Jenny Holzer, eine der
bedeutendsten US-Künstlerinnen der Gegenwart, über Clint Eastwoods
Understatement, Duchamps Pissoir und die bedrohte Redefreiheit in
Bushs Amerika.
profil: Sehen Sie Ihre Kunst, die sich ja intensiv mit
Dogmatismus und Propaganda befasst, als Provokation?
Holzer: Manche meiner Texte sind
provokanter als andere. Meine „Inflammatory Essays“ etwa sind genau
das: Sie sollen zum Denken provozieren, auch darüber, wie wir in
Aggression versetzt werden, wie gefährlich wir sind. Andere Arbeiten
sind weniger provokant: „Mother and Child“ ist eher traurig,
bisweilen ängstlich. Aber auch diesem Werk liegt etwas zugrunde, das
man für provokant halten könnte: die Erklärung nämlich, dass es
besser sei, Menschen – insbesondere Frauen und Kinder – nicht zu
töten.
profil: Sie haben einmal gesagt, dass Sie nicht für ein
Kunstpublikum arbeiten, sondern lieber an öffentlichen Orten. Das
haben Sie getan, indem Sie Ihre oft beunruhigenden Texte auf Poster,
Sticker und elektronische Schilder gesetzt haben. Mögen Sie Museen
nicht? Holzer: Ich habe in den
Straßen New Yorks begonnen. Meine öffentlichen Werke sind mir enorm
wichtig. Ich würde sagen, dass heute immer noch mindestens die
Hälfte meiner Arbeit nicht für ein Kunstpublikum gedacht ist. Aber
ich habe es auch zu schätzen gelernt, in Museen, in Kunsthallen zu
arbeiten, wo ich große Installationen entwerfen, wo ich alles
kontrollieren kann.
profil: Würden Sie Ihre Arbeit als offen politisch
qualifizieren? Oder ist sie eher persönlich als politisch?
Holzer: Es ist wohl eine Mischung
aus beidem. Man könnte sagen, dass die Präsentation persönlicher
Inhalte an öffentlichen Orten ja auch eine Art politischer Akt ist.
Das ist eine Form, um festzuhalten, dass das Individuum zählt, dass
jedes Leben und jeder Tod relevant sind. Manchmal ist meine Arbeit
sehr didaktisch.
profil: Kann man denn Interesse oder gar Reflexion mit
Kunst im öffentlichen Raum überhaupt erwarten? Ist das nicht eine
kaum erfüllbare Utopie? Holzer:
Nun, ich stelle Arbeiten öffentlich aus, und ich versuche dabei,
ihnen Anziehungskraft zu geben, inhaltlich und formal. Das ist eine
Einladung an die Menschen, eine Einladung zum Hinsehen, nicht mehr
und nicht weniger. Einige werden anhalten und hinsehen, viele werden
es nicht tun. Das ist in Ordnung so.
profil: Sie nennen Ihre
Arbeit auch didaktisch. Gehört es zu Ihren Zielen, Menschen für die
Kunst zu gewinnen? Holzer:
Natürlich, ich teile meine Liebe zur Kunst gern. Aus diesem Grund
haben auch Schönheit und Sinnlichkeit in meinen Installationen und
Projektionen ihren Platz. Aber ich muss auch sagen, dass es für
manche meiner öffentlichen Werke gar nicht nötig, ja nicht einmal
wünschenswert ist, wenn jemand überhaupt an die Kunst denkt. Man
muss nicht wissen, dass ich Künstlerin bin, um meine anonymen
Arbeiten in den Straßen schätzen zu können. Es geht darum, dass die
Themen, die Inhalte ankommen. Manchmal wird es dabei zwar passieren,
dass man diese der Kunst zuschreibt, aber das ist sekundär.
profil:
Die Räume, die Sie bearbeiten, sind meist ziemlich einzigartig. Sind
es die Orte, die Sie zuerst interessieren? Holzer: Was meine Arbeit umgibt, war immer von
höchster Bedeutung für mich. Eine Installation in der Berliner
Nationalgalerie etwa in einem Gebäude Mies van der Rohes machen zu
können, empfand ich als Luxus. Es fordert mich heraus, Kunst
erfinden zu müssen, die sich mit besonderer Architektur verbinden
kann. Meine Arbeit definiert sich eben durch Inhalte und
Präsentation: Die Bedeutung liegt nicht nur im Text, sondern auch im
Kontext.
