Artikel aus profil Nr. 15/2003
„Ein paar harte Schläge“

Jenny Holzer, eine der bedeutendsten US-Künstlerinnen der Gegenwart, über Clint Eastwoods Understatement, Duchamps Pissoir und die bedrohte Redefreiheit in Bushs Amerika.
profil: Sehen Sie Ihre Kunst, die sich ja intensiv mit Dogmatismus und Propaganda befasst, als Provokation?
Holzer: Manche meiner Texte sind provokanter als andere. Meine „Inflammatory Essays“ etwa sind genau das: Sie sollen zum Denken provozieren, auch darüber, wie wir in Aggression versetzt werden, wie gefährlich wir sind. Andere Arbeiten sind weniger provokant: „Mother and Child“ ist eher traurig, bisweilen ängstlich. Aber auch diesem Werk liegt etwas zugrunde, das man für provokant halten könnte: die Erklärung nämlich, dass es besser sei, Menschen – insbesondere Frauen und Kinder – nicht zu töten.

profil: Sie haben einmal gesagt, dass Sie nicht für ein Kunstpublikum arbeiten, sondern lieber an öffentlichen Orten. Das haben Sie getan, indem Sie Ihre oft beunruhigenden Texte auf Poster, Sticker und elektronische Schilder gesetzt haben. Mögen Sie Museen nicht?
Holzer: Ich habe in den Straßen New Yorks begonnen. Meine öffentlichen Werke sind mir enorm wichtig. Ich würde sagen, dass heute immer noch mindestens die Hälfte meiner Arbeit nicht für ein Kunstpublikum gedacht ist. Aber ich habe es auch zu schätzen gelernt, in Museen, in Kunsthallen zu arbeiten, wo ich große Installationen entwerfen, wo ich alles kontrollieren kann.

profil: Würden Sie Ihre Arbeit als offen politisch qualifizieren? Oder ist sie eher persönlich als politisch?
Holzer: Es ist wohl eine Mischung aus beidem. Man könnte sagen, dass die Präsentation persönlicher Inhalte an öffentlichen Orten ja auch eine Art politischer Akt ist. Das ist eine Form, um festzuhalten, dass das Individuum zählt, dass jedes Leben und jeder Tod relevant sind. Manchmal ist meine Arbeit sehr didaktisch.

profil: Kann man denn Interesse oder gar Reflexion mit Kunst im öffentlichen Raum überhaupt erwarten? Ist das nicht eine kaum erfüllbare Utopie?
Holzer: Nun, ich stelle Arbeiten öffentlich aus, und ich versuche dabei, ihnen Anziehungskraft zu geben, inhaltlich und formal. Das ist eine Einladung an die Menschen, eine Einladung zum Hinsehen, nicht mehr und nicht weniger. Einige werden anhalten und hinsehen, viele werden es nicht tun. Das ist in Ordnung so.

profil: Sie nennen Ihre Arbeit auch didaktisch. Gehört es zu Ihren Zielen, Menschen für die Kunst zu gewinnen?
Holzer: Natürlich, ich teile meine Liebe zur Kunst gern. Aus diesem Grund haben auch Schönheit und Sinnlichkeit in meinen Installationen und Projektionen ihren Platz. Aber ich muss auch sagen, dass es für manche meiner öffentlichen Werke gar nicht nötig, ja nicht einmal wünschenswert ist, wenn jemand überhaupt an die Kunst denkt. Man muss nicht wissen, dass ich Künstlerin bin, um meine anonymen Arbeiten in den Straßen schätzen zu können. Es geht darum, dass die Themen, die Inhalte ankommen. Manchmal wird es dabei zwar passieren, dass man diese der Kunst zuschreibt, aber das ist sekundär.

profil: Die Räume, die Sie bearbeiten, sind meist ziemlich einzigartig. Sind es die Orte, die Sie zuerst interessieren?
Holzer: Was meine Arbeit umgibt, war immer von höchster Bedeutung für mich. Eine Installation in der Berliner Nationalgalerie etwa in einem Gebäude Mies van der Rohes machen zu können, empfand ich als Luxus. Es fordert mich heraus, Kunst erfinden zu müssen, die sich mit besonderer Architektur verbinden kann. Meine Arbeit definiert sich eben durch Inhalte und Präsentation: Die Bedeutung liegt nicht nur im Text, sondern auch im Kontext.

