derStandard.at | Kultur | Bildende Kunst

15.09.2003 00:46

"Die prinzipiell verbalisierte Kunstfreundlichkeit"
Rechtsanwalt Michael Pilz im derStandard.at-Interview über die im Staatsgrundgesetz festgehaltene "Freiheit der Kunst" - Foto

Das künstlerische Schaffen, die Vermittlung von Kunst sowie deren Lehre sind frei.
(Art. 17a Staatsgrundgesetz)


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Wien - "Die KünstlerInnen können den Artikel 17a nicht als schützendes Schild" vor sich hertragen." Im - nach langer Durststrecke wieder aufgesperrten - Depot referierte am Mittwoch der Wiener Rechtsanwalt Michael Pilz über Rechtsprobleme im Kulturbereich. Ein desillusionierendes Resumee über das 1982 in Österreich verankerte Grundrecht auf Freiheit der Kunst. Der Jurist im Gespräch mit derStandard.at über das Grundrecht und seine Anwendung innerhalb einer nicht eindeutig festgeschriebenen Judikatur.

derStandard.at: Genau einen Satz umfasst der Artikel 17a des StGG. Gibt es über diesen knappe Definition und das Zivil- und Strafrecht hinaus Rechtsbestimmungen, die den juristischen Umgang mit der Freiheit und den Grenzen der Kunst erleichtern? Welche Probleme tauchen im juristischen Alltag auf?

Michael Pilz: Das Problem setzt bereits dort an, dass es keine juristische Definition von "Kunst" gibt. Rechtsanwender stehen daher vor dem Problem, dass sie selbst erst einmal wissen sollten, was denn überhaupt vom Schutzbereich des Art. 17a StGG umfasst sei. Dazu gibt es seit Einführung des Grundrechtes eine unüberschaubar werdende Fülle an Meinungsäußerungen, die den Kunstbegriff umschreiben und festmachen wollen. Dabei ist den beteiligten Vertretern der Rechtswissenschaften zu Gute zu halten, dass gar nicht erst versucht wurde, Kunst zu eng zu definieren und auf Kriterien wie Ästhetik, Schönheit, künstlerische Qualität oder gleichartige Elemente abzustellen. Dies würde eine Art "Kunstrichtertum" provozieren, in dem die Gerichte definieren, was unter den "schönen Künsten" zu verstehen sei.

derStandard.at: Und welche Auffassungen existieren in diesem Graubereich der Kunstdefinition?

Michael Pilz: Einzelne Autoren stellen in einer sehr weiten Definition ausschließlich auf den subjektiven Gestaltungswillen des Künstlers ab, der bestimme, ob seine Schöpfungen Kunst sind. Andere versuchen die Ehrlichkeit des künstlerischen Strebens in den Vordergrund zu stellen. Oder aber sie prüfen, ob und welche Kriterien, die üblicherweise mit künstlerischem Schaffen verbunden sind, konkret zutreffen. Wobei aber bereits das Erfüllen einiger diese Kriterien für die Definition von Kunst spricht. - Die Juristerei ist hier Abbild der Gesellschaft: Sie tut sich schwer mit dem Verständnis von Kunst. Und wenn ich nicht genau sagen kann, was Kunst ist, fällt es schwer, die Freiheit dieses Dings zu bestimmen ...

derStandard.at: Im diese Sommer sorgte die Skulptur "Arc de Triomphe" der Künstlergruppe Gelatin (Nachlese) für einen Skandal auf den Salzburger Festspielen. Die gegenseitigen Besitzstörungsklagen von Stadt und Rupertinum wurden aber nach dem Abtransport des Kunstwerks zurückgezogen. Wie sieht der Fall aus der juristischen Perspektive aus?

Pilz: Laut den Medien veranlasste der Salzburger Bürgermeister Schaden, die "Verhüllung" der Skulptur. Dies erfolgte wohl in Wahrnehmung der örtlichen Sittlichkeitspolizei. Ob es sich bei der Skulptur tatsächlich um ein öffentliches Ärgernis gehandelt hat, darf in Diskussion gezogen werden. Eben hier sollte die künstlerische Intention und Gestaltung außer Frage stehen und das Grundrecht gegen andere Rechte abgewogen werden.

"Was nicht verboten ist, ist sowieso erlaubt"

derStandard.at: Der US-amerikanische Fotograf Spencer Tunick hat 1999 vor dem Wiener Museumsquartier 300 Nackte zum Fotoshooting gebeten. Für seine Aktionen, die er überall auf der Welt durchführt, wurde der Künstler schon einige Male verhaftet. In Wien blieb es ruhig und Tunick selbst lobte den reibungslosen Ablauf mit den Behörden. Ist Wien einfach "anders" oder hatte Tunick rein rechtlich in Österreich nichts zu befürchten?

Pilz: Offensichtlich ist Wien anders oder zumindest anders geworden. Rein rechtlich kann ebenso wie jüngst in Salzburg darüber diskutiert werden, ob durch das Fotoshooting die öffentliche Ordnung gestört oder öffentliches Ärgernis erregt wurde. Das Grundrecht der Kunstfreiheit bedeutet nämlich nicht, dass Künstler die übrigen gesetzlichen Bestimmungen nicht beachten müssen.

Aber: Was nicht verboten ist, ist sowieso erlaubt. Würde daher jedes Materiengesetz, gleich ob Strafrecht, Verwaltungsrecht oder Zivilrecht auf Kunst ebenso angewandt wie auf "normale" Sachverhalte, wäre das Grundrecht seines Sinngehaltes entleert. Es geht also darum, mit Hilfe des Grundrechts den juristischen Aktionsradius für Kunst auszuweiten.

derStandard.at: Wie kann diese Ausweitung des Aktionsradius aussehen?

