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Wien
Cai Guo-Qiang
von Sabine B. Vogel

Bekannt für seine Schiesspulver-Aktionen, zeigte Cai Guo-Qiang zur diesjährigen Biennale Venedig eine Replika jenes Figurenensembles, das der viel ältere chinesische Staatskünstler Long Yu Li in den sechziger Jahren im Zeichen der Kulturrevolution entwarf. Der mit dem ‹Internationalen Preis› an der Biennale ausgezeichnete Beitrag folgt Cais Auseinandersetzung mit der chinesischen Geschichte zwischen Tradition und aktueller kulturpolitischen Situation – ein Thema, das charakteristisch ist für den Wahlamerikaner Cai. Wie zentral der Aspekt des gerade nicht aufgelösten, sondern aufrechterhaltenen Gegensatzes ist, wird in dieser grosser Retrospektive deutlich.

Die Ausstellung ist betitelt mit ‹I Am The Y2K Bug› – der kleine Fehler im Computersystem, der absurderweise zum Inbild der Jahrtausendwende geworden ist. In der Ausstellung spielt der Titel auf die Eingangsinstallation an, die von Zufälligkeit lebt: Die Besucher müssen 200 verborgene Kontaktstellen im Boden passieren, die mit Mengen von kleinen Sprengkörpern verbunden sind, einzeln ausgelöst werden und mit einer Rauchwolke explodieren. Im zweiten Raum zeichnete Cai eine Feuerlinie an die Wand, den Abschluss bildet der Kunstrasen-Raum mit elf Ventilatoren, wo die Besucher zwei kleine Papierdrachen steigen lassen können. Gleichzeitig steht für die BesucherInnen ein heilsamer Tee aus einem holzartigen Pilz bereit. Dynamit, Drache, Pilz dominieren die Ausstellung und sind symbolkräftige Bilder für Gegensätze: Schiesspulver als Substanz, die zugleich als mörderische Waffe und als medizinisches Heilmittel eingesetzt wird. Der Drache – laut Cai – als Inbegriff von Willen und Stärke, als Brücke zwischen Himmel und Erde und zugleich als Träger von menschlichen Ängsten und Wünschen. Und die Wolke der Atombombe als Sinnbild des 20. Jahrhunderts, währenddem der holzartige Pilz, ‹Reishi›, seit Jahrtausenden der bekannte Wirkstoff des in der Ausstellung bereitstehenden Tees ist.

Für die Eröffnungs-Aktion, ‹Project for Extraterrestrials No. 32›, liess Cai Zündschnüre über die vier Baukräne der Baustelle des ‹Museumsquartiers› verlegen und ‹einen Drachen in den Himmel schreiben› – ein Lichtzeichen für Ausserirdische, das für die Irdischen noch lange als Rauchwolken über dem Gelände schwebte.

Die Ausstellung provoziert auch Fragen nach dem Grund für das in den vergangenen Jahren plötzlich steigende Interesse an chinesischer Kunst. Seit 1978, zwei Jahre nach Maos Tod, verfolgt China eine sehr langsame Öffnungs- und Reformpolitik, die 1982 mit dem Verfassungsrecht auf Gründung von Individualbetrieben, elf Jahre später mit der ökonomischen und rechtlichen Gleichstellung verschiedener Eigentumsformen, jetzt im entscheidenden Schritt, der Erlaubnis des internationalen Warenimports, kulminiert. Mit dieser Entwicklung geht allerdings auch Chinas Anspruch einher, international als Weltmacht oder als zumindest regionale Ordnungsmacht anerkannt zu werden – mit wachsendem aussenpolitischem Erfolg. Parallel dazu verläuft die Kurve des chinesischen Kulturexports, der von bildender Kunst bis zu chinesischen Heilpraktiken reicht: eine Aufrechterhaltung von Gegensätzen frei nach Cais Paradigma?

Bis 27.2.2000

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Ausgabe: 01 / 2000
Ausstellung: ( - )
Institution: ()
Autor/in: Sabine B. Vogel
Künstler/in: Cai Guo-Qiang