Genie oder Scharlatan – Aktionist und Provokateur
Joseph Beuys hat einen nachhaltigen Einfluss auf die Kunst
Die Fettecke und der tote Hase
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Joseph Beuys, "Schlitten 2" (1969). Von dem Schlitten gibt es weltweit
50 Exemplare, die am Kunstmarkt Höchstpreise erzielen. Foto: corbis
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Von Bernhard
Baumgartner
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Joseph Beuys
ist auch 25 Jahre nach seinem Tod eine ambivalente Figur.
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Ein Künstler mit ungewöhnlichen Materialien und
auch Ansichten.
Wien. Der Hase hörte geduldig zu. Kein
Wunder, schließlich war er schon länger tot. Daher wehrte sich der
tierische Begleiter auch nicht, als der honigbestrichene Joseph Beuys
ihn am 26. November 1965 durch die Galerie Schmela in Düsseldorf trug,
um ihm "die Bilder zu erklären". Drei Stunden lang – während die
Zuschauer vor verschlossenen Türen standen und warteten. Erst danach
wurden sie eingelassen und fanden Beuys mit dem Hasen auf dem Arm auf
einem Hocker vor.
Die Aktion "Wie man dem toten Hasen die Bilder erklärt" gilt heute
als eine der wichtigsten Meilensteine auf dem Weg Beuys’ zu einem
erweiterten Kunstbegriff. Schon damals verstanden viele nicht, was an
einer Aktion wie jener Kunst sein soll. Auch heute, da sich der
Sterbetag des Künstlers zum 25. Mal jährt, ist das Œuvre des gebürtigen
Krefelders, der als Künstler stets mit einem markanten Filzhut auftrat,
nicht gänzlich unumstritten. Was für die einen eine ungeheure
Erweiterung des Kunstbegriffes darstellt, ist für die anderen nichts
anderes als Scharlatanerie.
Und dennoch hat das Phänomen Beuys Bestand. Zumindest auf dem
Kunstmarkt erzielen seine Werke hohe Preise. Eines von 50 Exemplaren
seines "Schlitten" – ein Schlitten mit Decke und Taschenlampe (siehe
Foto oben) – wurde kürzlich für 156.00 Dollar versteigert. Für viele
junge Künstler gelten Beuys, seine künstlerische Ideologie, sein
Einfluss auf die Kunst sowie seine Ausdehnung der Kunst auf
ungewöhnliche Materialien wie Fett oder Filz auch heute noch als
Vorbild.
In der Tat ist Beuys’ Leben voller Brüche. Zunächst hatte es für den
1921 geborenen Deutschen nicht gut ausgesehen. Er ging wie viele seiner
Generation zur Hitlerjugend, marschierte etwa zum Reichsparteitag nach
Nürnberg. Hier zeigt sich eine Ambivalenz dem System gegenüber: Zwar
wohnte er als Hitlerjunge Bücherverbrennungen bei, rettete jedoch Werke
vom Thomas Mann oder Carl von Linné aus den Flammen.
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Joseph Beuys. Foto:
getty
Im Krieg meldete er sich freiwillig zur Luftwaffe, wurde mehrfach
verwundet aber auch mehrfach dekoriert. Beuys überlebte einen
Flugzeugabsturz, der ihn traumatisierte, den er jedoch später auch mit
einer Legende mystifizierte: Er sei von Krimtartaren gerettet worden,
die seine Wunden mit Fett und Filz behandelten – was seine Vorliebe für
diese Materialien erklären sollte. Diese Geschichte hielt jedoch
Recherchen nicht stand.
Faszination Rudolf Steiner
Nach dem Krieg studierte er Bildhauerei bei Ewald Mataré, zu dessen
Meisterschüler er rasch aufstieg. Er begann, sich für die Lehren des
Philosophen und umstrittenen Begründer der Waldorfpädagogik, Rudolf
Steiner, zu interessieren, dessen Schriften für Beuys Schlüsselgedanken
für sein gesellschaftsveränderndes Konzept der "sozialen Plastik"
enthielten.
Nach Beuys kann jeder Mensch durch kreatives Handeln und Denken zum
Wohl der Gemeinschaft beitragen und dadurch "plastizierend" auf die
Gesellschaft einwirken. Damit wird die Kunst von den Grenzen des
materiellen befreit. Ende der Fünfziger zog sich Beuys von der
klassischem Bildhauerei zurück und begann mit außergewöhnlichen
Materialen zu experimentieren.
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"Stadtverwaldung".
