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Himmlisch: Kunststadt Linz

04.06.2010 | 18:35 | SABINE B. VOGEL (Die Presse)

Die drei wichtigsten Kunsthäuser der Stadt kooperieren – und zeigen ein intensives Bild unserer Zeit. Alle drei Jahre soll Linz die Hauptstadt der jungen österreichischen Kunst werden.

Vorbei ist das Jahr der Kulturhauptstadt Linz. Gewöhnlich setzt nach dem Jahr der geballten Ereignisse die Stille ein, der Kater durch Abschlussrechnungen und Folgekosten. Nicht so in der oberösterreichischen Stahlstadt, die hartnäckig auf dem Weg zur Kunststadt ist. „Linz09 hat eine enorme Kooperationsqualität ausgelöst“, erklärt Martin Hochleitner, Direktor der Landesgalerie Linz.

Was in Wien undenkbar wäre, geschah hier friedlich und produktiv: Die Leiter der drei wichtigsten Ausstellungshäuser der Stadt setzten sich zusammen und beschlossen, gemeinsam eine Triennale zu starten. Alle drei Jahre soll Linz die Hauptstadt der jungen österreichischen Kunst werden – und zwar ab sofort.

Warum eine Triennale? „Das Potenzial an junger Kunst ist in Österreich so groß, da braucht es einen regelmäßigen Überblick“, fasst es Stella Rollig, Direktorin vom Lentos Kunstmuseum, zusammen. Anders als „Lebt und arbeitet in Wien“ in der Kunsthalle Wien ist die Künstlerwahl hier nicht von kurz eingeflogenen Gastkuratoren, sondern von einem bestens informierten Team entschieden worden.

 

117 Künstler ausgewählt

Über 50 Ateliers haben Stella Rollig und Nina Kirsch allein in Wien besucht, aus 160 Portfolios und Atelierbesuchen wählte Hochleitner aus, eine ähnliche Summe bewältigten auch Martin Sturm und Sandro Droschl für das OK Offene Kulturhaus Oberösterreich. 117 Künstler werden nun gezeigt – in den Häusern, im Nonstop-Videoprogramm von Thomas Edlinger im Lentos und in der „Blauen Stunde“ im OK, die allabendlich mit Lounge, Kunst und anschließendem Sommerkino unter Sternen auf das angrenzende Parkdeck einlädt.

Rund um die Tribüne hat Michael Kienzer eine faszinierende Landschaft aus Hängematten gespannt. Wenn der Regen jemals aufhört, kann man sich hier auf dem Dach über Linz wie am Strand fühlen – ein Himmelsstrand. Damit die Stadtbewohner die Triennale nicht übersehen, steht als sichtbares Zeichen mitten auf dem Hauptplatz der „Triumphbogen“ von Ursula Hübner. Ab hier verzweigt sich dann der Parcours in die drei Häuser: Erlebte und inszenierte Wirklichkeit könnte das Motto im OK lauten, „skurreale Brechungen“, also zugleich skurrile und reale Weltbilder in der Landesgalerie, und gewagte Skulpturen im Lentos.

In der Landesgalerie liegt der Schwerpunkt auf Fotografie. Die einen recherchieren Biografisches wie Anatoliy Babiychuk, dessen Werk um das Leben seines Vaters in der Ukraine kreist; andere suchen Spuren in Gefundenem wie Sissi Farassat, die in „Die Müllers“ die Konturen der Menschen auf der Rückseite der Fotografien nachnäht, oder recherchieren eine „andere Geschichte“ wie Anna Artaker, die in historischen Gruppenaufnahmen die Männernamen durch Namen nahezu vergessener Künstlerinnen ersetzt.

Im OK beginnt die Triennale bereits an der Fassade, über die Thomas Baumann ein bunt bespraytes Tarnnetz gehängt hat, womit er das Haus in ein Bild verwandelt hat. Innen sind die Filme von Hund & Horn eine Entdeckung, in denen Möbel von der Decke fallen, Mäuse eine aus Lebensmitteln gebastelte Wohnung auffressen und ein Leben unter Wasser mit Frühstück und Disco-Besuch inszeniert ist.

 

Schaurig schöne Panzersperre

Herausragend auch die minimalistische Formensprache von Eva Grubinger, die eine Panzersperre zur schaurig schönen Skulptur umformt und mit Fotos von Tribünen kombiniert, die sofort an Gefängnisse denken lassen. Zusammen mit Kienzers fragiler Verschnürung aus Gummi und Glas und Katrin Plavcaks Installation, die um unsere Faszination für das Weltall kreist, ist dieser Raum der gelungenste im OK.

Das geballte Potenzial einer Triennale österreichischer Kunst zeigt dann das Lentos Kunstmuseum. Hier werden die Qualität und Komplexität dessen bewusst gemacht, was heute mit den Mitteln der Skulptur möglich ist: Misha Stroj beschäftigt sich mit dem Schicksal des gestürzten Eislaufstars Franz Offenberger in einer weißen Kugel, die aus lauter Beinen mit Eislaufschuhen besteht. Davor behaupten Manfred Erjautz' Figuren ein ganz anderes, hyperästhetisches, hybrides Menschenbild; Hans Schabus' liegende Wendeltreppe irritiert mit massiver Orientierungslosigkeit und Sissa Michelis verwandelt harmlose Schreibtischlampen zum bedrohlichen Netz. Denn mittendrin steht ein kleiner Fernseher mit einem kurzen, krimiähnlichen Video. Sofort werden die Lampen zum Inbegriff potenzieller Verhöre.

Mit diesem Nebeneinander zeichnet das Lentos ein beeindruckendes Bild unserer Zeit, das intensiv von Scheitern und Verwandeln, vom Zweifeln am Gegebenen und Suchen nach Gewissheiten erzählt – eine bemerkenswerte Leistung auf einer großartigen Triennale.


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