profil: Sie sind nach Wien gekommen, um für das MAK an einem der Flaktürme im Arenbergpark zu arbeiten. Sie recherchieren immer vor Ort, ehe Sie zusagen?
Holzer: Nachdem meine Arbeit so sehr von den Schauplätzen abhängt, muss ich eine Menge Zeit in und an den Orten zubringen. Oft brauche ich Monate, um herauszufinden, was an einem gegebenen Ort zu tun ist. Diese Recherchephasen sind einerseits nötig, andererseits eine Freude. Es ist möglich, dass ich eine Installation für das MAK machen werde, in ein paar Jahren vielleicht auch öffentliche Textprojektionen; ich freue mich jedenfalls sehr darauf, Wien so genau wie möglich anzuschauen, diese Stadt zu fixieren.

profil: Arbeiten Sie langsam?
Holzer: Würde ich sagen, ja. Aber früher oder später, wenn die Gebäude stark genug sind, beginnen sie zu sprechen – dann weiß ich, was ich zu tun habe.

profil: Fällt Ihnen das Schreiben schwer?
Holzer: Allerdings, ich bin ja nicht in erster Linie Autorin; außerdem ist es oft auch schwer, sich mit dem Grauen zu befassen, von dem ich erzähle. Das heißt, ich muss nicht nur die Tatsache überwinden, dass ich keine Schriftstellerin bin, sondern auch meinen Widerstand, die bisweilen grauenerregenden Sujets meiner Arbeiten offen zu betrachten.

profil: Sie hantieren gern mit neuen Medien, mit elektronischen Hilfsmitteln. Ist das eines Ihrer Lieblingsgebiete oder nur eine Kommunikationsform unter vielen?
Holzer: Ich setze meine Texte gern an Orte, auf die die Menschen sehen. Ich arbeite nicht exklusiv mit elektronischen Medien, aber ich mag es, dies zu tun, denn die Menschen sind fasziniert von neuen Dingen – und das gibt mir die Möglichkeit, meine Inhalte präsent zu halten.

profil: Diese Medien zu benutzen ist also einfach nötig, um Ihr Publikum zu erreichen?
Holzer: Es ist vielleicht nicht nötig, aber doch eine nette Gelegenheit, eine gute Wahl. Stein funktioniert als Medium übrigens auch ganz gut.

profil: Sie untersuchen Dogmen und Vorurteile, aber auch das, was man „Wahrheiten“ nennt. Eine Ihrer frühen Arbeiten heißt sogar „Truisms“. Welche Beziehung haben Sie zur Wahrheit?
Holzer: Ich habe in den „Truisms“ zu verstehen versucht, woran die Menschen glauben, was Ihnen nahe geht. Maximen und Klischees sind da gute Studienobjekte. Daher habe ich zunächst eine Menge Maximen und Sprichwörter untersucht, um danach neue Proklamationen dieser Art zu verfassen. Ich wollte herausfinden, woran geglaubt wird, aber auch, was passiert, wenn diese Glaubensgrundsätze miteinander kollidieren, gegeneinander stoßen. Es ging letztlich auch darum, auf zivilisierte Weise herauszuarbeiten, was genau dabei geschieht, wenn Menschen einander heftig widersprechen.

profil: Viele der Phrasen, die Sie benutzen, klingen strikt, extrem dogmatisch; wenn man diese aber gegeneinander setzt, bildet sich etwas ganz anderes: Sie werden zu einem Akt des Widerstandes gegen den Dogmatismus.
Holzer: Es gibt natürlich viele Formen des Glaubens. Nehmen Sie einen Raum, in dem sich Leute aufhalten, und Sie werden dutzende feste Überzeugungen darin finden; in der Welt da draußen finden Sie sofort tausende mehr. In den „Truisms“ wollte ich nun nicht einfach nur ein Abbild dieser Situation schaffen, sondern auch Modelle der Toleranz entwickeln: Was kann und sollte passieren, wenn Weltbilder aneinander geraten?