Foto: dpa
Tatsächlich entstanden dadurch Werke, die auch heute noch nichts von
ihrem Potenzial zur Kontroverse eingebüßt haben. Seine "Fettecke", die
er aus mehreren Kilo Butter in einer Ecke des Raumes modellierte, ist
nur eines der Werke, die für Aufregung sorgten. Nicht zuletzt dadurch,
dass nach dem Tod Beuys’ eine Reinigungskraft die Fettecke entsorgte,
was das Land Nordrhein-Westfalen 40.000 Mark Schadenersatz kostete.
Beuys machte sich jedoch auch als Lehrer einen Namen. 1961 wurde er
als Professor an die staatliche Kunstakademie in Düsseldorf berufen, wo
er seine Ideen zur Demokratisierung der Kunst konsequent
weiterverfolgte. Gemäß seinem Credo "Jeder Mensch ist Künstler" war er
nicht bereit zu akzeptieren, dass Schüler an der Akademie abgewiesen
wurden. Als er Anfang der Siebziger Jahre seine Meisterklasse für alle
Bewerber öffnete und mit Besetzungen die formale Aufnahme der Schüler an
die Akademie zu erzwingen versuchte, wurde er als Lehrer entlassen. Ein
gerichtlicher Vergleich regelte später, dass Beuys seine Atelier "Raum
3" weiterverwenden durfte.
Maßgeblich für das Werk des zweifachen Vaters sind jedoch auch seine
raumfüllenden Installationen, etwa "Blitzschlag mit Lichtschein auf
Hirsch" aus 1982, eine Objektgruppe aus 39 Teilen, von der es weltweit
vier Exemplare gibt – eines davon in der Tate Modern in London, eine bei
Guggenheim Bilbao und eine im Museum für Moderne Kunst in Frankfurt.
Der Blitzschlag ist ein sechs Meter hoher Guss, der "Hirsch" ein altes
Bügelbrett.
Politisierung der Kunst
Seine vermutlich bleibendste Aktion, deren Vollendung der 1986 an
einer Lungenentzündung verstorbene Künstler nicht mehr selbst
miterlebte, ist vermutlich "7000 Eichen – Stadtverwaldung statt
Stadtverwaltung" in Essen. Dort wurden im Zuge einer ökologischen
Intervention 7000 Eichen kombiniert mit jeweils einem Basaltstein
gepflanzt. Um die enorme Summe von 2,2 Millionen Euro für die Aktion
aufzubringen, ließ sich Beuys sogar herab, für eine japanische
Whisky-Marke Werbung zu machen.
![190111links(1)](00091878-Dateien/948_008_263289_190111links.jpg)
"Capri Batterie",
1986. Foto: dpa
Beuys verfolgte, dem Zeitgeist entsprechend, eine Politisierung der
Kunst – er wollte mit der Kunst die Gesellschaft verändern. Doch auch in
der offiziellen Politik trat Beuys auf. So gilt er als einer der
Gründungsväter der deutschen Grünen, bei denen er jedoch nie ein
offizielles Mandat innehatte. Mit dem Modell der Basisdemokratie, dem
sich jeder Mandatar stellen musste, konnte Beuys wenig anfangen – ein
Anpassen an die Gruppe überforderte den Exzentriker.
Auch mit durchaus humorvollen politische Aktionen ließ Beuys
aufhorchen, als er etwa die Berliner Mauer "aus ästhetischen Gründen" um
fünf Zentimeter aufstocken wolle. Ihren Fall hatte er zwar vorausgesagt
– aber nicht mehr erlebt. Ein anderes Mal kehrte er in Ostberlin nach
dem Maiaufmarsch die Hinterlassenschaften zusammen – ein symbolischer
politischer Kehraus als Protest gegen das Regime.
Weggefährten haben dem zigfach ausgezeichneten Künstler, der gerne
als deutsches Pendant zu Andy Warhol gesehen wird, als schwierigen
Menschen in Erinnerung. Mit Frauen tat er sich genauso schwer wie mit
Widerspruch. Seine langen Monologe zu unterbrechen trauten sich nur
wenige. Gerne inszenierte er sich als Grenzgänger und Schamane. In der
Aktion Coyote; "I like America and America likes me" ließ er sich 1975
vier Tage mit einem Koyoten einschließen, um Kontakt zu dem Tier
aufzunehmen. Das passt ins Bild eines Menschen, der den Nimbus des
Geheimnisvollen sorgsam pflegt. So wie man wohl auch nie erfahren wird,
was er dem toten Hasen erklärt hat. Drei Stunden lang.
Printausgabe vom Mittwoch, 19.
Jänner 2011
Online seit: Dienstag, 18. Jänner 2011 17:28:00