profil: Sie sind nach Wien gekommen, um für das MAK an
einem der Flaktürme im Arenbergpark zu arbeiten. Sie recherchieren
immer vor Ort, ehe Sie zusagen? Holzer: Nachdem meine Arbeit so sehr von den
Schauplätzen abhängt, muss ich eine Menge Zeit in und an den Orten
zubringen. Oft brauche ich Monate, um herauszufinden, was an einem
gegebenen Ort zu tun ist. Diese Recherchephasen sind einerseits
nötig, andererseits eine Freude. Es ist möglich, dass ich eine
Installation für das MAK machen werde, in ein paar Jahren vielleicht
auch öffentliche Textprojektionen; ich freue mich jedenfalls sehr
darauf, Wien so genau wie möglich anzuschauen, diese Stadt zu
fixieren.
profil: Arbeiten Sie langsam? Holzer: Würde ich sagen, ja. Aber früher oder
später, wenn die Gebäude stark genug sind, beginnen sie zu sprechen
– dann weiß ich, was ich zu tun habe.
profil: Fällt Ihnen das
Schreiben schwer? Holzer:
Allerdings, ich bin ja nicht in erster Linie Autorin; außerdem ist
es oft auch schwer, sich mit dem Grauen zu befassen, von dem ich
erzähle. Das heißt, ich muss nicht nur die Tatsache überwinden, dass
ich keine Schriftstellerin bin, sondern auch meinen Widerstand, die
bisweilen grauenerregenden Sujets meiner Arbeiten offen zu
betrachten.
profil: Sie hantieren gern mit neuen Medien, mit
elektronischen Hilfsmitteln. Ist das eines Ihrer Lieblingsgebiete
oder nur eine Kommunikationsform unter vielen? Holzer: Ich setze meine Texte gern an Orte, auf
die die Menschen sehen. Ich arbeite nicht exklusiv mit
elektronischen Medien, aber ich mag es, dies zu tun, denn die
Menschen sind fasziniert von neuen Dingen – und das gibt mir die
Möglichkeit, meine Inhalte präsent zu halten.
profil: Diese Medien zu
benutzen ist also einfach nötig, um Ihr Publikum zu erreichen?
Holzer: Es ist vielleicht nicht
nötig, aber doch eine nette Gelegenheit, eine gute Wahl. Stein
funktioniert als Medium übrigens auch ganz gut.
profil: Sie untersuchen
Dogmen und Vorurteile, aber auch das, was man „Wahrheiten“ nennt.
Eine Ihrer frühen Arbeiten heißt sogar „Truisms“. Welche Beziehung
haben Sie zur Wahrheit? Holzer:
Ich habe in den „Truisms“ zu verstehen versucht, woran die Menschen
glauben, was Ihnen nahe geht. Maximen und Klischees sind da gute
Studienobjekte. Daher habe ich zunächst eine Menge Maximen und
Sprichwörter untersucht, um danach neue Proklamationen dieser Art zu
verfassen. Ich wollte herausfinden, woran geglaubt wird, aber auch,
was passiert, wenn diese Glaubensgrundsätze miteinander kollidieren,
gegeneinander stoßen. Es ging letztlich auch darum, auf zivilisierte
Weise herauszuarbeiten, was genau dabei geschieht, wenn Menschen
einander heftig widersprechen.
profil: Viele der
Phrasen, die Sie benutzen, klingen strikt, extrem dogmatisch; wenn
man diese aber gegeneinander setzt, bildet sich etwas ganz anderes:
Sie werden zu einem Akt des Widerstandes gegen den Dogmatismus.
Holzer: Es gibt natürlich viele
Formen des Glaubens. Nehmen Sie einen Raum, in dem sich Leute
aufhalten, und Sie werden dutzende feste Überzeugungen darin finden;
in der Welt da draußen finden Sie sofort tausende mehr. In den
„Truisms“ wollte ich nun nicht einfach nur ein Abbild dieser
Situation schaffen, sondern auch Modelle der Toleranz entwickeln:
Was kann und sollte passieren, wenn Weltbilder aneinander geraten?
profil:
Ist nicht auch Ihren Arbeiten eine gewisse Aggression eigen?
