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Mumok-Ausstellung: Bilder ärgern Bilder

25.03.2010 | 18:39 | SABINE B. VOGEL (Die Presse)

Herausforderung der Wahrnehmung oder Schöner-Wohnen-Interieurs? Die Ausstellung „Bilder über Bilder“ über „diskursive Malerei“ bleibt ein Seiltanz.

Radikaler konnte es nicht kommen. Statt Bäumen, Feldern und Menschen sehen wir nur noch Linien und Farben, Quadrate und Kreise. Die Malerei, einst Medium, um Wirklichkeit darzustellen, um Geschichten zu erzählen, kreist um sich selbst. Diese Entwicklung begann vor gut 100 Jahren, als die Freude an der Darstellung hinter das Interesse an den malerischen Mitteln zurücktrat.

So malte Joseph Albers akribisch Quadrat um Quadrat und verzeichnete die genaue Farbbezeichnung als „factual fact“ auf der Rückseite. „Nur der Schein trügt nicht“, sagte er einmal, denn was wir sehen, sind „actual facts“: changierende Farben, deren Helligkeit je nach Nachbarschaft wechselt. Piet Mondrian probte die offene Komposition, in der das Bild endlos über die Ränder weitergedacht werden kann. Die Kinetische Kunst versetzte geometrische Formen dank kleiner Motoren in simple Bewegungen. All diese Avantgardisten revolutionierten die Malerei, wollten die Kunst mit dem Alltag verbinden, durch andere Bilder andere Wirklichkeitswahrnehmungen hervorrufen.

Eine kleine, feine Auswahl dieser Abstraktionsbewegungen kombiniert das MUMOK nun mit zeitgenössischer Kunst aus der Sammlung Daimler und der eigenen. Untertitel: „Diskursive Malerei“. Denn dem diesjährigen Schwerpunkt des Museums entsprechend haben wir es hier mit Kunst zu tun, die über Kunst nachdenkt. In den besten Momenten der Ausstellung führt das zu überzeugenden Situationen, wenn Mathieu Mercer neben den Heroen der Moderne hängt und Mondrians klare Linien in alltägliche Regale, Kästen und Vasen übersetzt, gegenüber Heimo Zobernigs Beispiele seines „totalen Designs“ den Weg der Avantgarden mit einfachen Materialien konsequent in die Kunst zurückführen und Tom Sachs einigen Werken berühmter Kollegen schlicht die Farben wegnimmt: unbedruckte Brillo-Boxen und Peter Halley in Weiß.

 

Überführung von Kunst in den Alltag?

Das ergibt spannende Fragen: Wie wichtig sind Linien, was bleibt von Malerei ohne Farben? Was ist aus dem Konzept der Überführung von Kunst in den Alltag geworden? Am überzeugendsten ist das Selbstgespräch der Künstler mit der Kunstgeschichte in Andreas Reiter-Raabes weißen Stelen auf Philippe Parenos grau bedrucktem Teppich, dazu Reiter-Raabes monochrom grünes, als Fenster inszeniertes Bild: Mit nichts als Malerei im Blick die Malerei erneuern? Da öffnet sich der Raum, Kunstgeschichte und Gegenwart, konzeptuelle Malerei und Raumbilder treffen aufeinander, lassen die ganze Weite dessen erahnen, was wir heute „Kunst“ nennen.

Eine Etage darüber allerdings kippt das Konzept der gewagten Kombinationen. Immer wieder steht die Leere als konzeptuelles Fundament der Werke zur Diskussion. Unten können wir Leere als spannungsgeladene Flächen, als stille Zitate und freche Formen erleben. Oben aber macht sich Sinnleere breit. Glänzend grünes, geknülltes Geschenkpapier von Anselm Reyle trifft auf Morellets Neonröhren, wird angestrahlt von John Armleders Lüstern und belästigt von Reyles blinkender Deckenlampe. Die Ausstellung gerät in die Nähe eines Interieurvorschlags für Schöner Wohnen. Wie sollen sich in der Umgebung experimentelle Bildversuche der Sechzigerjahre dagegen wehren, auch als Lifestyle-Objekte wahrgenommen zu werden? Wie können sich die großartigen frühen Farbfeldmalereien und geometrischen Kompositionen von der allzu glatten Oberflächlichkeit einer Sarah-Morris-Komposition abheben, wo wird die Grenze gezogen zwischen dynamischem Malereidiskurs und statischer Beliebigkeit?

Es ist eine Herausforderung an die Besucher, hier die Linien, Kreise und Quadrate weiterhin als gewagte Mittel zur Erforschung und Erweiterung einer Malerei zu sehen, die unsere Leben nicht behübschen, sondern unsere Wahrnehmung herausfordern will. Wenn dieser Seiltanz intendiert war, dann ist die Ausstellung geglückt.


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