10:52 | Donnerstag, 16. Juni 2005

Kultur

Der beste Witz ist gut getarnt

Pipilotti Rist und die Österreicher beleben die 51. Biennale von Venedig

«Que viva las mujeres!», überschlägt sich die Biennale-Zeitschrift vor Freude über die spanischen Kuratorinnen Maria de Cor ral und Rosa Martinez. Zum ersten Mal in der 100-jährigen Ge schichte der Biennale von Venedig dürfen Frauen an die Programmierung ran. «Ein Paradigmenwechsel im sexistischen Sancta Sanctorum der Direktoren und Kuratoren», jubelt die Zeitschrift. An der Vaporetto-Haltestelle «Giardini», wo das in Prada gewandete Kunstvolk mit dem Boot angeliefert wird, reckt sich indessen ein glänzender Phallus hoch der kühnen These zum Hohn.

Der italienische Künstler Fabrizio Plessi, der diesen metallisch leuchtenden Videoturm schuf, will mit seinem Werk natürlich alles andere als den Geschlechter-kampf anheizen. Er knüpft an die venetianischen Traditionen an die Türme der Palazzi, den Dialog mit dem Wasser , und doch reizt der Anblick seines Kunstwerks ei nige Bootspassagierinnen zum gehässigen Getuschel. Es wird ein Zusammenhang hergestellt zwischen der plötzlichen feministischen Gesinnung der Biennale-Leitung und ihrem drastisch verminderten Budget. Spät entschied man sich für die Spanierinnen; sie mussten die Schau in sechs Monaten aus dem Ärmel schütteln, während der bereits designierte Amerikaner Robert Storr, der gefeierte Kurator der Bruce-Nauman- und Gerhard-Richter-Schau am Museum of Modern Art in New York, schon jetzt an seiner Biennale in zwei Jahren werkelt.

Bunte Friedensfoulards und wehmütige Erinnerungen

«Immer ein wenig weiter» betitelt die 50-jährige katalanische Direk torin Rosa Martinez ihre Über- blicksausstellung im Arsenale. Doch die Chefin des Museums für Gegenwartskunst in Istanbul hat trotz Mut und guter Absicht Mühe, den riesigen Ausstellungsort mit vibrierender Kunstpräsenz zu füllen. Alle aktuellen Tenden zen sind brav versammelt. Mariko Mori aus Japan lädt mit ihrem aparten Ufo-Objekt (vor zwei Jahren in Bregenz schon zu sehen gewesen) zu spirituellen Erlebnissen ein. Südamerika zeigt sich rebellisch unter anderem mit Diango Hernandez, der in einer Installation die verzweifelte politische Lage Kubas thematisiert. Für Afrika bastelt der Kameruner Pascale Marthine Tayou bunte Friedensfoulards aus Nationalflaggen.

Die Dramaturgie ist monoton, kein Paukenschlag weckt müde Besucher. Gregor Schneiders Kasbah am Markusplatz täte das wohl doch sie darf nicht stattfinden. Der Deutsche wollte einen nach Mekka ausgerichteten schwarzen Kubus der San-Marco-Kathedrale gegenüberstellen. Zu provokativ.

Wehmütig bringt der Schweizer Künstler Gianni Motti ein Strassenschild am CH-Pavillon in den Giardini an: «Viale Harald Szeemann». Der im vergangenen Jahr verstorbene Polterer hat sich immer für Verstörendes eingesetzt. Keiner wusste so gut wie er, dass gerade an gigantischen Kunstschauen ein Salto mortale gefragt ist Augenfälliges zwar, aber mit doppeltem Boden.

Eine Herausforderung, der sich an dieser Biennale wenige stellen auch der offizielle Schweizer Pavillon nicht. Kurator Stefan Banz richtet mit den Videasten Ingrid Wildi und Shirin Neshat, dem Fotografen Marco Poloni und dem Reality-Hacker Gianni Motti ein vertretbares Schaufenster aktueller Schweizer Kunst ein doch keine Basis für aufgeregte Biennale-Gespräche. Selbst der notorische Scherzbold Motti ist brav geblieben. Er gibt zwar Interviews zu einem Aufsehen erregenden Projekt, doch dieses ist für die Art Basel vorgesehen: eine Seife aus Silvio Berlusconis abgesaugtem Bauchfett.