profil: Ist nicht auch Ihren Arbeiten eine gewisse Aggression eigen?
Holzer: Sie sind eher allen Interpretationen offen. Ich lege eine Reihe von Möglichkeiten aus und vertraue darauf, dass der Betrachter sie erkennt und selbst festlegt, was zu tun ist. Meine Arbeit braucht den Zuschauer, der sie erst fertig stellt. Aber es stimmt, es gibt da auch Elemente von Aggression: In manchen Werken führe ich absichtlich Zusammenbrüche herbei, durch zu viel Sprache, zu viele Effekte, zu hohe Geschwindigkeit: Dieser Bedeutungskollaps könnte als Metapher dafür dienen, was passiert, wenn Menschen oder Gesellschaften an Dummheit und Gewalt zerbrechen. Ich selbst fühle mich oft verloren, auch daher arbeite ich mit diesem Gefühl des Verlorenseins – oder der Unfähigkeit, genug zu wissen, genug tun zu können, noch irgendetwas kontrollieren zu können.

profil: Kritiker assoziieren zu Ihnen gern Dada und Pop-Art. Fühlen Sie sich Duchamp und Warhol nahe?
Holzer: Oh, besonders Duchamp verdanke ich vieles: Dieses Pissoir hat mein Leben verändert, ehrlich. Duchamp hat gezeigt, dass Kunst alles sein kann und sollte. Ich liebe seine spielerische Art, seine Rückbezüge auf die Welt und seinen Willen, wirklich jedes Medium für sich zu verwenden. Aber ich mag auch die Pop-Art, besonders Warhol. Seine „Disaster“-Arbeiten treffen absolut den Punkt.

profil: Ist es nicht auch der obsessive Umgang mit Objets trouvés, der Sie mit Pop und Dada verbindet? Sprache ist ja letztlich auch nur gefundenes Material.
Holzer: Ja, ich mag es, leicht Verfügbares, Griffbereites zu benutzen: ob das nun sprachliche Einzelteile sind oder elektronische Hardware.

profil: Sie scheinen zudem den lakonischen Gestus des Pop übernommen zu haben: diese seltsame Geradlinigkeit und Amoral.
Holzer: Was ich an Pop mag, ist, wie da Sinn durch Unsinn erzeugt wird. Das empfinde ich als Geschenk und als guten Weg, ohne große Pädagogik auf Dinge zu zeigen. Was das Lakonische angeht: Als Pose mag ich es nicht besonders, allerdings ist Understatement oft viel effektiver als alle Lautstärke. Clint Eastwood beweist das jedes Mal aufs Neue.

profil: Eine Ihrer Proklamationen lautet: „Slipping into madness is good for the sake of comparison“. Wie wichtig ist Ihnen Ironie?
Holzer: Ich mag angewandte Ironie; was ich nicht so mag, ist, wenn sich die Ironie schon selbst genügt. Aber wenn sie zum Einsatz gebracht werden kann, auch wenn das nur zur Erleichterung geschieht, ist das gut.

profil: Ist es nicht eigenartig, dass die bildende Kunst so wenig Interesse an Schrift und Sprache zu haben scheint? Oder gibt es neben Ihnen keinen Platz?
Holzer: Vielleicht sind die Kritiker einfach nur faul, wenn sie immer nur mich zitieren. Es gibt doch viele Künstler, die sich mit Sprache befassen, vielleicht nicht so zwanghaft wie ich, aber doch: Ich denke an Lawrence Weiner, an Barbara Kruger und Bruce Nauman. Das ist durchaus bearbeitetes Gebiet.

profil: Könnte man die Abwesenheit von Dialogen in Ihrem Werk als Zeichen Ihres Pessimismus sehen? Da gibt es nur Monologe, Fragmente einsamen Denkens.
Holzer: Ich würde meine Arbeit weniger pessimistisch als realistisch nennen. Und Realität kann traurig sein. Sicher: Da ist schon viel Dunkelheit in meiner Arbeit. Und Einsamkeit – aber mitunter heulen da doch viele Stimmen zugleich, wenn auch nicht unisono.

profil: Die Sprache ist bekanntlich das erste Mittel der Propaganda. Attackieren Sie die politische Manipulation durch Sprache?
Holzer: Ja, ich trete auch gegen die Lüge an, die durch Manipulation entstehen kann. Sprache sollte sauber verwendet werden, in einer möglichst reinen Form.