Pilz: Dogmatisch erfolgt dies, indem entweder die Tatbestandsmäßigkeit eines Handelns verneint wird. Das heißt im konkreten Fall: Wenn es ein künstlerisches Fotoshooting ist, ist es nicht geeignet, ein öffentliches Ärgernis darzustellen, wäre eben dieses Shooting für kommerzielle Zwecke einberufen worden, könnte es sehr wohl die Anstandsgefühle verletzen. - Oder aber man erkennt einen Rechtfertigungsgrund an. Das künstlerische Motiv hebt dann die Rechtswidrigkeit der Tat auf. Die Behördenpraxis ist in diesem Zusammenhang aber unterentwickelt und noch keinesfalls vorhersehbar.

derStandard.at: Welche Form von Nacktheit oder Sexualität darf auch von KünstlerInnen im öffentlichen Raum nicht dargestellt werden?

Pilz: Da die Kunst in die Gesellschaft eingebettet ist kann die Freiheit der Kunst – zumindest juristisch gesehen – mit anderen Freiheiten und Rechten zusammenstoßen. Dazu gehört das Recht, nicht ohne Absicht mit bestimmten unzüchtigen Darstellungen oder Handlungen konfrontiert zu werden oder der Schutz der sittlichen Entwicklung Jugendlicher – beides z.B. im Pornografiegesetz geregelt. Pornografie als Synonym für unzüchtige Darstellungen ist aber auch gesellschaftlichen Veränderungsprozessen unterworfen. Was vor 20 Jahren noch pornografisch war, finden Sie heute auf Titelbildern vieler Hochglanzillustrierter. Aufdringliche Darstellungen von realen Sexualakten gelten nach wie vor als harte, verbotene Pornografie.

Auch bei den Höchstgerichten "noch keine klare Judikaturlinie"

derStandard.at: Für die KünstlerInnen wird es im öffentliche Raum besonders heikel. Im Ernstfall reicht es also nicht sich auf den Artikel 17a zu berufen?

Pilz: Im Einzelfall entscheidet eine Verwaltungsbehörde oder ein Gericht über den Verstoß. Es liegt im Risikobereich des Künstlers, ungünstige Entscheidungen durch Anrufung der Höchstgerichte zu beseitigen. Und auch dort - nämlich bei den Höchstgerichten - ist außer einer prinzipiell verbalisierten Kunstfreundlichkeit noch keine klare Judikaturlinie zu erkennen.

derStandard.at: Schwierig wird es, wenn bildende Kunst in den Verdacht der "Herabwürdigung religiöser Lehren" gerät. Wie sieht da die rechtliche Situation aus?

Pilz: In diesem Fall kollidieren zwei Grundrechte: Jenes auf Freiheit der Religion und Religionsausübung und das Grundrecht auf Freiheit der Kunst. Hier sollte es Aufgabe der Rechtssprechung sein, die beiden Rechtsgüter gegeneinander abzuwägen und eine Lösung zu finden, die den Bestand beider Grundrechte nach Möglichkeit unberührt lässt. Bei gutem Willen kann dies schon auf der Tatbestandsebene geschehen, indem nicht jede Öffentlichkeit, in die sich der Künstler mit seinem Werk begibt, sofort als eine gesehen wird, in welcher die religiösen Gefühle berechtigterweise geschützt werden müssen. Auch muss nicht alles eine Verspottung sein, was von manchen als lächerlich empfunden wird.

derStandard.at: Können Sie sich an einen konkreten Fall erinnern?

Pilz: Wir hatten dieses Probleme in der jüngeren Vergangenheit anlässlich der Zerstörung eines Mühl-Bildes durch Martin Humer [Anm.: der "Pornojäger"], der religiöse Gefühle durch die Mühl’sche Darstellung von Muter Teresa gestört und verletzt sah. Hier meine ich, dass auch unter Zuhilfenahme des Grundrechtes auf freie Meinungsäußerung den Ausdrucksformen der bildenden Kunst schon mehr Freiheit eingeräumt werden muss, indem beispielsweise der Artikel 17a häufiger Anwendung findet und Politiker nicht sofort "von Erregung öffentlicher Ärgernisse" sprechen.

derStandard.at: Gibt es Beispiele für "Kunstskandale" vor Gericht kommen, deren Urteile aus juristischer Perspektive ungewöhnlich waren?

Pilz: Es gab zwei, drei ermutigende Entscheidungen, in denen unter ausdrücklicher Bezugnahme auf die Freiheit der Kunst Verbotsansprüche nicht durchgesetzt werden konnten. Ich erinnere nur an die Karikatur, die einen Zeitungsherausgeber [Anm.: Hans Dichand] als "Schweinchen, das alles macht" zeigte. In diesem Fall wurde die Klage des Herausgebers wegen bestehender Satirefreiheit abgewiesen. Auch das Lied vom "Erzherzog Jörgel" [Anm.: von der EAV] wurde wegen Kunstfreiheit nicht verboten. Andererseits ist mir keine Entscheidung bekannt geworden, in der unter Berufung auf die Kunstfreiheit ein Strafprozess mit einem Freispruch endete; vielleicht sind hier die Zivilgerichte mutiger als die Strafrichter!

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Von Anne Katrin Feßler

Nachlese

Streit um Gelatin-Skulptur in Salzburg

Depot im September
Breite Gasse 3, 1070 Wien

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