29.09.2002 21:41
Der Hang zum Digitalgemälde
Streifzug durch die bis 30.10. dauernde Kunstmesse "Art Forum
Berlin"
In diesem Jahr steht das Berliner Art Forum neuerlich im Zeichen
eines "danach". Zuletzt stand die Kunstmesse noch ganz unmittelbar unter dem
Eindruck der Attentate des 11. September 2001, heuer sind es zwei andere
Großereignisse, die ihren Schatten auf die fünftägige Verkaufsausstellung auf
dem Messegelände unweit des Funkturms im Westen Berlins werfen. Von der eben
geschlagenen Bundestagswahl hat sich Guido Westerwelle anscheinend schon wieder
gut erholt. Der FDP-Vorsitzende scheute auch heuer das Bad in der Menge nicht.
Der Eindruck der documenta11 aber, mit ihrer ordentlich zusammengeräumten
geopolitischen Ästhetik und ihrer idealistischen Anmutung, lässt das geschäftige
Treiben profan aussehen.
Die Kunst zeigt sich in Berlin wieder von ihrer
alltäglichen Seite: ideenreich, angebotsorientiert, medienversiert, dekorativ.
Die Kasseler Höhlenwanderung durch fünf Kontinente ist zu Ende. Beim Art Forum
steht alles im Licht, selbst die Videokunst ist aus dem "black cube" an die
weiße Wand übersiedelt, wo sie nun mit den Gemälden um den Vorrang im Reich des
Visuellen wetteifert. 152 Galerien aus 25 Ländern stellen in diesem Jahr aus,
Osteuropa ist sehr stark vertreten. Und obwohl die deutsche Hauptstadt sich in
einer so desaströsen finanziellen Lage befindet, dass von einem inspirierenden
Umfeld nicht die Rede sein kann, war die Stimmung zur Eröffnung sehr gut.
Der Einstieg in ein Sammlerdasein ist mit durchaus überschaubaren Summen
möglich. Bei König, Berlin, stell Michaela Meise sechs kleine
Aquarellzeichnungen aus, in denen sie das Modethema Terrorismus aufgreift: Ihr
Zyklus Gudrun Ensslin sollte zusammenbleiben, für sechsmal 450 Euro wäre
dies möglich. Daneben hängen sechs kleine Zeichnungen, in die Balenciaga-Modelle
hineinaquarelliert sind. Sie sind einzeln zu haben. Zwischen diesen hübschen
Miniaturen und den monumentalen Bildern von Daniel Richter (Contemporary Fine
Arts, Berlin, bietet Dogplanet um 60.000 Euro) spielt sich das Comeback
der Malerei ab, für das beim Art Forum auch Neo Rauch mit einem neuen Bild um
75.000 Euro und Jonathan Meese mit einer vergleichweise billigen Lolita für
1000jährige um 12.000 Euro einstehen. Die meisten dieser Gemälde waren am
Eröffnungstag schon verkauft.
Das interessanteste Novum auf dieser
Messe, auf der die Kunstwelt einen Schritt zurück zu traditionellen Kontexten
machte, waren aber die allgegenwärtigen Flat-Screens, auf denen Videobilder zu
sehen sind, die sich gelegentlich nur ganz unmerklich verändern. Diese
Digitalgemälde changieren zwischen Kontemplation und Avantgardefilm. Das beste
Beispiel stammt denn auch von dem Experimentalfilmemacher Matthias Müller: Eine
Hauswand, zwei Fenster, eine Frau dahinter, und ein Vorhang, der leicht im Wind
fächelt. Die hypnotische Arbeit liegt in einer Auflage von fünf vor, ein
Exemplar ist noch zu haben.
Aus der Konformität der Selbstpräsentationen
der Galerien heben sich vor allem die Berliner Chouakri Brahms heraus, die gegen
die Markttendenz eine Videolounge mit Arbeiten von Sylvie Fleury, Isabel
Heimerdinger u.a. errichtet hatten. Wenn es Fazit gibt, dann ist es dieses: Der
Medienmix wird wieder konventioneller, die große Geste wird auch monumental
bezahlt, dazwischen ist wie immer alles möglich. (Bert Rebhandl / DER STANDARD,
Printausgabe vom 28./29.9.2002)