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Vorgewusste Demontage

10.05.2007 | 18:56 | ALMUTH SPIEGLER (Die Presse)

Auf die Halbgötter in der Kunst ist kein Verlass mehr. Will Anselm Kiefer doch tatsächlich plötzlich sein geheimnisumwittertes Atelierareal in Südfrankreich verlassen. Sein 35 Hektar großes, seit 15 Jahren mythisch von ihm eingewobenes Wunderland „La Ribaute“, wohin ich mit naiven siebzehn eine Art Liebesbrief adressierte – und keine Antwort erhielt. Natürlich. Welche Halbgötter antworten schon?

Meine ganz persönliche Antwort auf diesen mächtig schweren Donaueschinger Künstleralchimisten, dessentwegen ich Kunstgeschichte studiert habe, musste ich mir seither, immer frustgebeutelter, selber geben. Vom peinlichen Moment an, an dem ich ihm 2002 in Salzburg erstmals leibhaftig gegenüber stand – und kein Wort herausbrachte. Bis zu meiner endgültigen Beunruhigung, als mir Wiener Kiefer-Groupie der nüchterne Ruhrgebietler (und Wiener Akademie-Rektor) Stephan Schmidt-Wulffen in irgendeinem nordamerikanischen Museum mit Todesverachtung entgegen schleuderte, dass die Wirkung von Kiefers aufgeladenen Blei-Stroh-Haar-Gebilden nur auf „vorgewusster Sensibilität“ beruhen. Wow!

Und jetzt will mein heftig wankender Halbgott plötzlich seine Mythen-Fabrik verlassen, ins profane Paris ziehen – und mein südfranzösisches Sehnsuchtsgebiet an den gierigen Guggenheim-Konzern verscherbeln. Also wenn das sensibel ist! Da könnte dann ja jeder hinein, sogar ich, Postkarten und T-Shirts mit abgerissenen Bachmann- und Kabbala-Sprüchen kaufen und Hämisches über vorgewusste Grausamkeit von sich geben.

Fehlt nur noch, dass dieser brutale Umgang mit dem eigenen Gesamtkunstwerk Schule macht. Dass Walter Pichler seine sakrale südburgenländische Skulpturen-Siedlung seiner coolen Berliner Contemporary Fine Arts Galerie übergibt. Karlheinz Essl in Nitschs Schloss Prinzendorf eine Filiale aufsperrt. Und Cornelius Kolig sein Kärntner „Paradies“ etwa an die Kunst sammelnde Strabag verkauft.

Je mehr ich darüber nachdenke, umso klarer wird: auf die Halbgötter in der Kunst ist kein Verlass mehr.


almuth.spiegler@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 11.05.2007)


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