Salzburger Nachrichten am 18. März 2006 - Bereich: Kultur
Das Gute muss man suchen

Literatur ist lebenslanger Begleiter, regt zum Denken und Erkennen an

Hedwig Kainberger Interview Die Klagen über den Buchmarkt sind vielfältig. Es heißt, es gebe zu viele und zu viele schlechte Bücher, es fehle an Nachwuchs, junges Publikum breche weg. Die SN fragten dazu Christa Gürtler vom Salzburger Literaturforum "Leselampe".

Auf der Leipziger Buchmesse werden von fast 2200 Verlagen und in rund 1800 Lesungen neue Bücher der Frühjahrsprogramme vorgestellt. Wie schätzen Sie den Buchmarkt ein: Beeindruckt das Angebot nicht nur in der Menge, sondern auch in der Qualität? Gürtler: Es gibt eine Menge sehr guter Bücher, aber zuweilen muss man sie als Leser suchen. Nicht immer sind sie in großen Verlagen zu finden oder unter den Büchern, die zu den Bestsellern zählen und über die in den Feuilletons geschrieben wird. Der Markt neigt immer mehr dazu, nur einige Bücher und Autoren zu beachten, die dann überall besprochen bzw. interviewt werden.

Umso mehr freue ich mich, wenn die Aufmerksamkeit bei der Verleihung des Leipziger Buchpreises für Europäische Verständigung auf einen Autor fällt, den ich für einen wichtigen zeitgenössischen Schriftsteller halte und der aus dem Land kommt, das zwar in der Mitte Europas liegt, aber dennoch am Rand. Für mich zählt der Roman "Zwölf Ringe" von Juri Andruchowytsch zu den aufregendsten Leseerlebnissen des Vorjahres.

Wie ist Ihre Erfahrung mit Debütanten? Sind Debütwerke grosso modo besser oder schlechter als früher? Gürtler: Ich habe den Eindruck, dass die meisten Verlage fast in jedem Programm neue Gesichter präsentieren möchten, das scheint Aufmerksamkeit zu garantieren. Debüts haben oft noch Schwächen. Vor allem wenn die Autoren und Autorinnen jung sind, zeigen sich die Qualitäten oft erst bei den zweiten und dritten Büchern.

Bei hervorragenden Debüts von "älteren" Schriftstellern und Schriftstellerinnen - etwa bei der Salzburgerin Gudrun Seidenauer, die ihren ersten Roman im Vorjahr vorgelegt hat, oder bei der Rauriser Literaturpreisträgerin 2005, Christine Pitzke - merkt man, dass keine Anfängerinnen am Werk waren

Sie sind Mitherausgeberin der Literaturzeitschrift "Salz". Gibt es genügend interessante Autoren und insbesondere junge Autoren, deren Texte publizierenswert sind? Gürtler: Ja, es gibt genug. Anton Thuswaldner und ich haben aus Anlass des 30-jährigen Bestehens von "Salz" im Vorjahr ein Heft mit Texten von 30-Jährigen zusammengestellt, von deren Qualität wir überzeugt sind und von denen wir noch interessante Bücher erwarten. Dazu zählen etwa Marica Bodrozic, Martin Brinkmann, Anna Kim, Kathrin Röggla, Antje Ravic Strubel.

In einer Literaturzeitschrift geht es aber auch um die Begleitung von Autoren und Autorinnen, die schon lange schreiben und denen wir die Möglichkeit bieten, Texte, Gedichte, Essays oder Ausschnitte aus langen Arbeiten zu veröffentlichen.

Stimmt die Vermutung, dass junge Leser von Literatur weniger werden? Gürtler: Ich kenne zwar einige junge Vielleserinnen, weniger Vielleser. Aber es scheint schon so, dass der Kreis der jungen Interessenten für Belletristik nicht zunimmt. Gelesen wird schon, aber zunehmend im Internet und Sachbücher.

Was macht ein Buch lesenswert? Gürtler: Für mich ist Literatur dann interessant, wenn ich von der Sprache, vom Stil begeistert bin, wenn ich den Eindruck habe, dass sie zu den Inhalten passt. Das kann formal und inhaltlich unterschiedlich sein, von konkreter Poesie bis zum Kriminalroman. Lesenswert sind Bücher, wenn sie zum Nachdenken anregen, etwas in Bewegung bringen, neue Erkenntnisse ermöglichen. Gute Literatur ist mehr als gute Unterhaltung, die man schnell wieder vergisst; sie begleitet einen lebenslang, und man kann sie immer wieder neu und anders lesen.