profil: Aber sie wird nun von Politikern eher strategisch benutzt, auch in westlichen Demokratien. Den Krieg, der vor wenigen Tagen begonnen hat, könnte man als perfektes Beispiel einer Form der dogmatischen Demokratie sehen.
Holzer: Die Wirklichkeit, was auch immer das genau sein mag, hat in den letzten Tagen jedenfalls ein paar harte Schläge abbekommen.

profil: Muss die Kunst auf die neue TV-Propaganda nicht reagieren, die so sehr auf dem Missbrauch von Sprache und der Macht, die sie verleiht, beruht?
Holzer: Ich würde sagen, es gibt die Pflicht jedes Bürgers, jeder Bürgerin, darauf zu reagieren. Die Kunst kann sich wohl auch dazu berufen fühlen, aber eine besondere Berufspflicht würde ich daraus nicht ableiten. Außerdem gibt es einfach mehr Bürger als Künstler, da verlasse ich mich lieber auf die Bevölkerung.

profil: Künstlerinnen und Künstler können allerdings als Vorbilder in Erscheinung treten.
Holzer: Klar. Ich bin auch dafür, dass die Basketballer gegen den Krieg auftreten. Was auch immer dazu nötig ist.

profil: Andererseits ist die Rolle der Künstler gerade dabei kompliziert. Anti-Kriegs-Auftritte kriegen leicht den Beigeschmack der Eigenwerbung.
Holzer: Über Dinge wie Eigenwerbung würde ich mir derzeit keine Sorgen machen. Dieser Tage profitiert nämlich wirklich niemand davon, gegen den Krieg aufzutreten. Man läuft vielmehr Gefahr, echten Ärger zu kriegen. Nehmen Sie die Dixie Chicks, eine texanische Countryband, deren Mitglieder vor wenigen Tagen öffentlich behauptet haben, dass sie sich schämten, dass ihr Präsident aus Texas komme.

profil: Dennoch: Popstars können gegen den Krieg auftreten und damit noch Platten verkaufen. Manchmal erscheint es einfach ein wenig dubios.
Holzer: Ich glaube nicht, dass man in dieser Sache verallgemeinern kann. Ich bin sicher, dass etwa die Dixie Chicks einiges an Schlägen einzustecken hatten, in finanzieller Hinsicht und was ihre Popularität angeht. Ich glaube einfach nicht, dass hinter dem Gros der Statements für den Frieden Unaufrichtigkeit oder Strategie als Motive stehen.

profil: Eines der ehernen Prinzipien der USA ist die Redefreiheit. Sie üben diese Freiheit als Künstlerin ja auch aus, zugleich befragen Sie sie unaufhörlich. Gibt es nun, angesichts dieses Krieges und seiner patriotischen Gleichschaltungen, die Freiheit der Rede überhaupt noch?
Holzer: Ich glaube, dass sie einigermaßen in Gefahr ist. Jeder, der sich in Opposition zu diesem Krieg befindet, kann heute niedergeschrien werden, jederzeit. Ich selbst habe mich an einer kleinen Demonstration in New York beteiligt, vor dem Rockefeller Center. Da waren vielleicht hundert Leute in der Gruppe, die meisten davon ältere Menschen. Sie haben einfach nur Kerzen gehalten und wurden von Passanten dafür unflätig beschimpft. Wenig später löste die Polizei die Demonstration auf. Das ist nur ein kleines Beispiel, aber auch ein viel sagendes, glaube ich. Es sollte möglich sein, für Amerika und sein Militär zu sein, zugleich aber auch gegen diesen Krieg aufzutreten.

profil: Bei manchen dieser Friedensdemonstrationen kommen Transparente mit wirklich aggressiven Anti-Bush-Slogans zum Einsatz. Offenbar ist wenigstens das noch möglich; diese Freiheit gibt es noch.
Holzer: Ich glaube, dass auch aggressive Bush-Kritiker in Amerika noch halbwegs sicher sind; obwohl Demonstrationen dort schon auch ohne jeden Grund, unter Androhung von Gewalt, beendet worden sind. Dabei gehört ja auch das zu den Rechten jedes Amerikaners: sich friedlichen öffentlichen Versammlungen anzuschließen. Es macht mir wirklich Sorgen, wie sehr der Krieg inzwischen Amerika – und auch den Rest der Welt – spaltet.

Interview: Stefan Grissemann; Foto: Astrid Bartl

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