Aufbruch in die Moderne


Kein anderer Künstler hat so viele "unvollendete" Werke geschaffen wie Cézanne. Sie stammen vor allem aus den letzten beiden Jahrzehnten seines Schaffens, also von etwa 1885 bis 1906, als Cézanne von finanziellen Sorgen befreit in Südfrankreich in der Nähe von Aix-en-Provence seinen eigenen Stil fand, um das Licht und die Schatten der Gegenstände sichtbar zu machen.

Bruch mit der Tradition

Porträt Madame Cézanne, um 1888 (Für ganzes Bild anklicken)
Porträt Madame Cézanne, um 1888 (Für ganzes Bild anklicken)
Doch von seinen Zeitgenossen wurden diese Bilder als zu bunt und dilettantisch verhöhnt. Dass sie nach dem Zweiten Weltkrieg als "unfertige" billige Werke im Kunsthandel kursierten, ist heute geradezu unvorstellbar. Denn "gerade in den unvollendeten Bildern ist das enthalten, was in die Moderne führt, da entwickelt Cézanne eine neue Ästhetik, eine neue Form des Bildes, die nicht mehr eine mimetische Darstellung der Natur ist, sondern das Bild als Bild in einer anderen Wirklichkeit ansieht", erklärt Evelyn Benesch, die leitende Kuratorin der Cézanne-Ausstellung im Wiener Kunstforum. Oder wie es Picasso einmal formulierte: "Kaum hat er einen Farbfleck gesetzt, ist es schon ein Bild."

Klare Zielsetzung

Hat Cézanne die Bilder seiner letzten Jahre absichtlich unvollendet gelassen oder hat er einfach in der Unordnung seines Ateliers den Überblick verloren? Ist es bloß der Geschmack des ausgehenden 20. Jahrhunderts, die unfertigen Bilder besonders zu lieben? Und vor allem, welches Konzept liegt dem Prinzip des Unvollendeten zu Grunde? Das sind die Fragen, die die Ausstellung - ein absolutes Wunschkind von Noch-Direktor Klaus Albrecht Schröder, der nunmehr die Geschicke der Albertina leitet - aufwirft. Fragen, die sich angesichts der Fülle und Vielfalt an unvollendeten Bildern geradezu aufdrängt.

Abmontiert und gefunden

Mädchenbildnis, um 1896 (Für ganzes Bild anklicken)
Mädchenbildnis, um 1896 (Für ganzes Bild anklicken)
Kurioserweise sind Großausstellungen der Vergangenheit wie etwa jene 1995 in Paris/London/
Philadelphia diese Antworten schuldig geblieben. Wien will sie geben, von Fall zu Fall, anhand von 80 Gemälden, 30 Aquarellen und Bleistiftzeichnungen, zwei davon waren bisher unbekannt: ein Mädchenbildnis aus Bukarest und eine Baumstudie, die in der Albertina beim Abmontieren unter einer anderen Zeichnung entdeckt wurde.

Wege zum Idealbild

Cézanne selbst hat nie klar formuliert, welche Theorie hinter seiner Malerei steht. Er wollte malen, Theoretisieren langweilte ihn. "Ich suche, während ich male", sagte er und versuchte zeitlebens den richtigen Bezug der Bildelemente zueinander zu finden, eine Harmonie zwischen Farben, Formen und Flächen, indem er mit "allem, was ihm unter die Finger kam", so Benesch, experimentierte. Immer wieder malt er dieselben Motive, bricht unwillkürlich ab, stellt ein Bild zur Seite, um es Jahre später wieder zu bearbeiten, übermalt es mehrmals oder zerstört es überhaupt.

Montagne Sainte-Victoire, um 1904/06 (Zum Vergrößern anklicken)
Montagne Sainte-Victoire, um 1904/06 (Zum Vergrößern anklicken)

Leere Flecken auf der Leinwand

"Der Anspruch an die Vollendung war eine Idee in seinem Kopf. Es interessierte ihn aber nicht, das im Sinne der technischen, handwerklichen Vollendung bei jedem einzelnen Bild umzusetzen", erklärt Evelyn Benesch. Und er hatte mehr Angst davor, durch Einfügen eines falschen Farbtons oder einer falschen Pinselstruktur dem Werk mehr zu schaden, als es die leeren Leinwandstellen taten.

Frauenporträt, 1902-06 (Für ganzes Bild anklicken)
Frauenporträt, 1902-06 (Für ganzes Bild anklicken)
Bis zuletzt zweifelte er, ob er sein Ziel vom Idealbild je erreichen würde: "Ich sehe das gelobte Land vor mir. Wird es mir ergehen wie dem großen Führer der Hebräer, oder werde ich es betreten können?", schreibt er knapp vor seinem Tod.

Dennoch, aufgeben wäre ihm nie in den Sinn gekommen. Als er sich in der Person des scheiternden Malers in "L'Oeuvre", dem 1886 erschienenen Roman von Emile Zola, zu erkennen glaubt, bricht er sofort jeden Kontakt zu seinem Jugendfreund Zola ab. "Wie kann er es wagen zu behaupten, ein Maler bringe sich um, weil er ein schlechtes Bild gemalt hat!", empörte er sich.

Links:

Cézanne im Kunstforum mit ausführlicher Biografie und Serviceangebot,

Cézanne.com: die einzige ausschließlich dem französischen Meister gewidmete Webseite.

Tipps:

In der Reihe "einfach klassisch" zeigt ORF2 am Sonntag, dem 23. Jänner um 23.15 Uhr das Porträt "Paul Cézanne - Ein Pionier der Moderne". Wiederholung am 30.1. um 9.45.

"Eine Annäherung an Cézanne" versucht das Salonkonzert am Donnerstag, dem 3. Februar, im Großen Sendesaal im RadioKulturhaus u.a. mit Markus Davy (Klavier), Woody Schabata (Mallets) und der Gruppe Triology mit Orgelkompositionen.

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