Holzer: Sie sind eher allen
Interpretationen offen. Ich lege eine Reihe von Möglichkeiten aus
und vertraue darauf, dass der Betrachter sie erkennt und selbst
festlegt, was zu tun ist. Meine Arbeit braucht den Zuschauer, der
sie erst fertig stellt. Aber es stimmt, es gibt da auch Elemente von
Aggression: In manchen Werken führe ich absichtlich Zusammenbrüche
herbei, durch zu viel Sprache, zu viele Effekte, zu hohe
Geschwindigkeit: Dieser Bedeutungskollaps könnte als Metapher dafür
dienen, was passiert, wenn Menschen oder Gesellschaften an Dummheit
und Gewalt zerbrechen. Ich selbst fühle mich oft verloren, auch
daher arbeite ich mit diesem Gefühl des Verlorenseins – oder der
Unfähigkeit, genug zu wissen, genug tun zu können, noch irgendetwas
kontrollieren zu können.
profil: Kritiker
assoziieren zu Ihnen gern Dada und Pop-Art. Fühlen Sie sich Duchamp
und Warhol nahe? Holzer: Oh,
besonders Duchamp verdanke ich vieles: Dieses Pissoir hat mein Leben
verändert, ehrlich. Duchamp hat gezeigt, dass Kunst alles sein kann
und sollte. Ich liebe seine spielerische Art, seine Rückbezüge auf
die Welt und seinen Willen, wirklich jedes Medium für sich zu
verwenden. Aber ich mag auch die Pop-Art, besonders Warhol. Seine
„Disaster“-Arbeiten treffen absolut den Punkt.
profil: Ist es nicht
auch der obsessive Umgang mit Objets trouvés, der Sie mit Pop und
Dada verbindet? Sprache ist ja letztlich auch nur gefundenes
Material. Holzer: Ja, ich mag es,
leicht Verfügbares, Griffbereites zu benutzen: ob das nun
sprachliche Einzelteile sind oder elektronische Hardware.
profil:
Sie scheinen zudem den lakonischen Gestus des Pop übernommen zu
haben: diese seltsame Geradlinigkeit und Amoral. Holzer: Was ich an Pop mag, ist, wie da Sinn durch
Unsinn erzeugt wird. Das empfinde ich als Geschenk und als guten
Weg, ohne große Pädagogik auf Dinge zu zeigen. Was das Lakonische
angeht: Als Pose mag ich es nicht besonders, allerdings ist
Understatement oft viel effektiver als alle Lautstärke. Clint
Eastwood beweist das jedes Mal aufs Neue.
profil: Eine Ihrer
Proklamationen lautet: „Slipping into madness is good for the sake
of comparison“. Wie wichtig ist Ihnen Ironie? Holzer: Ich mag angewandte Ironie; was ich nicht
so mag, ist, wenn sich die Ironie schon selbst genügt. Aber wenn sie
zum Einsatz gebracht werden kann, auch wenn das nur zur
Erleichterung geschieht, ist das gut.
profil: Ist es nicht
eigenartig, dass die bildende Kunst so wenig Interesse an Schrift
und Sprache zu haben scheint? Oder gibt es neben Ihnen keinen Platz?
Holzer: Vielleicht sind die
Kritiker einfach nur faul, wenn sie immer nur mich zitieren. Es gibt
doch viele Künstler, die sich mit Sprache befassen, vielleicht nicht
so zwanghaft wie ich, aber doch: Ich denke an Lawrence Weiner, an
Barbara Kruger und Bruce Nauman. Das ist durchaus bearbeitetes
Gebiet.
profil: Könnte man die Abwesenheit von Dialogen in Ihrem
Werk als Zeichen Ihres Pessimismus sehen? Da gibt es nur Monologe,
Fragmente einsamen Denkens. Holzer: Ich würde meine Arbeit weniger
pessimistisch als realistisch nennen. Und Realität kann traurig
sein. Sicher: Da ist schon viel Dunkelheit in meiner Arbeit. Und
Einsamkeit – aber mitunter heulen da doch viele Stimmen zugleich,
wenn auch nicht unisono.
profil: Die Sprache ist
bekanntlich das erste Mittel der Propaganda. Attackieren Sie die
politische Manipulation durch Sprache? Holzer: Ja, ich trete auch gegen die Lüge an, die
durch Manipulation entstehen kann. Sprache sollte sauber verwendet
werden, in einer möglichst reinen Form.
profil: Aber sie wird
nun von Politikern eher strategisch benutzt, auch in westlichen
Demokratien. Den Krieg, der vor wenigen Tagen begonnen hat, könnte
man als perfektes Beispiel einer Form der dogmatischen Demokratie
sehen. Holzer: Die Wirklichkeit,
was auch immer das genau sein mag, hat in den letzten Tagen
jedenfalls ein paar harte Schläge abbekommen.
profil: Muss die Kunst
auf die neue TV-Propaganda nicht reagieren, die so sehr auf dem
Missbrauch von Sprache und der Macht, die sie verleiht, beruht?
