische Feuilleton ist sie der richtige Typ: fröhlich, redegewandt und mit einem Kunstbegriff gerüstet, mit dem sowohl Schulklassen als auch Doktoranden etwas anfangen können. Breitz ist in der Kunstwelt keine Unbekannte. Sie hat um die 60 Einzelausstellungen bestritten, darunter in London, New York, Tokio, auf Jamaika, in Wien und im Louisiana-Museum nahe Kopenhagen. Ihre Werke finden sich in zahlreichen privaten und öffentlichen Sammlungen. Eine ihrer bekanntesten Installationen ist "Mother + Father", mit der sie 2005 bei der Kunst-Biennale in Venedig vertreten war. Darin seziert sie mit Bildern und Stimmen von Stars wie Julia Roberts, Meryl Streep, Dustin Hoffman und Steve Martin die Geschlechterklischees von Hollywood.

Wie bestimmt Popkultur unser Leben?

Wie werden wir zu dem, der wir sind? Das sind Fragen, für die Breitz sich interessiert. Für drei Video-Installationen über Madonna, John Lennon und Michael Jackson ließ Breitz Fans die Alben dieser Stars nachsingen. Mitsamt Tänzen, Räuspern und Trinken aus der Wasserflasche - der Besucher steht so vor musikalischen Porträts aus mehreren Bildschirmen. Diese Arbeiten sind erstmals in Berlin zu sehen.

Breitz findet die Temporäre Kunsthalle, die kein Steuergeld kostet, wichtig. In der Stadt gebe es nicht genug Einrichtungen, die Arbeiten der hiesigen Künstler zeigen. Studiert hat Breitz Kunstgeschichte, angefangen hat sie noch mit Videokassetten. Seit etwa 2000 kann sie von ihren Installationen leben. Mit Rummel um die eigene Person fremdelt Breitz etwas. "Ich mag es, wenn die Kunst im Mittelpunkt steht." Druck, die erste Ausstellung auf dem Schlossplatz zu gestalten, verspürt sie nicht. "Meine Arbeit ist meine Arbeit", sagt sie. "Ich behandele jede Ausstellung mit der gleichen Ernsthaftigkeit."

Für "Him", den zweiten Teil der Schau, der in Berlin Premiere feiert, hat Breitz 18 Monate lang 23 Filme mit Jack Nicholson gesichtet. Ihr Team schneidet gerade in der Postproduktion jedes einzelne Bild aus. Aus 40 Stunden Filmmaterial komponiert Breitz eine Installation an sieben Schirmen. "Jeder Kanal, jeder Monitor ist für mich wie eine Stimme aus einem Chor oder wie ein Instrument in einem Orchester", erklärt die Künstlerin. "Oft mache ich das Bild aus und arbeite nur mit dem Klang."

Die Bilderflut täuscht

Breitz sieht sich als Minimalistin auf der Suche nach der Essenz. "Es geht darum, was ich weglasse." Breitz führt das am Schnittplatz ihres Berliner Studios vor: Der siebenfache, ausgeschnittene Nicholson wird ein Sinnbild für die vielen Stimmen, die jeder Mensch im Kopf hat. Aber man darf sich auch unterhalten lassen, ohne die Videos zu analysieren. Dass lärmende Schulklassen durch die Kunsthalle turnen, ist für Breitz keine Horror-Vorstellung. "Es gibt Leute in der Kunst, die vor Spaß Angst haben." Sie hat das nicht.

Die Temporäre Kunsthalle auf dem Berliner Schlossplatz ist vom österreichischen Architekten Adolf Krischanitz entworfen worden. Bis etwa Mitte 2010 sollen dort Werke von Künstlern ausgestellt werden, die in Berlin leben und arbeiten. Die leuchtend blau-weiße Fassade schuf der Berliner Künstler Gerwald Rockenschaub. Das Gebäude liegt neben den Überresten des Palastes der Republik. Ab 2010 soll dort das Humboldtforum mit Schlossfassade gebaut werden. (APA/dpa)

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