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Joanneum: Sammelwut von Steinzeit bis zum Virtuellen

13.06.2011 | 17:29 | Von Norbert Mayer (Die Presse)

Zum 200. Jubiläum des Universalmuseum Joanneum vermisst das Kunsthaus Graz mit internationalen Künstlern die Welt. Alte Galerie in Schloss Eggenberg blickt zurück auf Dürers Zeit und die Druckgrafik-Revolution.

Die Bildtafeln des von belgischen Surrealisten geprägten Künstlers Marcel Broodthaers (1924–1976) mit zweimal 15 Stück Rindern passen perfekt in die am Wochenende eröffnete Ausstellung des Universalmuseums Joanneum im Kunsthaus Graz: „Les animaux de la ferme“ (1974) täuscht präzise Klassifikation vor, wie sie in wissenschaftlichen Lehrbüchern üblich ist. Die Stiere sind mit den Namen von Automarken  bezeichnet: Fiat heißt ein geflecktes Vieh, Cadillac ein stattlicher Brauner,  und ein dunkles Ungetüm nennt der Belgier Mercedes.
Broodthaers verweist mit seinen Kunsttafeln  auf die Mechanismen der Lebensmittelindustrie, die auch Tiere vermarktet. Er ordnet Natur und Ökonomie, indem er sein Produkt mittels wilder Metaphern definiert. Auch die Schau im Kunsthaus zum Jubiläum des 1811 gegründeten Universalmuseums Joanneum ist ein Ordnungsversuch: „Vermessung der Welt. Heterotopien und Wissensräume in der Kunst“ lautet etwas pompös ihr Titel, und auch die Beiträge im Katalog prunken theorielastig mit Überbau, bemühen Heisenberg oder Heidegger sowie komplexe Kunst- und Sprachtheorien. Es geht in dieser von Direktor Peter Pakesch und Katrin Bucher kuratierten Schau (bis 4. September) ums Sammeln und Messen, um Bedingungen der Möglichkeit von Museen. Gezeigt wird auf zwei Ebenen in den Rundungen des Kunsthauses ein Sammelsurium (wenn man den hohen Anspruch ins Alltägliche übersetzt) sehenswerter Artefakte.

 

Ai Weiweis massive Kritik an Chinas KP

Ein tagesaktueller Höhepunkt ist die „Map of China“ von Ai Weiwei. Der Pekinger Dissident, den das kommunistische Regime im Frühjahr verschwinden ließ, hat diese massive Skulptur 2003 geschaffen. Aus tausenden Überresten steinalten, eisenharten Hartholzes buddhistischer Tempel, die in der Kulturrevolution zerstört wurden, die dem Fortschritt weichen mussten, hat er die Konturen seines Landes geformt. Das ist, so wie bei seinem belgischen Künstlerkollegen Broodthaers, ein sehr gewitzter Umgang mit Präzision. Die Landkarte Chinas verweist zugleich auf die Diskrepanz zwischen Form und Stoff. Das alte China wurde auf dem langen Marsch der KP verloren, Ai Weiwei erinnert daran sehr materiell. Im Übrigen ist auch Taiwan Teil dieser dreidimensionalen Landkarte. Man muss das aber nicht nationalistisch deuten, vielleicht ist diese Einheit vom Künstler nur kulturell gemeint.
Die Schau im Kunsthaus hat einige österreichische Tupfer; Heimo Zobernig und der Philosoph Ernst Strouhal haben 1999 aus alten Zettelkatalogen der Österreichischen Nationalbibliothek eine eindrucksvolle Installation geistiger Ordnung geformt. Acht dieser Kästen sind in Graz zu sehen. Peter Kogler steuert eine Pinnwand (2006–2011) sowie vier computergenerierte Filzstiftzeichnungen von Gehirnen („Ohne Titel, 2011“) bei, um eine vernetzte Ordnung des Denkens zu visualisieren.
Mehr als vierzig Künstler haben sich an dieser Vermessung der Welt beteiligt, sie hat durchaus auch Internationalität und bezieht zudem sehr oft die Bestände des Joanneums mit ein.  Ein besonders schönes Beispiel dafür ist die für diese Schau eigens geschaffene Installation der Amerikanerin Sharon Lockhart. Hunderte Artefakte der Repolusthöhle liegen in hübscher geometrischer Ordnung auf einer großen grauen Zementplatte – steinzeitliche Werkzeuge, die seit fast 70 Jahren in der Höhle bei Peggau geborgen werden. Eine Filminstallation in gleicher Größe neben dem echten Schautisch zeigt in 80 Minuten den Aufbau dieser Ordnung durch Anna Schwinger, die liebevoll eine Archäologie des Wissens erzeugt. Zeitgleich ist im Grazer Archäologiemuseum die Schau „Zeitenanfang“ zu sehen (bis 22. Juni 2012), auf die sich Lockharts Installation bezieht.
Einige weitere Arbeiten im Kunsthaus sind lokal verlinkt, etwa Helen Mirras „Farbenweg, indirekter“ (2011). Die Amerikanerin beschäftigt sich mit einem Aufsatz von Ludwig Wittgenstein. Oder die seit 2009 weiterentwickelte, kompakte Installation des irisch-israelischen Duos Michael Clegg & Martin Guttmann: „What can be expressed and what is always left out of the description (Graz)“. Das Publikum kann sich bei der Arbeit zum Phänotyp Apfelbaum am Kartieren und Bestimmen der Pflanze beteiligen.

 

„Zeitenwende – rund um Dürer“

Direkt zu Albrecht Dürer (1471–1528) führt der deutsche Thomas Struth, von dem auch ein riesiges Foto einer Vermessungsmaschine aus der Fusionsforschung zu sehen ist: „Stellarator Wendelstein“ (2009). In „Alte Pinakothek. Selbstportrait, München, 2000“ setzt sich der Fotokünstler in Bezug zum Renaissancekünstler. Letzterer blickt einen an, Ersterer wendet sich ihm zu. Nur die Hälfte seines Sakkos ist von hinten zu sehen, die linke Hand hat Struth in der Hosentasche.
Originale von Dürer sind in Schloss Eggenberg in der Schau „Zeitenwende“ ausgestellt. Bis 21. August werde in der Alten Galerie Meisterwerke der Druckgrafik um 1500 gezeigt. Die Kuratorinnen Karin Leitner-Ruhe und Helga Hensle-Wlasak haben rund um Dürers berühmte Grafiken „Ritter, Tod und Teufel“ (1513), „Hieronymus im Gehäus“ sowie „Die Melancholie“ (beide 1514) die Revolution des Print klug eingeordnet. Nur zwei Räume umfasst diese Schau mit Genrekunst, Propaganda, Religiösem sowie Werken von Andrea Mantegna, Lucas van Leyden, Martin Schongauer oder Hans Baldung Grien. Man schöpft aus eigenen Beständen, Leihgaben der Diözese und der UB Graz, doch es erschließt sich eine ganze Welt im Umbruch; die Reformation, das Aufblühen der Wissenschaft, die Erfindung des Buchdrucks. Diese Vermessung der Welt kann sich sehen lassen.


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