Salzburger Nachrichten am 23. Mai 2005 - Bereich: kultur
Liegende Salzburger zwischen Touristen

EU-Kunstprojekt "Trichtlinnburg" in der Stadt Salzburg: Gut gemacht, schwach besucht

Hedwig KainbergerSalzburg (SN). Die erste Irritation war kurz. Plötzlich klatschten einige Menschen in der Getreidegasse. Da hielten viele Touristen inne. Was ist los? Wem wird applaudiert? Niemand da. Nach zwei, drei Sekunden strömten die Menschen weiter durch die Touristenmeile.

Wenig später kniete sich eine junge Frau nieder und legte ihr Ohr auf den Asphalt. Wer sich umdrehte, sah dort und da Menschen, die am Boden lauschten. Wonach? Nach begrabenen Wünschen dieser Stadt, von denen Thomas Bernhard erzählt hat. Das wussten nur jene, die am Samstag von 12 bis 13.30 Uhr Frequenz 107,5 hörten und beim Projekt "Dispersed Tourists - Zerstreute Touristen" mitmachten.

Deren Missverhalten wurde immer krasser. Wie im Ballett gingen sie zwei Schritte zurück, fünf vor, fünf zurück. Dann tauschten sie Mozartkugeln aus. Dann blieben alle stehen und aßen andächtig die getauschte Schokolade. Schließlich legten sie sich auf den Boden und dachten auf Anleitung aus dem Radio darüber nach, wie sie "Gesten vervielfältigt" hätten, "die dem touristischen Raum fremd sind".

Im "Radioballett" war so deutlich wie selten zu erfahren, wie eine Gruppe fremder Menschen über gemeinsames Hören und Gestikulieren eine für sie selbst sinnvolle Wirklichkeit aufbaut, die für Außenstehende verrückt erscheint.

"Zerstreute Touristen" war eine der besten Veranstaltung des Projektes "Trichtlinnburg" am Freitag und Samstag in der Stadt Salzburg. Zum gleichen Thema - Kunst im öffentlichen Raum einer Touristenstadt - gibt es heuer ähnliche Projekte in Tallin und Maastricht. Die Kooperation dieser drei Städte wurde mit EU-Subvention ermöglicht.

Die Fremdheit zwischen Einheimischen und Touristen wurde auf einer Sound-of-Music-Tour deutlich. Erstaunlich, wie schnell Salzburger "ihren" Touristen gleichen: In St. Gilgen pilgerten sie zum Souvenirladen, in Mondsee hörten sie unwidersprochen, der Hochaltar sei gotisch, dann aßen sie Apfelstrudel mit Vanilleeis. Wer mitmachte, konnte erleben, dass Sound-of-Music-Touristen fast nichts von dem erfahren, was Salzburger für wichtig erachten. Sind die Salzburger also Fremde im touristischen Salzburg?

Mehrmals wurde im "Trichtlinnburg"-Programm auf verfallende Häuser im, ach, so schönen Salzburg hingewiesen. Zur Eröffnung einer scheinbaren Baumax-Filiale in der Bergstraße 11 boten Julius Deutschbauer und Gerhard Spring eine köstliche Doppelconference: geistreich, witzig, kritisch.

Dort - wie andernorts - war das Publikum fast ident mit Freunden des Kunstvereins und der beteiligten Künstler. Schade, denn wer sich auf "Trichtlinnburg" einließ, entdeckte unartige Blicke auf Salzburg, seine Touristen und Einwohner.