Okwui Enwezor,
Leiter der documenta XI |
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Interview Documenta-Chef Enwezor: Der 11. September kommt
nicht vor 1. März
2002 FAZ.NET traf den
Documenta11-Chef Okwui Enwezor in seinem Kassler Büro: Entspannte
Atmosphäre, keine Anzeichen von Hektik, allerdings deutliche Zeichen
von Konzentration dreieinhalb Monate bevor die wichtigste
Ausstellung der Welt mit zeitgenössischer Kunst in Kassel eröffnet.
Geduldig lässt Enwezor sich fotografieren.
Freundlich, aber knapp gibt er Auskunft. Neugier auf die Namen der
beteiligten Künstler perlen allerdings an ihm ab wie Regen. Bei dem
1963 in Kalaba, Nigeria geborenen Enwezor erfährt man alles, aber
nicht die Namen der Teilnehmer dieser bisher größten documenta. Noch
müsse er die Künstler und ihre Arbeit durch sein Schweigen schütze,
erläutert der Kurator. Mit FAZ.NET spricht Okwui Enwezor über die
Fragen des 11. September und die Konzepte der Kunst.
Herr Enwezor, wie
fühlen Sie sich in Kassel?
Ich fühl mich hier sehr wohl.
Kassel ist ein idealer Ort für so ein Projekt, vielleicht, weil
Kassel so ein wahnsinniger Ort ist, der dieses ganze Unternnehmen
umgibt. Hier kann man sich gut auf seine Arbeit konzentrieren und
ein bisschen nachdenken.
Die Stadt hat wirklich
begriffen, was die Documenta ist, die documenta gehört zur Identität
dieser Stadt. Die Documenta ist eine globale Ausstellung, es ist ein
höchst internationales Projekt. Ihre Grenzen sind nicht an diesen
Platz gebunden. Sie hat einen weiteren Horizont als alle anderen
Ausstellungen, das ist klar.
Sie betonen, dass
Ihnen die Kunstwelt in den engen Grenzen der
westlichen Zivilisation zu eng sei und dass Sie mit dieser
Documenta die Grenzen entscheidend erweitern wollen.
Hat sich da nach dem 11. September in dieser Hinsicht etwas
geändert?
Wie sollte sich etwas
geändert haben? Wir hatten unsere Absichten ja schon vorher sehr
deutlich gemacht. Ich denke, dass unsere intellektuellen
Möglichkeiten viel größer sind als die engen Grenzen, denen man in
der zeitgenössischen Kunstwelt oft begegnet.
Wenn man sich anschaut, was
wirklich bei den Debatten der ersten documenta-Plattform "Democracy
Unrealized, Demokratie als unvollendeter Prozess" herausgekommen
ist, dann klingt das geradezu apologetisch. Wir haben die
Konfrontation klar antizipiert. Fragen, die durch den 11. September
aufgebrochen sind, haben wir uns sehr viel früher gestellt. Das
Wichtige ist, dass zeitgenössische Kunst für uns keine Mode ist. Der
kritische Vorgang, der mit einer Vorbereitung wie der der documenta
einhergeht, sollte nicht prognostizierend sein. Eher sollte es eine
Diagnose sein, um herauszufinden, wie Kultur sich auf Ebenen des
Alltags einmischt.
Der 11. September hat also
an der Konzeption der Documenta nichts geändert?
Nein. Es ist sogar so, dass
sich kein einziges Projekt in der Ausstellung explizit auf den 11.
September bezieht. Das liegt sicher daran, dass wir uns schon viel
zu sehr an die Tatsache gewöhnt haben, dass solche Desaster in der
westlichen Welt passieren. Und das ist nicht lieblos gegenüber New
York gemeint - ich lebe in New York -, sondern damit meine ich, dass
jeden Tag in so vielen Regionen der Welt Katastrophen passieren, auf
die die Medien nicht blicken. Wir brauchen eine gemeinsame Grundlage
für Diskurse. Das sollen die Plattformen erreichen.
Wann werden Sie die Namen
der Künstler bekannt geben?
Im Mai. Wir sind sehr bemüht,
die Künstler so lange wie möglich vor den Medien und der
Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit zu schützen. Die documenta stellt
immer die Gefahr dar, ein Zirkus zu werden. Natürlich sind wir an
der Aufmerksamkeit der Medien interessiert. Andererseits müssen wir
die Künstler davor auch schützen, um eine Zone der Ruhe für sie zu
schaffen. Künstler müssen auch die Möglichkeit haben, erst einmal
die Grenzen ihrer Werke auszuloten, bevor man sie öffentlich als
Objekte präsentiert.
Ich finde, es gehört zu
unserer Aufgabe zu sagen - nicht weil wir Primadonnengehabe an den
Tag legen wollen, sondern weil wir Zeit brauchen zum Nachdenken -,
wenn wir Intelligentes zeigen wollen. Eine Liste mit Namen ist ja
sowieso noch keine Ausstellung. Das reicht in keiner Weise. Darin
stecken höchstens Vorschläge, wer dabei sein könnte. Wie auch immer,
wir geben die Liste erst bekannt, wenn der Zeitpunkt da ist und alle
Arbeiten ausformuliert sind.
Werden viele Künstler hier
vor Ort arbeiten?
Nicht unbedingt. Kein
Projekt, dass wir in Auftrag gegeben haben, hat mit Kassel zu tun.
Darin steckt eine überholte Vorstellung davon, wie Künstler
arbeiten: mit dem Finger auf etwas zeigen und zu sagen "mach eine
Intervention". Wir sind vielmehr von Vorschlägen und Ideen
ausgegangen, die uns wirklich wichtig waren im Zusammenhang unserer
Diskussionen. Wir brauchen Arbeiten, die diese Vorstellungen
verständlich machen. Was immer die Künstler hier also machen werden,
hat mit diesem Ort direkt nichts zu tun.
Eins kann ich jetzt schon
sagen, die 100 Tage der Documenta stehen ganz im Licht der
Vermittlung der Künstler, alle Performances, Projektionen, was auch
immer dabei heraus kommt, wird zu 100 Prozent von den Künstlern
generiert.
Gibt es da noch viele
Überraschungen auch für Sie?
Ich hoffe nicht. Nein, ich
bin, glaube ich, ziemlich gut darüber informiert, was jeder
Teilnehmer macht. Das liegt in meiner Verantwortung. Alles ist
wirklich klar. Ich arbeite nicht mit
Ungenauigkeiten.
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