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Kunstberichte

E = m mal Cola 2

Aufzählung (cai) Stellen Sie sich vor, Sie finden auf dem Dachboden ein unbezahlbares Edelsparschwein von Fabergé und drauf pickt folgende Notiz: "Habe ein Papierl mit der geheimen Formel von Coca-Cola hineingesteckt." Was tun Sie? (Denn offenbar befinden Sie sich in einem "Glückskeks-Dilemma", wo man das eine, das Keks bzw. das Schweindl, zerstören muss, um an das andre, das Zetterl, ranzukommen.)

a) Sie holen den Hammer, weil die Neugier halt stärker ist als der Denkmalschutz (und bekommen dann eventuell zu lesen: "E = m mal Cola 2 "). b) Sie versteigern das Schweindl auf Ebay und hoffen, dass der reiche Coca-Cola-Konzern paranoid genug ist, um mitzubieten. Ach, ist eh egal, was Sie tun. In diese Situation kommen Sie sowieso nicht. Aber in eine ähnliche, sofern Sie Roman Ondáks Opus "Snap shots From Baghdad" kaufen. Eine mysteriöse Wegwerfkamera. Nein, keine von Fabergé, doch immerhin wird behauptet, auf dem Film, der drin ist, wären irakische Impressionen. Sollen Sie den Film nun entwickeln (und das Kunstwerk damit ruinieren) oder glauben Sie gleich , dass alles ein Schmäh ist?

Ondáks Kunst regt die Fantasie an. Was hat in einem begehbaren Kubus eine Linie in 174 cm Höhe zu bedeuten? Dass der Künstler 1,74 m groß ist! Ein Minimal-Selbstporträt quasi. Und wenn sieben Frauen, die ihr Gewand verkehrt anhaben, durch San Francisco spazieren? Sind das am End’ feministische Linksradikale, die ihre Wäsche nicht nur von links waschen und bügeln, sondern auch von links tragen ? Nein, das heißt bloß, dass der Ondák sie dazu angestiftet hat. Wie er ein andermal Dutzende Leute dazu gebracht hat, am Panamakanal einträchtig Steine zu platteln. Die sanfte Provokation kriegt er ja ziemlich gut hin.

Galerie Martin Janda

(Eschenbachgasse 11) Roman Ondák Bis 1. November Di. – Fr.: 13 – 18 Uhr Sa.: 11 – 15 Uhr

Die Diktatur des Fleisches

Aufzählung (cai)Die haben sich ja nur für die Kunst ausgezogen. Gut, das sagen die Damen von der gewissen Seite sieben (oder elf?) sicher auch, aber auf diese Personen hier trifft es womöglich wirklich zu. Die Anweisungen des Fleisch-Dompteurs haben sie penibel befolgt. Im Juni nämlich, als der Spencer Tunick das Ernst-Happel-Stadion eingeweiht hat mit dekorativ über die kolossale Architektur verteilten Nackerpatzln. Ist das opulente Synchronposieren jetzt Demokratie (weil ja nackte Menschen gleicher sind als bekleidete, zumal keiner mit seinem Adidas-Leiberl angeben kann) oder eine Diktatur des Fleisches mit gleichgeschalteten Leibern? Dass einer es schafft, dass sich fast 2000 vor ihm entblößen und dann so ausdauernd kooperieren, schon das ist eine enorme Leistung. (Massenhysterischer Exhibitionismus? Eher nicht.) Doch warum müssen alle nackert sein? Vielleicht weil Michelangelos David auch nix anhat. Künstlerische Freiheit. (Okay, wenn auf einem Foto Männer wie Sardinen herumliegen und jeder einen Fußball vor sein Sensibelstes hält, ist das ein bissl plakativ.)

Hilger Contemporary

(Dorotheergasse 5) Spencer Tunick Bis 4. November Di. – Fr.: 10 – 18 Uhr Sa.: 10 – 16 Uhr

Der ehrliche Kitsch

Aufzählung (cai)Zuerst war ich ja schockiert, dass da einer den altehrwürdigen Meeresgott Neptun (der sicher auch für die Badewanne zuständig ist) in die Niederungen der Schwimmflügerln herunterzieht. Zumindest schaut der beim Martin Schrampf aus wie ein aufblasbarer Spielgefährte fürs Planschbecken. Wie ein Gummifisch, in den ein Asthmatiker seine letzte Puste hineingeröchelt hat. Doch schnell bin ich dem heiteren Charme dieser verschmitzt respektlosen Metallskulpturen verfallen, wo sich Humor und handwerkliches Können zum "ehrlichen Kitsch" oder gar zur Situationskomik vereinen und sich Eisenwürfel aufplustern wie superpralle Luftballone.

Galerie Artefakt

(Strauchgasse 2) Martin Schrampf Bis 30. Oktober Mo. – Fr.: 13 – 18 Uhr

Printausgabe vom Mittwoch, 22. Oktober 2008

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