Die
Bildtafeln des von belgischen Surrealisten geprägten Künstlers Marcel
Broodthaers (1924–1976) mit zweimal 15 Stück Rindern passen perfekt in
die am Wochenende eröffnete Ausstellung des Universalmuseums Joanneum
im Kunsthaus Graz: „Les animaux de la ferme“ (1974) täuscht präzise
Klassifikation vor, wie sie in wissenschaftlichen Lehrbüchern üblich
ist. Die Stiere sind mit den Namen von Automarken bezeichnet:
Fiat heißt ein geflecktes Vieh, Cadillac ein stattlicher Brauner,
und ein dunkles Ungetüm nennt der Belgier Mercedes.
Broodthaers
verweist mit seinen Kunsttafeln auf die Mechanismen der
Lebensmittelindustrie, die auch Tiere vermarktet. Er ordnet Natur und
Ökonomie, indem er sein Produkt mittels wilder Metaphern definiert.
Auch die Schau im Kunsthaus zum Jubiläum des 1811 gegründeten
Universalmuseums Joanneum ist ein Ordnungsversuch: „Vermessung der
Welt. Heterotopien und Wissensräume in der Kunst“ lautet etwas pompös
ihr Titel, und auch die Beiträge im Katalog prunken theorielastig mit
Überbau, bemühen Heisenberg oder Heidegger sowie komplexe Kunst- und
Sprachtheorien. Es geht in dieser von Direktor Peter Pakesch und Katrin
Bucher kuratierten Schau (bis 4. September) ums Sammeln und Messen, um
Bedingungen der Möglichkeit von Museen. Gezeigt wird auf zwei Ebenen in
den Rundungen des Kunsthauses ein Sammelsurium (wenn man den hohen
Anspruch ins Alltägliche übersetzt) sehenswerter Artefakte.
Ai Weiweis massive Kritik an Chinas KP
Ein tagesaktueller Höhepunkt ist die „Map of China“ von Ai Weiwei.
Der Pekinger Dissident, den das kommunistische Regime im Frühjahr
verschwinden ließ, hat diese massive Skulptur 2003 geschaffen. Aus
tausenden Überresten steinalten, eisenharten Hartholzes buddhistischer
Tempel, die in der Kulturrevolution zerstört wurden, die dem
Fortschritt weichen mussten, hat er die Konturen seines Landes geformt.
Das ist, so wie bei seinem belgischen Künstlerkollegen Broodthaers, ein
sehr gewitzter Umgang mit Präzision. Die Landkarte Chinas verweist
zugleich auf die Diskrepanz zwischen Form und Stoff. Das alte China
wurde auf dem langen Marsch der KP verloren, Ai Weiwei erinnert daran
sehr materiell. Im Übrigen ist auch Taiwan Teil dieser
dreidimensionalen Landkarte. Man muss das aber nicht nationalistisch
deuten, vielleicht ist diese Einheit vom Künstler nur kulturell gemeint.
Die
Schau im Kunsthaus hat einige österreichische Tupfer; Heimo Zobernig
und der Philosoph Ernst Strouhal haben 1999 aus alten Zettelkatalogen
der Österreichischen Nationalbibliothek eine eindrucksvolle
Installation geistiger Ordnung geformt. Acht dieser Kästen sind in Graz
zu sehen. Peter Kogler steuert eine Pinnwand (2006–2011) sowie vier
computergenerierte Filzstiftzeichnungen von Gehirnen („Ohne Titel,
2011“) bei, um eine vernetzte Ordnung des Denkens zu visualisieren.
Mehr
als vierzig Künstler haben sich an dieser Vermessung der Welt
beteiligt, sie hat durchaus auch Internationalität und bezieht zudem
sehr oft die Bestände des Joanneums mit ein. Ein besonders
schönes Beispiel dafür ist die für diese Schau eigens geschaffene
Installation der Amerikanerin Sharon Lockhart. Hunderte Artefakte der
Repolusthöhle liegen in hübscher geometrischer Ordnung auf einer großen
grauen Zementplatte – steinzeitliche Werkzeuge, die seit fast 70 Jahren
in der Höhle bei Peggau geborgen werden. Eine Filminstallation in
gleicher Größe neben dem echten Schautisch zeigt in 80 Minuten den
Aufbau dieser Ordnung durch Anna Schwinger, die liebevoll eine
Archäologie des Wissens erzeugt. Zeitgleich ist im Grazer
Archäologiemuseum die Schau „Zeitenanfang“ zu sehen (bis 22. Juni
2012), auf die sich Lockharts Installation bezieht.
Einige weitere
Arbeiten im Kunsthaus sind lokal verlinkt, etwa Helen Mirras
„Farbenweg, indirekter“ (2011). Die Amerikanerin beschäftigt sich mit
einem Aufsatz von Ludwig Wittgenstein. Oder die seit 2009
weiterentwickelte, kompakte Installation des irisch-israelischen Duos
Michael Clegg & Martin Guttmann: „What can be expressed and what is
always left out of the description (Graz)“. Das Publikum kann sich bei
der Arbeit zum Phänotyp Apfelbaum am Kartieren und Bestimmen der
Pflanze beteiligen.
„Zeitenwende – rund um Dürer“
Direkt zu Albrecht Dürer (1471–1528) führt der deutsche Thomas
Struth, von dem auch ein riesiges Foto einer Vermessungsmaschine aus
der Fusionsforschung zu sehen ist: „Stellarator Wendelstein“ (2009). In
„Alte Pinakothek. Selbstportrait, München, 2000“ setzt sich der
Fotokünstler in Bezug zum Renaissancekünstler. Letzterer blickt einen
an, Ersterer wendet sich ihm zu. Nur die Hälfte seines Sakkos ist von
hinten zu sehen, die linke Hand hat Struth in der Hosentasche.
Originale
von Dürer sind in Schloss Eggenberg in der Schau „Zeitenwende“
ausgestellt. Bis 21. August werde in der Alten Galerie Meisterwerke der
Druckgrafik um 1500 gezeigt. Die Kuratorinnen Karin Leitner-Ruhe und
Helga Hensle-Wlasak haben rund um Dürers berühmte Grafiken „Ritter, Tod
und Teufel“ (1513), „Hieronymus im Gehäus“ sowie „Die Melancholie“
(beide 1514) die Revolution des Print klug eingeordnet. Nur zwei Räume
umfasst diese Schau mit Genrekunst, Propaganda, Religiösem sowie Werken
von Andrea Mantegna, Lucas van Leyden, Martin Schongauer oder Hans
Baldung Grien. Man schöpft aus eigenen Beständen, Leihgaben der Diözese
und der UB Graz, doch es erschließt sich eine ganze Welt im Umbruch;
die Reformation, das Aufblühen der Wissenschaft, die Erfindung des
Buchdrucks. Diese Vermessung der Welt kann sich sehen lassen.