Holzer: Ich würde sagen, es gibt
die Pflicht jedes Bürgers, jeder Bürgerin, darauf zu reagieren. Die
Kunst kann sich wohl auch dazu berufen fühlen, aber eine besondere
Berufspflicht würde ich daraus nicht ableiten. Außerdem gibt es
einfach mehr Bürger als Künstler, da verlasse ich mich lieber auf
die Bevölkerung.
profil: Künstlerinnen und Künstler können allerdings als
Vorbilder in Erscheinung treten. Holzer: Klar. Ich bin auch dafür, dass die
Basketballer gegen den Krieg auftreten. Was auch immer dazu nötig
ist.
profil: Andererseits ist die Rolle der Künstler gerade
dabei kompliziert. Anti-Kriegs-Auftritte kriegen leicht den
Beigeschmack der Eigenwerbung. Holzer: Über Dinge wie Eigenwerbung würde ich mir
derzeit keine Sorgen machen. Dieser Tage profitiert nämlich wirklich
niemand davon, gegen den Krieg aufzutreten. Man läuft vielmehr
Gefahr, echten Ärger zu kriegen. Nehmen Sie die Dixie Chicks, eine
texanische Countryband, deren Mitglieder vor wenigen Tagen
öffentlich behauptet haben, dass sie sich schämten, dass ihr
Präsident aus Texas komme.
profil: Dennoch:
Popstars können gegen den Krieg auftreten und damit noch Platten
verkaufen. Manchmal erscheint es einfach ein wenig dubios.
Holzer: Ich glaube nicht, dass
man in dieser Sache verallgemeinern kann. Ich bin sicher, dass etwa
die Dixie Chicks einiges an Schlägen einzustecken hatten, in
finanzieller Hinsicht und was ihre Popularität angeht. Ich glaube
einfach nicht, dass hinter dem Gros der Statements für den Frieden
Unaufrichtigkeit oder Strategie als Motive stehen.
profil: Eines der
ehernen Prinzipien der USA ist die Redefreiheit. Sie üben diese
Freiheit als Künstlerin ja auch aus, zugleich befragen Sie sie
unaufhörlich. Gibt es nun, angesichts dieses Krieges und seiner
patriotischen Gleichschaltungen, die Freiheit der Rede überhaupt
noch? Holzer: Ich glaube, dass
sie einigermaßen in Gefahr ist. Jeder, der sich in Opposition zu
diesem Krieg befindet, kann heute niedergeschrien werden, jederzeit.
Ich selbst habe mich an einer kleinen Demonstration in New York
beteiligt, vor dem Rockefeller Center. Da waren vielleicht hundert
Leute in der Gruppe, die meisten davon ältere Menschen. Sie haben
einfach nur Kerzen gehalten und wurden von Passanten dafür unflätig
beschimpft. Wenig später löste die Polizei die Demonstration auf.
Das ist nur ein kleines Beispiel, aber auch ein viel sagendes,
glaube ich. Es sollte möglich sein, für Amerika und sein Militär zu
sein, zugleich aber auch gegen diesen Krieg aufzutreten.
profil:
Bei manchen dieser Friedensdemonstrationen kommen Transparente mit
wirklich aggressiven Anti-Bush-Slogans zum Einsatz. Offenbar ist
wenigstens das noch möglich; diese Freiheit gibt es noch.
Holzer: Ich glaube, dass auch
aggressive Bush-Kritiker in Amerika noch halbwegs sicher sind;
obwohl Demonstrationen dort schon auch ohne jeden Grund, unter
Androhung von Gewalt, beendet worden sind. Dabei gehört ja auch das
zu den Rechten jedes Amerikaners: sich friedlichen öffentlichen
Versammlungen anzuschließen. Es macht mir wirklich Sorgen, wie sehr
der Krieg inzwischen Amerika – und auch den Rest der Welt –
spaltet.