Salzburger Nachrichten am 18. März 2006 - Bereich: Kultur
Hoffnung auf ein Fräuleinwunder

Es ist kaum vorstellbar, dass heutzutage ein literarisches Talent übersehen wird. Vorsichtshalber kommt auch unausgereifte Ware vorschnell in den Handel.

Anton ThuswaldnerSalzburg, Leipzig (SN). Der Literaturbetrieb ist ein gefräßiges Tier. Ständig verschlingt er neue Namen. Fräuleinwundergläubig setzt er auf die Kraft junger Gesichter. Aber - wie unter Krokodilen - die wenigsten schaffen es, die Saison unbeschadet zu überstehen. Kaum taucht ein Talent auf, wird es gefeiert und gelobt, bevor es sich hat richtig beweisen dürfen. Rasch ist ein Text Buch geworden, der diesen Qualitätssprung nicht verdient hat.

So ist zu berichten vom Fall Rabea Edel. Soeben ist ihr Romandebüt "Das Wasser, in dem wir schlafen", im Luchterhand Verlag erschienen, und es gibt nichts Gutes darüber mitzuteilen. Bevor das Buch im Handel war, wurde die Autorin mit dem tödlichen Prädikat "Berlins schönste Dichterhoffnung" auf den Weg geschickt. Flotte Finger fertigten Porträts von ihr an, in denen von ihrem Schreiben beiläufig die Rede war. Rabea Edel wurde vermarktet als ein Hochglanzereignis.

"Sie schwebt durch Siena, so elegant, so mühelos, so perfekt, über einen der beeindruckendsten Plätze des italienischen Mittelalters zu unserem Treffpunkt auf der Piazza del Campo", so ist in einem Magazin zu lesen, das sich angeblich mit Büchern beschäftigt. Wer so unter Eindruck steht, braucht nicht mehr zu lesen.

2004 erhielt die Autorin einen Preis bei der Open-Mike-Veranstaltung in Berlin, wo Jungtalente zu besichtigen sind. Rasch gelang es ihr, einen großen Verlag für sich einzunehmen. Und jetzt haben wir die Misere. Ihr Debüt, in dem nichts stimmt und das nicht zu retten ist, liegt als Buch vor. Am Marterpfahl steht eine 23-Jährige. Dabei ist sie nur trauriges Symbol einer Gesellschaft, die nach jungem Blut lechzt.

Es rächt sich der Kult der Jugend. Rabea Edel bringt dann und wann einen hübschen Satz zu Stande, bisweilen entweicht ihr ein aparter Gedanke, und wer weiß, wenn sie an Erfahrung gewinnt, vielleicht gelingt ihr ein achtbares Werk. Zu reifen ließ man ihr nicht die Zeit.

Der Literaturbetrieb ist in einem Zwiespalt. Einerseits spielt er mit nach den Regeln, die der Kapitalismus vorgibt. Andererseits will er etwas Besseres sein, weil er sich mit der edlen Ware Literatur beschäftigt. So verfügt er über einen herausgeputzten Salon, in dem die neuesten Entdeckungen öffentlich zur Schau gestellt werden. Im hintersten Winkel befindet sich aber die Falltür, durch die all jene gestürzt werden, die den aktuellen Marktinteressen widersprechen.

Jenen, die mit Büchern vor allem Geschäft machen wollen, geht es nämlich nicht um Texte, sondern um Gestalten. Wer sich adrett herausputzt und fernsehtaugliche Sätze in ein Mikrofon tropfen lässt, hat vorerst gewonnen. Ihm gehört jede Öffentlichkeit. Weigert sich das Publikum, die gepriesenen Bücher zu kaufen, ist es um die Zukunft eines verheißungsvollen Talentes im Rampenlicht geschehen.

Immer häufiger wird der Autor zu früh - meist genügt ein renommierter Preis - auf eine Rolle festgelegt. Er wird gehandelt wie eine Marke. Eine andere Richtung wird ihm nicht mehr zugestanden.

Wer aus dieser Rolle fällt, verliert die Akzeptanz. So hat Juli Zeh mit ihrem Debüt "Adler und Engel" (2001) Aufsehen erregt, doch für ihre politischen Texte über Bosnien und EU-Kandidaten warf man ihr Hilflosigkeit vor. Judith Hermann errang mit ihrem Erstling "Sommerhaus, später" (1998) rundum einhelligen Erfolg, ihr zweiter Erzählband "Nichts als Gespenster" (2003) wurde verrissen.

Wer hingegen mitspielt und das System nicht angreift, kann profitieren. Rabea Edel zum Beispiel ist eine fügsame Person. Sie muckt nicht auf, sie möchte Literatur schreiben, die Herz und Geist bewegt, und verkrampft sich dabei.

Stil im Standardder Schreibschule Viele junge Autoren durchlaufen Schreibschulen, die das DDR-Modell kreativer Schreibkurse nach dem Vorbild der USA weiterentwickelt haben. Deshalb wirken viele Debüts so, als hätte jemand gerade seine Hausarbeit abgegeben. Rabea Edel hat einen Klagenfurter Literaturkurs mitgemacht, andere sind mit der Ästhetik der Leipziger Schule ausgestattet. Das macht Texte austauschbar und verwechselbar.

Wie oft trifft man auf Bücher, die angetrieben sind vom Drang, etwas zu erzählen, doch es mangelt ihnen an Stoff! Das eigene Leben ist ereignislos, die Fantasie gibt nicht viel her, und Recherchen sind zu aufwändig. Und so liest man vom Bekannten in bekannter Manier, aufgefasst mit dem bekannten Blick.

Die einen reden Nebensachen groß und wichtig wie Doris Konradi ("Fehlt denn jemand") , die überdies in verkorkste Vergleiche stolpert: "Grüße, (...) die sich wie Haken ins Fleisch setzten." Die anderen versetzen sich kraft ihrer Einfühlung in eine ferne Vergangenheit und statten Menschen von damals mit dem Erfahrungshorizont einer Autorin von heute aus: Sabine Schiffner, "Kindbettfieber". Aufdringlich weht der sanfte Flair der Melancholie durch die Debüts.