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derStandard.at | Kultur | Bildende Kunst 
09.07.2002
02:21 MEZ
Feine Sache für Psychoanalytiker
Louise Bourgeois mit riesiger Spinne und riesiger Retrospektive - Kunsthaus Bregenz

Service

bis 15. 9.
Kunsthaus Bregenz

 
Foto: Kunsthaus Bregenz
Portrait with Spider IV

Das Kunsthaus Bregenz zeigt eine Werkschau der neunzigjährigen frankoamerikanischen Bildhauerin Louise Bourgeois. Noch nie wurde dem gut sechzig Jahre umfassenden Werk der Künstlerin in Europa eine derart große Retrospektive gewidmet.


Bregenz - Spider, eine der bekanntesten Skulpturen der Louise Bourgeois, stakst gleich zweimal durchs Kunsthaus Bregenz (KUB). Im Foyer werden die Besucher von einer riesigen, dreieinhalb Meter hohen Ausgabe aus Bronze (1996) empfangen. Und ganz oben unter dem Dach brütet das Pendant aus Stahl (Spider 1997) über einem Käfig, der mit Versatzstücken der Vergangenheit ausstaffiert wurde, mit brüchigen Gobelins, Schmuckstücken und anderen Reliquien der Louise Bourgeois.

Die Spinne als Symbol des Schreckens und der Geborgenheit, als Bewahrerin und Zerstörerin der Erinnerung. Zwischen diesen beiden Polen werden auf den vier Etagen des KUB 21 Skulpturen und über 200 Zeichnungen aus allen Schaffensperioden gezeigt. Viele Zeichnungen stammen aus Bourgeois' Privatbesitz und sind zum ersten Mal öffentlich zugänglich.

Es ist viel Erinnerung im Leben der Neunzigjährigen, die heute ihr Haus in New York nicht mehr verlässt, meist am Fenster sitzt, zeichnet, den Lauf der Gestirne beobachtet, den Geräuschen der Straße lauscht. Sie wurde 1911 in Paris geboren. Ihre Eltern besaßen einen Betrieb zur Restaurierung von Wandteppichen, in dem sie schon sehr früh mitarbeitete.

Nach einem abgebrochenen Studium der Mathematik wandte sie sich der Kunst zu und wurde Schülerin von Fernand Léger. 1938 heiratete sie den amerikanischen Kunsttheoretiker Robert Goldwater, folgte ihm nach New York und zog mit ihm drei Kinder groß. Nach anfänglichen Versuchen in abstrakter Malerei schuf sie in den Vierzigerjahren ihre ersten Objekte. Schlanke Bronze-und Holzstelen, die Personnages, die sich stark an archaische Formmuster anlehnen, analog vielleicht zur Kunst ihres Zeitgenossen Giacometti oder zu den kubistischen Versuchen drei Dekaden zuvor.

In den Fünfzigerjahren experimentierte sie mit geometrischen Strukturen und immer öfter auch mit ungewöhnlichen Materialien wie Latex, Gummi oder Zement. Ab den 60ern wurde ihre Kunst zunehmend konkret. Sie gestaltete zum Beispiel die Fillette (Kleines Mädchen), einen etwa 40 cm langen Latex-Penis, der im KUB wie ein Stück Parmaschinken von der Decke hängt. Oder Janus Fleuri, den doppelgesichtigen Penis aus Bronze. Oder die Skulptur Description of the father: Phallische Rundungen, die wie Pilze aus dem Boden wachsen als späte Anklage an den promiskuitiven Vater.

Wenn die Bourgeois sich selbst auch nie als Feministin bezeichnete, der feministische Diskurs, den solche Objekte auslösten, trug doch zu ihrer Popularität bei. Der große Erfolg stellte sich aber erst Anfang der Achtziger mit einer Retrospektive im New Yorker Museum of Modern Art ein, da war sie bereits 70.

Mit 70 in die Oberliga

Von da an spielte sie in der Oberliga des internationalen Kunstbetriebs, stellte 1992 an der documenta IX in Kassel aus, nahm 1993 an der Biennale in Venedig teil. Auf der documenta ist sie auch heuer vertreten. Bis zum 27. Juli ist auch eine Auswahl ihrer Marmorarbeiten in der Galerie Hauser & Wirth in Zürich zu sehen. Doch noch nie in Europa wurde ihrem Lebenswerk eine so umfangreiche, 60 Jahre umfassende Ausstellung gewidmet. Der Direktor des KUB, Eckhard Schneider bezeichnet diese Werkschau daher als den "Höhepunkt in der jungen Geschichte unseres Hauses". Die Bourgeois ist eine "Schlüsselfigur" in der Kunst des 20. Jahrhunderts. Die letzte Überlebende einer ganzen Generation. Doch ist bei Bourgeois die Frage des Alters uninteressant. Die Kühnheit ihres Werkes ist nie abgerissen. Auch die jüngsten Arbeiten zeigen einen radikalen Gegenwartsbezug, trotz aller Beschäftigung mit der Vergangenheit.

Ihr Werk entzieht sich einer entwicklungsgeschichtlichen Rezeption, dazu ist sie schlicht zu experimentierfreudig. Immer wieder nimmt sie auch Elemente früherer Epochen neu auf, wiederholt und verändert sie. In dieser Arbeit, sagt Eckhard Schneider, "verknüpfen sich die unterschiedlichsten Stränge moderner Kunst". Eine wuchtige Synthese von Gestern und Heute, ein Vergnügen für das Auge. (Michael Heinzel/DER STANDARD, Printausgabe, 9.7.2002)


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