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vom 20.08.2007 - Seite 011
Eine Bruckner-Nitsch-Orgie

Der Höhepunkt der diesjährigen Brucknertage sorgte bereits im Vorfeld für Aufregung. Denn neben Peter Jan Marthé mit seinem European Philharmonic Orchestra gastierte auch Hermann Nitsch in St. Florian - an der Brucknerorgel.

VON MICHAEL WRUSS

Dass Hermann Nitsch an der Brucknerorgel spielen sollte, stieß manchen sauer auf, und so wurden auch noch am Konzertabend Briefe an den Propst des Stifts und an Papst Benedikt XVI. von Martin Humers "Österreichischer Arbeitsgemeinschaft zum Schutze der Familien" verteilt, um vor "Kulturschande" zu bewahren.

Trotz allem fand am Freitag der Auftritt Hermann Nitschs statt, und sein "Orgelwerk für Anton Bruckner" hatte seine zumindest Teil-Uraufführung erlebt. Der Aktionskünstler ist sich selbst bewusst, dass er als Musiker ein Dilettant ist, aber seine Liebhaberei hat insofern etwas Kunstvolles an sich, als sie sich vom Üblichen abhebt und dem Motto der Brucknertage "Quelle der Inspiration" sehr nahe kam. Jene Tonschichtungen, die zu changieren begannen und sich zu mächtigen Klangeruptionen auftürmten, eröffneten in ihrer meditativen Langsamkeit die Weite der Phantasie und passten durchaus in den sakralen Raum. Weniger allerdings die grölenden Buhrufe und lautstarken Pfiffe der Gegner, die dennoch die Zustimmung vieler Begeisterter nicht übertönen konnten.

Den zweiten Teil des Konzerts hat man hingegen stürmisch bejubelt, obwohl er der wesentlich problematischere war. Peter Jan Marthé hat diesmal mit seinem European Philharmonic Orchestra, einem europäischen Jugendorchester, Bruckners V. Symphonie aufgeführt und diese dabei zu einer überlauten Klangorgie degradiert. Von Bruckners kompositionstechnisch gesehen bestem Werk, das ihm selbst so viel bedeutet hat, dass er es jahrelang nicht aufführen ließ, um nicht Gefahr zu laufen, gute Ratschläge für Korrekturen zu bekommen, blieb nicht viel übrig.

Brutal wie ein Kriegsruf

Es stimmt schon, dass Bruckner in diesem Werk extreme dynamische Werte vorschreibt und die Musik zur Ekstase auflaufen lässt, doch das immer kontrolliert und einem ästhetischen Anspruch der Klangschönheit folgend. Der berühmte Choral im Finalsatz hat schon sein Fortissimo zu bekommen, aber eines, das vollstimmig die Ehre Gottes preist und nicht brutal wie ein Kriegsruf die Stille durchbricht.

Stille war nur selten zu finden. So geriet der Pianissimo-Anfang des zweiten Satzes viel zu laut und zu direkt - keine Musik, die aus einer übersinnlichen Welt daherzukommen scheint. Dabei hätte das Orchester alle Eigenschaften mitgebracht, klangvolle, laute Bögen schön zu musizieren. Solche Passagen gab es. Doch meist wurden sie jäh von den aggressiven Gesten und Blicken des Maestros zerschlagen. Sein Gehabe - auch das ausgedehnte Schweißtupfritual zwischen den Sätzen mit majestätischer Taktstocküberreichung - verrät mehr die Selbstdarstellung als das Dienen am Kunstwerk. Noch dazu, wenn die Partitur nur des Effekts wegen verändert wird.

Gewalttätiger Klangrausch

Bruckner hat nie Becken und Triangel vorgeschrieben, und so blieb deren Einsatz so lächerlich wie jener nicht originale Beckenschlag in der VII. Symphonie. Bruckners Musik, richtig interpretiert, bedarf keiner Zusätze und keines gewalttätigen Klangrausches. Diese Musik lebt aus ihrer geistigen Größe - und die gälte es den jungen Musikern nahezubringen.

Aufregung um Aktionskünstler Hermann Nitsch an der Brucknerorgel Foto: grox


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