An den Eröffnungstagen der Biennale ist Kunst sowieso Nebensache. Da gibt es Wichtigeres: Zu welcher Party ist man eingeladen? In welchem Palazzo findet sie statt?

Der Biennale-Hit ein gänzlich neues Gebilde aus Österreich

Es gehört auch zu den Biennalespezifischen Freuden, in dem gross gewachsenen Herrn auf dem Vaporetto, der gerade mit seiner Handykamera in die Menge knipst, den genialen englischen Fotografen Martin Parr zu erkennen. Oder dem amerikanischen Maler-Grossmeister Ed Ruscha zuzuhören, wie er mit seiner sonoren Stimme «yes, I do believe in blue sky» sagt, nachdem sich jemand entblödet hat, ihn nach dem spirituellen Inhalt seiner Bilder zu fragen.

Besonders glücklich schätzen sich jene, die «Hallo Max» rufen dürfen und dafür ein Lächeln des schwarz gekleideten Kurators des österreichischen Auftritts ernten. Max Hollein, Sohn des Architekten Hans Hollein, der heis seste unter den deutschsprachigen Museumsleuten und Direktor in gleich zwei wichtigen Frankfurter Museen (Schirn und Städel), wird auch an der Biennale seinem Ruf gerecht. Mit dem Künstler Hans Schabus wählte der Wiener den für sein Heimatland perfekten Nationalspieler. «Österreichischer Pavillon ein Must», raunen einem abgekämpfte Rundgangs-Absolventen am Eingang zu den Giardini zu.

Steht man endlich davor, riskiert man ihn zu übersehen. Der neoklassizistische Bau von Josef Hoffmann ist zu einem getarnten Berg geworden. In wochenlanger Handwerksarbeit hat der 35-jährige Österreicher Hans Schabus ein gänzlich neues Gebilde um, in und über dem Pavillon gebaut. Von aussen wirkt das Ding wie ein Bergmassiv unzugänglich. Im Innern folgt der Besucher einem endlosen Labyrinth aus Holztreppen, bis er den Kopf aus einem Fensterchen strecken kann und die venezianische Postkartenlandschaft ganz neu sieht. So neu, dass sie ihm wie ein Witz erscheint. Wer draussen vor dem Berg sitzt, sieht immer neue Gesichter in der grauen Masse aufblitzen und wie gekitzelt lachen. Verspielter, spektakulärer und hintergründiger lässt sich mit dem Alpen-Adria-Klischee nicht verfahren.

Himmlische Kunst in der helvetischen Kirche

1:0 für den Nachbarn? Anders als im Skisport verfügen die Schweizer im venezianischen Kunstwettrennen über eine Geheimwaffe: die schönste Barockkirche weit und breit, die unvergleichliche San Staë. Dafür, dass sie das Juwel renovieren halfen, dürfen die Helvetier dort an jeder Biennale eine Dependance einrichten. Dieses Jahr setzt das Bundesamt für Kultur noch eins drauf und lässt die Kirche von der Schweizer Super-League-Spielerin bestellen, von Pipilotti Rist. Für die ehemalige Expo-Aktivistin ist es ein schönes Comeback nach Jahren abseits des Schweizer Rummels im Ausland.

Mit ihrer technologischen Virtuosität passt die Meisterin des bewegten Bildes ein Video-Fresko exakt in die barocke Decke ein. Der Besucher liegt auf einer weichen Unterlage und schaut zwei grossen, seltsamen Frauen zu, die durch exotische Landschaften schweifen, ab und zu eine weiche Frucht mit dem Fuss, einmal einen pulsierenden Hoden mit der Hand quetschen und ansonsten mit aufreizender Gleichgültigkeit auf die Welt unter ihnen schauen.

Auf das hinreissend schöne Venedig, in dem wieder einmal die ganze Kunst der Welt es nicht schafft, interessanter oder auch nur unwirklicher als die Stadt an der Lagune auszusehen.

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